Lesbische Eltern: „Wir sind schon Spießer …“
Seit dreizehn Jahren sind Iris und ihre Lebenspartnerin Katrin* ein Paar. Seit zwölf Jahren leben sie in einem – sehr beschaulichen – Vorort von Düsseldorf, 2010 wurde aus ihnen eine „richtige“ Familie: Katrin brachte Zwillinge zur Welt. Iris hat die Jungs adoptiert: „Da musste sich mein Chef erst mal dran gewöhnen, dass eine lesbische Frau in Mutterschutz geht“, sagt die 45jährige, die früher Vertriebsleiterin war und heute hauptsächlich für Ben* und Lukas* den Haushalt schmeißt. Elke wollte wissen: Wie lebt diese sogenannte Regenbogenfamilie?
Auf der Karnevalsparty im Kindergarten spreche ich das 1. Mal mit Iris – wir kennen uns flüchtig. Mein Sohn ist erst wenige Wochen Kindergartenkind, ich lechze nach netten Bekanntschaften. Iris, gelernte Marketing- und Kommunikationsfachfrau, plaudert mit mir, während unsere Kinder den Luftballons nachjagen. „Wie, Du hast von uns noch nichts gehört?“, fragt Iris betont erstaunt, mit Ironie in der Stimme. Nö, denke ich, warum denn, so besonders sieht sie nun auch wieder nicht aus, mal vom Faschingshütchen abgesehen. Iris schiebt in ihrer offenen Art sogleich nach, dass Ben und Lukas „zwei Mamis haben“. Cool, denke ich, und mein Blogger-Herz schlägt höher: eine Regenbogenfamilie …
In einer Regenbogenfamilie wachsen Kinder bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern auf. Die beiden männlichen bzw. weiblichen Elternteile können – sofern gesetzlich zulässig – in gleichgeschlechtlicher Ehe verheiratet sein, leben in sogenannten eingetragenen Partnerschaften oder ganz formlos zusammen. Iris und Katrin sind seit 2007 ein Ehepaar.
Wie viele Regenbogenkinder leben in Deutschland? „Die Frage der korrekten Statistik ist ein wirkliches Problem“, sagt Elke Jansen vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) e.V. Sie verweist auf Zahlen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, wonach von 9.000 Kindern in Regenbogenfamilien in Deutschland ausgegangen werden kann, weiß aber: „Diese Zahl ist sicher eine Unterschätzung“. Manche sagen, allein für Berlin könne die Zahl gelten, was vielleicht eine Übertreibung ist.
Klar ist in jedem Fall: Die Zahl ist insgesamt überschaubar im Vergleich zu rund 14 Millionen Kindern in Deutschland. Und die Dunkelziffer ist hoch, weil etliche Männer und Frauen Kinder aus Hetero-Beziehungen haben, erst später homosexuell leben und das bei offiziellen Befragungen gar nicht thematisieren. Auch Iris kennt davon sehr viele.
Vorurteile gegenüber einer Regenbogenfamilie? Sogar viele
Die Vorurteile und Klischees sind vielfältig. Die böse Stiefmutter gehört auch dazu. „Willst Du einen Apfel“, fragt mich Iris lachend, als wir uns zum Interview treffen und ist sich gleichzeitig sicher, den Begriff der Adoptivmama positiv besetzen zu können. Vor allem will sie eines nicht: Den Vater ersetzen. Denn den gibt es ja, auch wenn Holger* ganz woanders wohnt und nur etwa viermal im Jahr zu Besuch kommt. Der leibliche Vater der Zwillinge ist „Spielepapi, kein Erziehungspapi“. In dieser Regenbogenverbindung haben momentan eindeutig die Frauen die Hosen an.
Wer ist heute der Chef, fragen die Jungs manchmal.
Aus Hetero-Beziehungen kennt man: Wenn Mama nein sagt, frage ich Papa…
Eine 2006 vom deutschen Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie zur „Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ besagt: Man kann bei Kindern, die in lesbischen oder schwulen Partnerschaften aufwachsen, keinerlei Nachteile für die Entwicklung feststellen. Auch das Münchner Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) war an der Studie beteiligt. Solange es jedoch keine Langzeitstudien gibt, sind mehr Mutmaßungen als wissenschaftliche Erkenntnisse an der Tagesordnung.
