Müssen Mütter immer alles selbst machen?
Neulich hat Opa gekocht. Mitten am Tag, mitten in der Woche. Enkel krank, Schwiegersohn auf Dienstreise, Tochter, also ich, musste zur Arbeit. Statt nachmittags rückten die Großeltern vormittags an. Oma konnte noch einen Termin beim Kinderarzt ergattern. Und statt Mittagessen in der Kita bekam Ben mittags zuhause was auf den Teller. Opa hat nicht lange gefackelt, sich an unseren Herd gestellt. Nachmittags war Bens Fieber weg, meine Eltern auch und der Vierjährige verklickerte mir: „Opa kann super die Nudeln kochen!“ Auch mein Mann freute sich in Budapest: Keine Arie der lieben Ehefrau, dass sie schon wieder…
Szenenwechsel: Ich lese den Newsletter eines Frauenmagazins. Neben Mode und Lifestyle geht es darin auch um die Alltagsprobleme moderner Familien. Dieses Mal bringt eine Mutter (Vollzeit beschäftigt) ihr schlechtes Gewissen zum Ausdruck weil sie meist die Letzte ist, die ihre Kleine aus der Kita abholt. Das Mädchen ist vergnügt. Aber die Mutter hadert mit sich und der Umwelt: „ … stand ich da wie die Frau ohne Herz.“
Auch Familien-Magazine lassen Mütter solche Geschichten erzählen. Zum Beispiel die Frau mit kleinem Sohn, der „gerade friedlich schlief“. Die dabei mit „Heißhunger“ aus dem Fenster schaut und weiß: Was vom Bäcker gegenüber „kriege ich frühestens in einer Stunde.“ Und schnell wurde ihr klar: Im Moment stehen „seine Bedürfnisse über meinen“. Schlimmer noch: „Und ich jetzt eben keine Brezel haben kann.“ Irgendwann stelle sich die Frage: „Wo bleibe ich eigentlich?“
Ich rede nicht klein, dass es heutzutage Probleme gibt. Früher aber auch. Gerade alleinerziehende Frauen erbringen heute oft Großes. Früher gab es die Großfamilie, die einspringen konnte. Und natürlich weiß ich, dass nicht jeder verlässliche Großeltern hat – und wenn, dann ist das auch nicht immer einfach.
Aber stilisieren wir nicht häufig Luxus-Probleme? Nochmal Szenenwechsel. Ein Vater macht seiner Frau das Angebot, doch mal länger zu verreisen. Was sagt die Mutter nach eigenen Angaben? „… aber dafür sind mir die Lütten noch zu klein, und zu Hause würde es nicht so laufen, wie ich mir das vorstelle.“ Auch das druckt ein Frauenmagazin. Wer ist eigentlich zu bemitleiden? Die Frau? Der Mann? Die Lütten? Die Gesellschaft?
Ich habe kürzlich eine alte Dame im Radio gehört. Sie sprach in einer dieser Sonntags-Sendungen am Wochenende mit eher kleiner Einschaltquote. Aufgrund des Alters mit etwas zittriger Stimme erinnerte sich die Frau an ihr Leben, als sie klein war. Es gab Hunger. Vieles war zerbombt. Sie verstummt. Die Schule habe sie nur geschafft, weil der Lehrer es gut mit ihr meinte. Irgendwann fand sie auch ihre Sprache wieder, die sie heute gern und doch nicht mit Zeigefinger erhebt. Sie erzählt einfach, wie es damals war. Weil sie zum Beispiel den schönen Lindenbaum, der vor ihrem Fenster stand, vermisste. Die Eltern hatten eh ganz andere Sorgen. Aber gerade der Baum hatte ihr so gut geholfen beim Gesundwerden, wenn sie krank war und aus dem Fenster schaute. Irgendwann war auch die Linde weg.
