SPD im Aufwind? Warum Martin Schulz so positiv wirkt!
Jüngst haben wir, via Kolumne auf social-startups.de, nach Sozialunternehmern gefahndet, die sich politisch einbringen. Interessanterweise folgte Jeannette Hagen dem Aufruf. Die Berliner Autorin hat Nägel mit Köpfen gemacht und ist, wie Tausende andere auch, in die SPD eingetreten. Wir wollten von ihr wissen, was sie motiviert… Martin Schulz? Oder mehr?
„Liebe Elke,“, chattet Jeannette mich auf Facebook an, „weil ich gerade Deinen Aufruf sehe.“ Und begründet dann in einem Satz, weshalb sie nun in die Politik einsteigt:
Nicht nur, weil ich glaube, dass wir der AfD etwas entgegensetzen müssen, sondern auch, weil ich denke, dass die SPD neuen Wind braucht und daher auch ein bisschen Unterstützung.
Elke: Du bist in die SPD eingetreten, weil Du mehr tun willst. Ein aktuell motivierter Schritt?
Jeannette Hagen: Ja. Sehr aktuell sogar. Zum einen bin ich überzeugt, dass sich unsere Parteienlandschaft wieder verändern muss. Das Bild, das sich in letzter Zeit gezeigt hat, hat mich wirklich mit großer Sorge auf die kommende Wahl schauen lassen. So sehr ich die Politik Angela Merkels in vielen Punkten geschätzt habe – trotzdem hätte ich sie ungern erneut gewählt.
Was genau kreidest Du ihr an?
Das Erstarken der AfD ist eine Folge der Politik von CDU/CSU und auch der SPD.
Aber Du unterstützt doch jetzt genau diese SPD?
Ja, weil nun durch die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz plötzlich wieder Bewegung in das System kommt. Wir können das nicht nur an den steigenden Umfragewerten für die SPD erkennen, sondern auch daran, wie die AfD in den Medien auf hintere Plätze rutscht. Ich bin darüber sehr glücklich, möchte meinen Teil dazu beitragen.
Bist Du denn mit der Politik, wie sie sich heute darstellt, einverstanden?
Nein. Die Art, wie sie heute ausgeübt wird, schreckt ab. Sie wirkt oft als Bremse, sogar als Verhinderer, nicht mehr als Visionär. Ich weiß, da habe ich hohe Ideale und wenn wir uns anschauen, wie viele Tiger in der Politik schon als Bettvorleger gelandet sind, dann ist die Chance groß, dass mein Idealismus im Politikbetrieb ebenso zerrieben wird.
Manche werden Dir vorhalten, Du seist naiv…
Weiß ich, dürfen sie. Dass ich nach der Lektüre von Roger Willemsens „Das hohe Haus“ überhaupt noch daran glaube, etwas anstoßen, verändern zu können, grenzt sicher an eine gewisse Naivität. Aber ich bin überzeugt, dass wir genau das momentan brauchen.
Was leitet Dich aktuell?
Ich lese gerade von Daniel Pinchbeck „HOW SOON IS NOW“. Selten hat mir jemand so deutlich vor Augen geführt, wie arrogant und stur wir im Bezug auf das, was um uns herum geschieht, agieren. Wir zerstören diese Erde. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Du meinst das Zerstören unserer Umwelt?
Ja, es gibt Wissenschaftler, die sagen, dass von den neun – Pinchbeck nennt sie „planetarische Grenzen“ – bereits vier überschritten sind. Jeden Tag verschwinden 150 bis 200 Arten unwiederbringlich von dieser Erde. Und warum? Weil wir es zulassen.
Du hast drei Kinder, sprichst Du mit ihnen auch darüber?
Und wie! Und ich möchte irgendwann Enkelkinder haben – und ich möchte ihnen in die Augen schauen und sagen können: Ich habe es wenigstens versucht. Und ich möchte, dass sie ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie wir selbst mit kleinen Veränderungen viel erreichen können.
