Die rätselhafte Klinik oder: Knacks mit Folgen
„Ein rätselhafter Patient“ ist eine Serie auf SPON. Die Erlebnisse unserer Gastautorin Christine im Krankenhaus waren eher dazu angetan, einen Bericht über „Eine rätselhafte Klinik“ zu schreiben. Und über ein System, das offensichtlich immer noch weit von einer ganzheitlichen Sicht auf den Patienten entfernt ist.
Ins Krankenhaus kam ich wegen heftiger Schmerzen im linken Unterbauch, die sich bis in den Rücken hinein erstreckten. Nachdem eine Antibiotikabehandlung ergebnislos verlaufen war, überwies mich meine praktische Ärztin mit Verdacht auf Divertikulitis – einer Art Darmentzündung – in die Notaufnahme. Dies war mein erster Krankenhausaufenthalt, wohlgemerkt. Mir war nicht klar, was mich erwartete.
Ich wurde umgehend in die Notaufnahme geführt. Dort hieß man mich auf eine Pritsche unter gleißende Neonstrahler legen, um mich herum Defibrillatoren und andere Gerätschaften mit obskurem Namen und Einsatzgebiet. Ich hatte Angst.
Nach ungefähr einer halben Stunde erschien eine freundliche junge Ärztin, welche die Schulbank noch nicht lange hinter sich gelassen hatte. Ihre Klassenkameradin setzte mir einen Zugang, der meinen Handrücken gleich bei der ersten Benutzung auf doppeltes Ausmaß anschwellen ließ.
Der Divertikulitisverdacht löste bei der jungen Ärztin große Euphorie aus. Sie erklärte mir mit leuchtenden Augen, man könne, um einen Durchbruch zu verhindern, ein Stück des Dickdarms herausschneiden und die beiden losen Enden wieder miteinander vernähen. Jetzt hatte ich richtig Angst.
Auf dem erneuten Ultraschall fanden sich keine Divertikel. Und auch die Entzündungswerte in der Blutprobe waren negativ. Als rätselhafter Patient kam ich zunächst einmal auf Station. Diese teilten sich Patienten der Chirurgie und der Inneren Abteilung. Da die diensthabende Ärztin in der Notaufnahme Chirurgin war, wurde ich als Patientin der Chirurgischen Abteilung weiterbetreut.
Am ersten Tag passierte nichts, außer dass ich Abführmittel bekam und auf Flüssigkost gesetzt wurde. Am Folgetag wurde ein CT gemacht. Ohne Befund. Eine gynäkologische Volluntersuchung folgte. Ganz ohne Ergebnis.
Dann kam das Wochenende und es passierte weiterhin nichts. Außer dass die Schmerzen in der Zwischenzeit so stark wurden, dass ich nachts Opiate erhielt, um überhaupt etwas schlafen zu können. Die ganze Zeit war ich auf Flüssignahrung, meine Freunde recherchierten die gruseligsten Krankheiten und kochten mir Gemüsesüppchen.
Am Montag wurde ein zweiter Ultraschall gemacht, der ebenfalls keine Ergebnisse brachte. Ein Arzt der Inneren, der mich mittlerweile schon des öfteren gesehen hatte, sprach mich auf dem Flur an: „Sie sind ja immer noch da. Eigentlich sollten Sie eine Patientin der Inneren Abteilung sein und nicht der Chirurgie. Das macht mir Sorgen.“ Jetzt machte ich mir Sorgen.
Weil die Rückenschmerzen in der Zwischenzeit immer wilder geworden waren, schickte man mich in die Physiotherapie. Die resolute persische Therapeutin fasste mich ins Auge und fragte: „Weshalb sind Sie hier?“ „Wegen meiner Rückenschmerzen“, antwortete ich. „Nein, ich meine, weshalb sind Sie überhaupt im Krankenhaus?“ Ich schilderte ihr die Symptome, woraufhin sie lächelte und meinte: „Ich glaube, ich weiß, was sie haben.“
Sie faltete meine Körperteile in eine bizarre Position. Im Rhythmus meiner Atmung gab sie Druck. Ich fühlte ein leichtes Knacken im Kreuz. Nahezu unmittelbar wurden die Schmerzen besser. „Das war eine Blockade des Iliosakralgelenks“, sagte die Physiotherapeutin, „die Schmerzen waren typisch.“
Die Ärzte, denen ich am nächsten Morgen die neue These präsentierte, schauten mich an wie einen besonders hartgesottenen Hypochonder. Stellung wollte keiner beziehen.