Mütter brauchen Freiräume. Aber wenn es einer Familie grundsätzlich gut geht, sie keine ernsthaften Krankheiten plagt, Vater und vielleicht auch andere Familienmitglieder noch an Bord sind – warum nehmen sich Mütter dann nicht die ihnen zustehenden Auszeiten? Warum sind selbst die eigenen Väter, laut Mutter, dazu oft nicht imstande? Warum die Großeltern nicht gut genug? Wieso muss immer alles perfekt laufen, so wie die Mutter es eben will? Oder anders gefragt: Muss man wissen, was Opa brutzelt?
Text: Elke Tonscheidt
Illu: Ela Mergels. www.elaela.de
Das habe ich mich auch schonmal gefragt! Mein Blogtitel hieß damals: „Darf eine Mutter egostisch sein“. Und es ist schon wahr: wir Mütter reißen nur allzugern das Zepter an uns. Oft denke ich, ich kann es einfach besser. Aber wie will ich es den wissen, wenn der Papa es nie probieren darf? …
Viele Grüße, Wiebke
Wir machen es mittlerweile so bei uns (Sohn fast vier): Es gibt ganze, verlängerte Wochenenden, wo ich einfach nicht da bin. Das ist für alle Seiten wunderbar: Vater/Sohn-Beziehung, Mutter/Freundinnen-Beziehung und ich finde es super zu sehen, dass alles klappt. Vieles läuft dann anders, klar, aber genau das ist doch das Gute.
Manche Mütter fragen mich dann etwas besorgt: Und, macht Euer Sohn das auch so einfach mit? Hier die Antwort meines Mannes: „Er vermisst Dich, trägt es aber mit Fassung.“
🙂
Hallo Elke,
loslassen können, dem äußeren Perfektionsdruck standhalten, dass nichts perfekt zu sein hat und niemals sein kann. Verstehen, dass Mutter wie Vater nicht perfekt sind. Das annehmen zulassen, sein lassen und dazu stehen.
Kinder brauchen Freiräume und besonders den Raum, den anderen Erziehungsverantwortlichen (Vater,Mutter) oder die Oma, den Opa auch zu erleben. Dadurch ergeben sich die Räume für die Mutter/den Vater.
Der Familientherapeut Jesper Juul, den ich persönlich sehr schätze, hat einmal sinngemäß geschrieben:
Du hast bei der Erziehung heute nur 200 Fehler gemacht – gratuliere!
Ein toller Artikel, dem ich zu 100% zustimmen kann!
Generell ein toller Blog mit interessanten Ansichten
Vielen Dank für die vielen interessanten Kommentare, nicht nur zu diesem Artikel; überhaupt bemerken wir in letzter Zeit verstärkt, dass sich Leser „einmischen“, was wir ganz klasse finden! Bitte weiter so, dieser Blog lebt durch Kommunikation, wir freuen uns sehr über Gedankenanstöße von außen! Oder macht direkt mit, Gastautoren sind ebenfalls immer willkommen!
Liebe Elke,
Vollzeit (45h/ Woche) arbeiten, Karriere machen, 2 Kinder zwar mit engagiertem Mann aber ohne verfügbare Grosseltern – und der grosse Organistionskram darum – der tägliche Wahnsinn – nur zu bewältigen mit Überlassen und Zulassen und an guten Tagen auch noch Gelassenheit.
Ihr Mütter – fordert Eure ICH Zeiten dennoch ein – Sport, Kreatives oder einfach mal sitzen bleiben und Zeitung lesen auch wenn der Partner aufsteht und Frühstückstisch abräumt…. sicherlich kann der das genauso wie ihr 🙂
Ach so: auch die ewigen Kritiker ‚Frau gehören mit diesem Leben zu den Rabeneltern‘ – who cares – bei ‚Mütter sind Superheldinnen ohne Cape‘ Zettelchen von meiner 12jährigen Tochter an mich oder der Aussage des 5jährigen Sohnes: Ich will nie von Euch wegziehen! – scheint alles okay so wie es läuft …