Nicht nur nach Berlin: Wie lieben? Und leben?
Für heute war ein Beitrag über das (Nicht-)Jammern geplant. Doch wir mögen diesen Beitrag heute nicht bringen; die jüngsten Geschehnisse in Berlin wiegen schwer. Mir ist angesichts dieses brutalen Anschlags zum Jammern. Einerseits. Andererseits treibt die Hoffnung auf noch mehr Zusammenhalt aus. Und so etwas wie trotzige Zuversicht.
Zerstörte Familien. Gebrochene Herzen. Verlorene Seelen. Ohnmächtige Tränen. xxx Volksfeste. Zusammenkünfte. Weihnachtsmärkte. xxx PS-gewaltiger Hass. Fassungslose Holz- und Glassplitter. Blutige Timelines. xxx Angstmacherei. Politischer Aufruhr. Radikale Bündnisse.
Mächtige Wortfetzen. Nur 4 Tage vor dem Fest der Liebe. Und der Hoffnung. Welch‘ perfides Timing!
Wer vermag sein Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer angesichts dieser Tragödie in Wörter kleiden? Wörter, die klingen? Ich glaube, dass unsere Bundeskanzlerin in der Pressekonferenz am Dienstag so wenig empathisch wirkte, als sie ihr Statement verlas, weil sie unbedingt ihre Emotionen kontrollieren musste. Als tief Betroffene vor zig Kameras. Und wissend, dass es nun umso lauter tönen wird: „Die Merkel ist schuld.“
Wie den Anschlag in Berlin einordnen und verarbeiten?
Wie können wir das Geschehene am Breitscheidplatz einordnen? Das Herz schützend, damit der Verstand scharf bleiben kann. Ja, so müsste es gehen. Man will uns also im Mark treffen? Vermutlich unsere Grundpfeiler des Miteinanders erschüttern. Also sollten wir nüchtern und besonnen Fakten sortieren. Und wachsam mit den eigenen Emotionen bleiben.
Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wut verblendet die Weitsicht. Hass schürt mehr Hass. Führt zu Vorverurteilung und beschleunigt den Teufelskreis. Kälte und Härte. Statt Wärme und Liebe.
Dabei wünschen und brauchen Menschen Liebe und Anerkennung so sehr wie die Luft zum Atmen. Dafür sind sie sogar bereit zu töten. Liebe will entfalten, nähren, schützen, geben, bewahren. Ohne einen Funken an Erwartung, wenn sie wahrhaftig ist. Sie kommt dann in Fülle zurück.
Wer „gewinnt“, wenn wir hassen?
Wie wollen wir also lieben? Und leben? In diesen Zeiten und mit Taten, die immer wieder an unseren Grundfesten rütteln? Und wer „gewinnt“, wenn wir beginnen zu hassen und zu wüten?
Tatsächlich steht jeder allein an diesem inneren Scheideweg und muss eine Wahl treffen. Ich kenne meine Abzweigung. Und ich glaube, in Wahrheit ist es völlig unerheblich ob man auf die Bibel, den Koran oder die Weisheiten von Asterix und Obelix schwört. Ghandi brachte es so auf den Punkt: Liebe ist die stärkste Macht der Welt, und doch ist sie die demütigste, die man sich vorstellen kann.
Seid behutsam. Mit eurer Liebe. Gesegnete Weihnachten wünsche ich, wünschen wir alle vier von ohfamoos!
Text: Cornelia Lütge
Foto: unsplash_Olsztyn Poland
Sehr gut und schön gesagt, Cornelia! Es fehlt unserer Welt an Liebe, nicht an Hass und Wut. Und wie du schreibst: Liebe sollte nicht mit Erwartungen verknüpft werden, weder die Liebe im engerer Sinne zwischen zwei individuellen Menschen noch die Nächstenliebe im christlichen Sinne. Wobei mich bei letztgenannter nur eine Sache stört: Die schier unbegrenzte ´Duldsamkeit´ die oft eingefordert wird. Auch eine auf Liebe basierende, aufgeklärte und tolerante Gesellschaft muss ihrer Duldsamkeit gegenüber den Vergiftern, Feinden und Zerstörern unsere Lebensweise Grenzen setzen. Wir dürfen uns nicht zunehmend wehrlos gegenüber jenen erweisen, die uns und den von uns Willkommenen, wie Flüchtlingen und Asylbewerbern, massiv schaden wollen. Unsere auf klaren Rechtsgrundsätzen basierenden Instrumente wie Haft und Abschiebung von Straftäter und das Unterbinden von Aufhetzerei und Hasspredigten dürfen nicht zu Papiertigern verkommen. Wenn das Fehlen von Papieren bei gewaltbereiten Straftätern und als gefährlich erkannten Extremisten statt einer vorsorglichen Dingfestmachung zu einer Freilassung und Niederlegung der Strafverfolgung führt, stößt das Verständnis der meisten normalen Menschen an seine Grenzen. Und treibt viele genau dorthin, wo wir sie nicht haben möchten: In den Hass und die Wut – auf die existierenden Verhältnisse. Wenn dies der Rechtsstaat nicht selbst korrigiert, werden es die Menschen tun, bei den nächsten Wahlen. Und hiervor graut es mir.
Ja, Dieter – du zeigst eine neuralgische Grenze auf. Und was drohen wird, wenn die Verantwortlichen nicht den Mut haben, die Macht, die ihnen kraft Amtes zusteht, nutzen. Es steckt wohl die große Angst, Fehler zu machen, hinter einer manchmal und scheinbar indifferenten Haltung. Oder? Macht an sich ist etwas sehr sinnvolles.
Wer liebt, bekennt sich. Ob im individuellen oder gesellschaftlichen Kontext. Es wird wohl ewig eine der größten Herausforderungen bleiben, eine stabile Brücke zwischen denen, die sich bekennen und denen, die sich dadurch bedroht oder ausgegrenzt fühlen, zu bauen.