Flüchtlingsdebatte in den Niederlanden
Ohfamoos bleibt dran. Die Flüchtlingsdebatte beschäftigt uns alle in der Redaktion. Ob in Deutschland, Australien oder Dubai. Doch wie sieht es bei den direkten Nachbarn aus? Wir haben Julia Meier, Redaktionsmitglied des Expats Blogs what-about-my-pencilskirt.com, gebeten zu berichten. Julia ist Deutsche Staatsbürgerin, lebt aber zurzeit in Amsterdam.
Amsterdam – ein Potpourri der Kulturen
Wenn ich in Amsterdam durch die Straßen gehe, treffe ich auf ein multikulturelles Volk. Es ist eine bunte Mischung von Menschen, die von ganz verschiedenen Flecken der Erde hierher kommen. Mir ist es fast unmöglich, Einheimische von Ausländern zu unterscheiden. Ich liebe diese internationale Vielfalt und auch die Niederländer finden anscheinend diesen Melting Pot völlig normal.
„War es nicht auch so, dass die Niederländer als das toleranteste Volk auf Erden gepriesen werden?“
Diesen ersten Eindruck habe ich auch. Sie sind schließlich das erste Land, welches Cannabis Besitz bis zu 30g toleriert, Homoehen als erstes Land bereits im Jahre 2000 ermöglichte und seit 2001 sogar Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Da würde ich doch annehmen, dass Flüchtlinge hier willkommen sind, toleriert und respektiert werden.
Tolerantie – das Wort zergeht auf der Zunge, aber das war es dann auch
Laut Handelsblatt kommen allerdings weder die Briten noch die Niederländer bei dem Thema Toleranz gut weg. Insbesondere die Toleranzschwelle der Niederländer gegenüber Migranten im europäischen Ländervergleich sei drastisch gesunken, heißt es dort:
”Im Ausländer-Integrationsindex MIPEX, der 38 Länder erfasst, ist Großbritannien in den letzten fünf Jahren sechs Plätze auf Platz 15 zurückgefallen. Nur noch die Niederlande rutschten mit acht Plätzen stärker nach unten.”
Also, doch nicht so tolerant? Inspiration von außen.
Wenn ich in Amsterdam Nachrichten sehe, geht es bei der Flüchtlingsproblematik jedoch selten um die Schwierigkeiten im eigenen Land. Vielmehr wird der Blick hier auf das Nachbarland Deutschland gerichtet. Es geht um die Pegida-Demos in Dresden sowie um Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Auch was in Köln passierte, ist immer noch Inhalt vieler Artikel im niederländischen Netz.
Aber inzwischen gibt es auch in Amsterdam Demos von Pegida Nederland. Alles in allem in einem deutlich kleineren Rahmen, als es in Dresden der Fall ist. Doch Schriftzüge wie “Schließt die Grenzen” und die ”Politik tötet die Freiheit” sind hier auch zu sehen. Und kürzlich soll es sogar eine schriftliche Morddrohung gegen die Bürgermeisterin von Amstelveen gegeben haben, in der sie massiv bedroht wurde. Sie hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet.
“The Dutch Asylum Process, let them starve!”
Wie human nun die Niederländer in ihrem eigenen Land die Flüchtlingspolitik anpacken, fasst Simon Woolcot auf seinem Blog kurz und knapp, aber sehr sarkastisch zusammen. Er schreibt, dass man automatisch tolerant ist, weil man einen niederländischen Pass hat. Man muss es dann auch nicht mehr beweisen, denn der Pass sagt ja alles – soweit die Theorie.
Wie sieht die Praxis aus?
In den Niederlanden werden Flüchtlinge auf sogenannte COA (Zentraler Auffang von Asylbewerbern) verteilt. Dort können sie einen Antrag auf Asyl stellen. In der Regel werden 2 von 3 Anträgen abgelehnt. Während der Zeit in der COA Unterkunft bekommt ein erwachsener Flüchtling wöchentlich 44 Euro für Verpflegung und 13 Euro zur freien Verfügung.
Im Vergleich dazu erhalten Flüchtlinge in Deutschland freies Essen in der Unterkunft sowie wöchentlich insgesamt 35 Euro zur freien Verfügung. Nach 6 Monaten steigt der Betrag auf wöchentlich auf 54 Euro. Damit liegt er deutlich über dem Niveau in den Niederlanden.
Aus dieser Abschiebungspolitik wurde die allgemein bekannte sarkastische Bezeichnung “Bed&Breakfast” geschaffen. Wird der Asylantrag abgelehnt, müssen die Flüchtlinge das Land innerhalb von 28 Tagen verlassen. In dieser Zeit bekommen sie ein Dach und Bett für die Nacht sowie ein Frühstück gestellt. Den Rest des Tages werden sie auf die Straße gesetzt. Nach 28 Tagen entfällt auch diese Versorgung und sie sind sich selbst überlassen. Für dieses menschenunwürdige Verhalten gab die EU den Niederlanden einen auf den Deckel. Daraufhin hat sich die Regierung erklärt, abgelehnte Asylbewerber, die bei ihrer Rückführung in ihr Heimatland mithelfen, noch weitere Zeit mit Bed&Breakfast zu versorgen.
Grundsätzlich gilt in diesem Rückführungsprozess für Flüchtlinge, dass sie ihre Rückreise selbst finanzieren müssen. Fehlen Papiere oder treten sonstige Schwierigkeiten auf, hilft der Staat.
Dann greift die B&B Regel
Werden die Asylsucher anerkannt, erhalten sie eine auf 5 Jahre begrenzte Aufenthaltserlaubnis. Ist danach laut Spiegel eine Rückkehr möglich, müssen sie gehen und die B&B Regel greift. Für das Erlernen der Sprache ist der Asylant selbst verantwortlich, muss aber gleichzeitig auch innerhalb von 3 Monaten Arbeit finden, sonst verliert er seine Aufenthaltserlaubnis wieder.
Dies ist die politische Seite. Es gibt aber auch hier genau wie in Deutschland Widerstand dagegen. Es engagieren sich in den Niederlanden genau wie in Deutschland sehr viele ehrenamtliche Helfer, um den Flüchtlingen zu helfen. Kommunen helfen und ermöglichen weiterhin B&B, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde. Während dessen unsere Kanzlerin für ihre Willkommenpolitik kritisiert wird, demonstrieren hier viele Niederländer gegen die unmenschliche Art und Weise im Umgang mit den Flüchtlingen ihrer Regierung.
Ich für meinen Teil musste mein Land jedenfalls erst verlassen, um es als unglaublich zivilisiert, menschlich und großzügig zu empfinden.
Gastautorin Julia Meier lebt seit 4 Jahren outside ihrer Comfort Zone. Nach einem einjährigen Abstecher nach Südostasien und anschließendem Umzug nach Kolumbien, ging es 2015 zurück nach Europa. Derzeit lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Amsterdam, Niederlande.
Julia schreibt bei what about my pencilskirt über Fragen nach der eigenen Herkunft, über persönliche Werte und Zugehörigkeit. Und manchmal auch einfach über die kleinen Geschichten, die der Familienalltag in der Fremde so fabriziert.
Fotos: privat/pixabay
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