Innerlich zerrissen – wie viel Wahnsinn birgt Dein Leben?
„Generell merke ich, dass man im Leben zu viele Fäden in der Hand hat – ich komm kaum nach mich selbst zu organisieren.“ Der Satz einer Freundin sitzt. Vor allem, wenn ich mich selbst beim ständigen Hetzen erwische und sehe, dass eigentlich kein Mensch morgens in der Kita wirklich entspannt erscheint (bis auf viele Kinder, die sich aufs Spielen freuen). Ist das bei Euch auch so? Das tägliche Chaos beginnt, wenn man die Augen aufschlägt?
Als wir ohfamoos initiierten, hatten wir vor Augen: Den täglichen Wahnsinn beschreiben, und warum man ihn auch lieben kann. Schließlich ist vieles oft nicht so heiß, wie es gegessen wird. Auch ich sage mir oft: Sch…. drauf, wir sind doch ziemlich gesund, die regelmäßig tropfende Rotznase des Lütten mal lässig beiseite schiebend, das täglich hohe E-Mail-Aufkommen sortierend. Und doch: Man muss ihn schon auch gut bewältigen, den Wahnsinnsalltag, sonst findet man ihn irgendwann nicht mehr so prickelnd…
Eine andere Freundin, heute bereits Oma, erinnerte sich kürzlich: „Mein Mann hatte morgens keine Kinder.“ Dabei sprach sie die Tatsache an, wie heute der Tag in vielen Familien schon beginnt: Mama macht Frühstück und erledigt alles, was alle brauchen, um pünktlich loszukommen. Während Papa entweder schon weg ist, jedenfalls nicht aktiv teil nimmt und etwa 2-3 mal die Woche die Autofahrt zur Schule übernimmt. Klischee?
Es geht hier nicht um Männerschelte und sicher hat sich schon viel verändert. Die Frage eines Bekannten kürzlich, ob ich verreist sei, weil mein Mann kocht, ist nicht mehr die Regel.
Trotzdem: Wie viele Familien kennt Ihr, Hand aufs Herz, die nicht mehr oder weniger nach der traditionellen Rollenverteilung leben?
Welcher Mann lässt wirklich Karriereeinbußen zu, um sich der Familienarbeit so zu widmen, wie er es sich vielleicht selbst sehnlichst wünscht? Ist schlicht richtig, was eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sommer 2014 konstatiert: „In Deutschland werden wirtschaftliche Interessen oft zu Lasten familialer Belange priorisiert. (…) Es mangelt an dem unbedingten Willen, die Arbeitswelt in Deutschland familienfreundlicher zu gestalten.“ Gibt es noch nicht mal den Willen dazu?
Ja klar, heute ist immer selbstverständlicher, dass Frauen Familie haben und ihr eigenes Geld verdienen. Aber wenn ich sehe, wie sich die meisten Familien dabei aufreiben, drängt sich die Frage auf: Welchen Preis zahlen wir dafür? Wohin führt die innere Zerrissenheit aller Beteiligten, wenn sich alte Rollenmuster so verbissen halten? Kann es wahr sein, dass auch 2015 gut ausgebildete Frauen keine adäquaten Teilzeitjobs bekommen? Aber auch: Warum verändern wir selbst nicht unser Rollenverständnis?
Eine Freundin versteckt mittlerweile ihre Kinder im Lebenslauf. Hat ihr ein Coach empfohlen, wenn sie am Arbeitsmarkt erfolgreich sein will…
Die Adenauer-Stiftung hat übrigens bereits an die Wand gemalt: „Angesichts der Schwierigkeit für viele Akademikerinnen, Partnerschaft, berufliche Karriere und Kind zu leben, schieben viele Akademikerinnen die Familiengründung hinaus und verzichten schließlich ganz auf Kinder oder bleiben ungeplant kinderlos.“ Kinderlosigkeit sei heute bereits „sozial akzeptiert“.
Oder trifft das alles nur diejenigen, die sich nicht entscheiden können? Um noch eine Freundin ins Spiel zu bringen, die früher in einem international agierenden Unternehmen Führungsverantwortung hatte, dann zwei Kinder adoptierte. Sie sagt heute: „Ich wollte nicht mehr auf zwei Hochzeiten tanzen! Ich hatte ein permanent schlechtes Gewissen, war komplett fremdbestimmt, gesundheitlich angeschlagen.“ Sie hat ihr altes Leben als Managerin komplett aufgegeben – für sich und die Familie.
Hier findet Ihr die Studie!
Text: Elke Tonscheidt
Illu: Ela Mergels, www.elaela.de