Das Medieninteresse ist auch deshalb groß – möchte man doch beschreiben, wie die Lebenssituation in anderen Familienkonstellationen aussieht. Auch ich frage mich, seitdem ich in Köln bereits 2010 eine erste Regenbogenfamilie kennengelernt habe, ob zwei Frauen Erziehung anders handhaben als ein klassisches Ehepaar. Iris selbst glaubt, Ben und Lukas nicht soviel anders als andere Eltern aus der Mittelschicht zu erziehen: „Wir sind schon Spießer, achten auf gute Ernährung, viel Schlaf, viel Bewegung, musische-künstlerische Ansprache, Unterstützung der motorisch-sprachlichen Entwicklung. Es sind ganz normale Jungs, sie haben halt einen Papi und zwei Mamis!“ Und setzt lächelnd hinzu: „Sie haben einfach Glück gehabt!“
Iris nutzt den liberalen Wind in Deutschland, glaubt, dass der gesellschaftliche Wandel nicht aufzuhalten sei.
Diskriminierung aufgrund ihrer Situation hat sie bislang nicht erlebt.
Was mich sehr wundert, denn der Stadtteil, in dem wir leben, ist schon – sagen wir es diplomatisch – sehr traditionell verankert. Mit großem Selbstbewusstsein sagt die geborene Düsseldorferin: „Ich lebe nach der Maxime: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen immer gleich mehrere zurück.“ So geht sie auch sehr lässig damit um, als es zu St. Martin an der Tür bimmelt und nicht nur einige Kinder im Rahmen stehen sondern deren Mütter gleich mit. „Die wollten wissen, wer wir sind“, lacht Iris, „das haben die auch so offen gesagt, das ist doch ok, ich fand`s lustig.“
Ist Iris ein maskuliner Typ? „Ich habe viel Verständnis für Männer“, sagt sie selbst. Und dass heterosexuelle Mütter ihre Jungs konformer haben wollen. „Anderen Vätern gefällt wohl ganz gut, dass ich gewisse Macho-Punkte habe: Ich war Vertriebsleiterin, ich weiß gut, was es bedeutet, sich messen zu wollen.“ Bewusst arbeitet sie heute nur wenige Stunden als selbständige Unternehmensberaterin, kümmert sich sonst – gemeinsam mit einer Haushälterin, die dreimal wöchentlich kommt – um Kinder, Katze, Hund und Garten. Dass sie nun von zuhause aus arbeitet, damit hat Iris auch kein Problem. „Ich sehe es so“, sagt sie, „Kinder und Karriere lassen sich nun mal nicht vereinbaren, also bleibt einer daheim, in unserem Fall eben ich.“
Zum Abschluss unseres Gesprächs bringe ich die Frage der Diskriminierung noch mal auf. Schön, wenn es heute keine Probleme gibt. Befürchtet sie aber auch später keine, etwa wenn die Jungs in die Schule gehen?
Elternsein, seufzt Iris, „ist doch insgesamt ein hartes Brot, man macht sich um alles Mögliche Sorgen“
Und schiebt nach: „Wir wollen die Jungs einfach gut groß kriegen und uns nicht verrückt machen lassen. Vielleicht ist das in der Pubertät anders, weil wir sie manchmal doppelt bemuttern … Das sehen wir dann. Und wenn, das ist dann eben so, man kann sich nicht über alles Gedanken machen.“
* Die Namen der leiblichen Mutter, der Zwillinge und des Vaters wurden verändert.
Text: Elke Tonscheidt
Fotos: Pixabay / Caro Kadatz/LSVD
Filmprojekt zum Thema Regenbogenfamilien
Gerade im Frühjahr 2014 von Katja Irle erschienen, mit Vorwort von Jesper Juul: Das Regenbogenexperiment. Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern? Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2014.
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