Da ich am Mittwoch noch für eine Darmspiegelung angemeldet war, riet man mir, diese dennoch zu machen, um wirklich auf Nummer sicher zu gehen. Ich willigte ein. Ergebnis: Nichts. Gottseidank!
Das Resultat: Sieben Tage Krankenhaus, zwei Sonografien des Darms, ein gynäkologischer Ultraschall, ein CT, eine Darmspiegelung – all das, um eine Divertikulitis auszuschließen. An andere Möglichkeiten hatte niemand gedacht. Rätselhaft!
Wusstet Ihr?
Im April 2015 legte die CDU/CSU ein Positionspapier vor, welches vorsieht, die Stellung von Physiotherapeuten, Logopäden, Masseuren und anderen Heilmittel-Erbringern deutlich aufzuwerten. Laut Süddeutsche sollen Therapeuten nicht nur mehr Geld bekommen, sondern künftig auch frei und ohne ärztliche Vorgabe darüber entscheiden, welche Anwendungen ihre Patienten brauchen. Die Union wollte sogar erproben lassen, ob sich Patienten auf Kassenkosten nicht direkt an ihre Therapeuten wenden können, also ohne vorher zum Arzt zu gehen. Dies ist zum Beispiel in den Niederlanden und in Schweden möglich.
Autor: Christine Mangold
Illu: Mila Kaminskiy
Wissen sie was ich lustig finde? Ich bin auch vor kurzem mit starken rechtsseitigen Unterbauchschmerzen ins Krankenhaus gebracht worden. Behandlung: Ultraschall, Entzündungswerte, Gynäkologische Untersuchung, Magenspieglung, Darmspieglung. Ergebnis: nix. Meine eigene Behandlung: auf bestimmte Lebensmittel verzichten, Ergebnis: hilft.
Meine Mutter vor kurzem: nach einer Orthopädischen OP im Krankenhaus Magenprobleme. Verlegung in die Innere: Ultraschall Magen, Entzündungswerte, Gynäkologische Untersuchung, Magenspieglung, Darmspieglung. Ergebnis: nix. Aussage der Ärzte, dass sind die Standarduntersuchungen der Internistik. Sie haben nichts gefunden, meine Mutter wurde nach hause geschickt.
Meine Meinung zu Behandlungen im Krankenhaus? Dort wird nur das gemacht, was die Krankenkassen standardmäßig bezahlen. Wenn man diese Krankheit nicht hat, ist man Simulant und wird nach hause geschickt.
Meine eigener Behandlungsweg bei Bauchschmerzen: als allererstes darauf achten, was man isst!!!!! Denn genau das ist es, was der Magen-Darm-Trakt verarbeitet! Allermeistens kann der Magen bzw. Darm etwas aus der Nahrung nicht vertragen und macht dann Probleme. Aber das stellt man nicht fest mit Magenspieglung, Darmspieglung, Ultraschall. Sondern nur und einzig durch selber ausprobieren.
Für die die es nicht glauben, viel Freude im Krankenhaus und mit den hervorragend ausgebildeten Ärzten.
Ein schöner, erhellender Beitrag – danke! Ich hoffe, viele lesen ihn auch wirklich bis zum Ende durch, einschließlich des Hinweises auf die längst überfällige Aufwertung des Berufsstandes der Physiotherapeuten. Es ist beschämend, wie (auch) hier eine mit enormem Aufwand aufgebaute Kompetenz und ein bewundernswertes Engagement direkt an Patienten mit oft inakzeptablen Arbeitszeiten und völlig inadäquater Vergütung belohnt werden! Ich weiß dies aus dem eigenen Bekanntenkreis, wo es eine junge begabte, engagierte und exzellent ausgebildete deutsche Physiotherapeutin nach einigen Jahren nun konsequenterweise nach Schweden ausgewandert ist, da dort diese Art von Dienstleistung am Menschen besser honoriert wird.