Kranke Kost im Krankenhaus
Der erste Krankenhausaufenthalt von Gastautorin Christine Mangold hat in vielerlei Hinsicht Spuren hinterlassen. Und dabei meint sie nicht das noch deutlich sichtbare Hämatom einer vor vier Wochen gesetzten Thrombosespritze. Sondern 5 Kilo Gewichtsverlust aufgrund eines eher monothematischen Speiseplans oder wie Christine sagt: kranke Kost.
Ins Krankenhaus kam ich mit starken Bauchschmerzen. Einer Darmentzündung verdächtigt, wurde ich zunächst einmal auf Flüssigkost gesetzt. Bei der Aufnahme im Krankenhaus wurde ich gefragt, ob ich Vegetarierin sei. Angenehm überrascht von diesem unerwarteten Angebot, bejahte ich.
Am Tag 1 gab es Tomatensuppe. Das erstaunte mich nicht. Das Essen war flüssig und tierfrei.
Am Tag 2 wurde ich gefragt, ob ich eine klare Brühe haben wolle. Ich fragte, ob es sich denn um Gemüsebrühe handle. Das wisse man nicht, war die Antwort. Jedenfalls nicht um Fleischbrühe, denn es seien ja keine sichtbaren Fleischstücke drin. Ich ging lieber auf Nummer sicher und bestellte eine Gemüsesuppe. Es gab Tomatensuppe.
Derweil wurde meiner Zimmernachbarin ein deutsches Abendbrot serviert. Die Familie der türkischen Frau hatte bei der Aufnahme klar angegeben, dass ihre Großmutter Muslima sei und kein Schweinefleisch essen dürfe. Als nun der dunkelbraune, weißlich angelaufene Hartplastikdeckel gelüftet wurde, lagen dort ganz adrett ein Käsebrot und ein kräftig rotes Wurstbrot – Geflügelwurst, kommentierte der Pfleger.
Auf den Einspruch der Familie, die Wurst sähe aber nach Schwein aus, nahm der Pfleger die Wurst vom Brot und kommentierte: „So kann sie’s ja essen.“ Meine besuchsweise anwesende Freundin Astrid, die sich durch ein großes Herz und noch größere Resolutheit auszeichnet, daraufhin zum Pfleger: „Jetzt machen Sie mal ’nen Punkt und holen der armen Frau noch ein Käsebrot.“ Schön, wenn man so viel Unterstützung erfährt. Und schlimm, wenn man auf Unterstützung angewiesen ist.
Am Tag 3 folgte zunächst eine größere Abführaktion, um dem CT lupenreine Innereien zu bieten. Details verkneife ich mir. Im Anschluss hieß es, ich dürfe wieder feste Nahrung zu mir nehmen. Ich war begeistert. Als ich den Deckel abnahm, offenbarte sich mir ein in Mercedesstern-artige Kompartimente geteilter Teller: ein Drittel Gulasch, ein Drittel Bohnen, ein Drittel zerkochte Kartoffeln. Ich aß Bohnen und Kartoffeln, weil ich ausgehungert war – und hinterfragte nichts. Nachts hatte ich so heftige Schmerzen, dass ich erstmals Opioide bekam. Die Ärztin rollte am nächsten Morgen die Augen, als sie von meiner Verköstigung hörte.
Am Tag 4 kam die Pflegerin mit glänzenden Augen. „Ich habe Hühnchensuppe für Sie“, eröffnete sie mir mit rückhaltloser Begeisterung. „Das ist ja jetzt nicht gerade sehr vegetarisch“, kommentierte ich und erntete einen verständnislosen Blick. „Na, die Hühner wachsen ja jetzt nicht auf Bäumen“, konkretisierte ich meinen Punkt. Der Blick blieb mit Fragezeichen behaftet. „Hühner – das sind Tiere!“ wagte ich einen weiteren Vorstoß. Die Fragezeichenmine lichtete sich: „Ach, jetzt weiß ich, was Sie meinen“, die Pflegerin signalisierte Verständnis. „Ich hatte angenommen, die Suppe sei sowieso vollsynthetisch.“ Aha. Ich entschuldigte mich artig und bat um eine Tomatensuppe.
Am Tag 5 stand ein Tablett mit zwei großen Tellern auf meinem Tisch als ich von der Untersuchung kam. Allem Anschein nach ein Tablett mit Festnahrung. Ich hub schon an zu meutern, als mich die Pflegerin mit einem Gesicht wie Eltern unterm Weihnachtsbaum aufforderte, doch erst einmal die Plastikdeckel zu lüften. Was ich vorfand, waren zwei Suppen – eine klare Brühe, dem Geruch nach die Fleischbrühe von Tag 2, und eine Pilzsuppe, dem Geschmack nach die vollsynthetische Lösung von Tag 4. Ich stellte die Teller zugedeckt zurück und trank den Gemüsesaft, den mir eine Freundin mitgebracht hatte: Tomatensaft.
Am folgenden Tag aß ich nichts und trank im Anschluss daran drei Liter Moviprep, eine nach aufgelöstem Klostein schmeckende Lösung mit durchschlagender Wirkung: Die Darmspiegelung stand an. Im Anschluss entließ ich mich – geschwächt, aber ungebrochen. Hie und da trink ich jetzt einen Gemüsesaft.
Ach ja, woher die Schmerzen kamen? Folgt im nächsten Blogbetrag.
Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen Freunden bedanken, die mich zwischendurch mit selbstgekochten Gemüsebrühen versorgten. Überhaupt sah man des Abends auf den Fluren häufig Besuche anderer Bettlägeriger von außerhalb mit großen Tellern und Tabletts in die Zimmer huschen …
Gastautorin Christine Mangold ist Textnomadin und lebt in Köln. Mal als Journalistin, mal als Werbetexterin unterwegs, beackert sie Bleiwüsten, bis blühende Landschaften entstehen. Privat bestellt sie ihren Garten und ist Mutter einer Heerschar von Blumenkindern. Für ohfamoos schreibt sie besonders gern Glossen.
Fotos: Unique
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