Aufklärung, Lügen, Algebra und Saltimbocca
Ein voller Arbeitstag geht zu Ende. “Nur noch Kinder abholen und Abendprogramm” denke ich mir und freue mich auf ein gemütliches Abendessen, es gibt Saltimbocca, bei sommerlichen Temperaturen mit meinem Mann in unserem Garten. Den Weißwein hatte ich morgens schon kalt gestellt.
Auf der Heimfahrt von der Schule erwischt es mich. Schon lange geahnt und die Worte präzise zurechtgelegt aber natürlich doch voll aus heiterem Himmel:
Meine sechsjährige Tochter stellt die Fragen aller Fragen: “Wie kommen Babys eigentlich in den Bauch?” In diesem Moment schaltet die Ampel, Gott sei Dank, auf Grün und der Straßenverkehr benötigt meine volle Aufmerksamkeit. Der kleine Bruder quakt als Pausenfüller: “Die werden von Gott gemacht.” Ich verweise in neutraler Stimmlage auf den unachtsamen LKW vor mir und verschiebe das Thema auf morgen. “Versprochen, Charlotte! Morgen erkläre ich es Dir, nachdem wir Theo in den Kindergarten gebracht haben!”
Doch nicht genug der Herausforderung zum Ende des Tages. Zu Hause werde ich, zwischen Mathehausaufgaben und Abendessen vorbereiten, schnell mit Themen wie Schwindeln und Respekt konfrontiert. Was fiel vor? Zwei auf den ersten Blick normale, aus dem Kühlschrank stibitzte, Lutscher wurden durch magische Hand ins Kinderzimmer befördert. Es handelte sich aber jedoch um spezielle Lutscher gegen Reisekrankheiten mit entsprechendem Medikament. Mammi hat uns Kinder ja nicht vor den Medikamenten im Kühlschrank gewarnt, oder doch?
“Ich war’s nicht! Und ich hab nix im Mund”! Klar! Der weiße Stengel, der da gerade raushängt ist wohl die Zahnbürste?
Es trifft mich in diesem Moment: Die Unschuld der Kinderjahre sind vorbei und Lüge Nummer 1 tut mir weh.
Die genaue Tragweite dieser Lüge und des Verzehrs eines verbotenen Lutschers kurz vorm Abendessen war natürlich erst mal nur mir bewusst. Auf jeden Fall Stoff genug für einen glanzvollen Auftritt als Erziehungsberechtigte. Ich halte einen Kurzprolog über Sinn von Regeln und über die Notwendigkeit von Respekt und Vertrauen innerhalb einer Familie. Und das mit knurrendem Magen. Ich glaube ich war schon mal besser …
Woher sollen die Kinder auch wissen, dass diese verlockende Süßigkeiten sie bald in einen sehr tiefen Schlaf fallen lassen… Die langsam zufallenden, schuldbewussten Kinderaugen tun mir dann fast schon wieder leid. Dazwischen immer wieder der Gedanke, uns alle – und zwar schnell – satt zu bekommen. Ist der Hunger erst mal gestillt, sieht die Welt schon wieder besser aus.
Alles ganz einfach im Kochrezept: “Saltimbocca. 1 mal Kalbsschnitzel, Schinken und Salbei. Den Bratensaft mit Butter aufkochen und fertig. Dazu Weißbrot.” So lese ich es in meinem Magazin: “Meine Familie und ich”. Im Kapitel: Wenn Ihnen mal in der Woche nach etwas Besonderem ist – Salimbocca. Here I go!
Text: Melanie Blankenstein
Illu: Emely
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