Dein letztes Buch heißt „Die leblose Gesellschaft“. Wie lebendig bist Du?
Ich habe fast schrecklich viel Energie… Nach den Einsätzen in Griechenland im letzten Jahr hat sich mein Leben sehr verändert. Ich blicke anders auf die Menschen und ich gebe mich mit der Antwort „Das geht nicht“ nicht mehr zufrieden. Wir müssen aufhören, uns alles schönzureden.
Auch damit uns die Politiker schönzureden?
Die Politiker sind das eine, das andere ist: Es betrifft jeden einzelnen! Wir müssen der unangenehmen Wahrheit ins Auge sehen, dass wir es in den letzten Jahren vergeigt haben. Die Umweltzerstörung ist noch nie in der Geschichte der Menschheit so schnell vorangeschritten. Das fühlt sich nicht gut an, aber ungute Gefühle haben ja auch eine positive Seite.
Welche?
Sie setzen Kräfte in uns frei, die zuvor in den Komfortzonen unserer Bequemlichkeit dahingesiecht sind. Und das macht lebendig. Das ist, als ob jemand einen Funken zündet.
Was reizt Dich gerade an der „alten Tante SPD“?
Wir brauchen eine starke Sozialdemokratie, um die rechten Kräfte wieder dorthin zu manövrieren, wo sie hingehören: ins Abseits. Es war gut, dass sie sich gezeigt haben. Ich halte das für eine wichtige kollektive Erfahrung, die wir in den letzten Monaten gemacht haben. Jetzt sehnen sich die Menschen nach einer Politik, mit der sie sich verbunden fühlen.
Deine ersten Gespräche mit denen, die Parteierfahrung haben, zeichneten kein motivierendes Bild. Entmutigt?
Nein. Selbst wenn ich feststelle, dass ich nichts von dem, was ich mir vorstelle, umsetzen kann – dann ist das auch eine Erfahrung. Dann suche ich mir einen anderen Weg. Wie gesagt: Wir haben doch gar keine andere Wahl als uns in Bewegung zu setzen. Ich habe das doch in Griechenland gesehen. Viele der Geflohenen kamen aus Bangladesch. Warum? Weil sie gerade ihre Heimat verlieren. Bangladesch liegt nur zwei bis drei Meter über dem Meeresspiegel. Wenn die Polkappen in dem Tempo weiter schmelzen, ist dieses Land in ein paar Jahren einfach weg.
Welche Lösungen schweben Dir vor?
Ich habe viele Ideen, die sowohl im Kleinen als auch im Großen einiges bewirken könnten. Etwas ganz Simples, was jeder umsetzen kann, der einen Balkon hat, ist die Bepflanzung. Oder das Aufstellen eines Insektenhotels. Auch wir in der Stadt können unseren Dünger selbst herstellen. Dafür gibt es kleine Kompostierer, die auf jeden Balkon passen. Firmen könnten darüber nachdenken, die Dächer von ihren Fabrikhallen in Gärten umzuwandeln. In Amerika ist das ein großer Trend. Also es gibt Wege und die meisten von uns kennen sie auch. Wir müssen halt nur unsere Bequemlichkeit überwinden.
Viele beklagen, die Volksparteien seien nicht mehr zu unterscheiden. In Amerika war das „Establishment“ verhasst. Wo siehst Du zwischen SPD und CDU Unterschiede?
Momentan ist der Unterschied nicht sehr groß. Das ist ja gerade das Manko! Großartige Initiativen werden im Kompromissrausch zwischen den Parteien einfach auf Minimalgröße eingedampft. Fürchterlich.
Du meinst, es geht vielen nur darum einen sicheren Listenplatz und damit Pöstchen zu ergattern?
Ein gewisser, nennen wir es mal Machthunger, gehört ja dazu. Ich bin nicht weltfremd. Man muss an richtigen Plätzen sitzen, um an den Stellschrauben zu drehen. Aber wenn es dann nur um Selbsterhalt und nicht mehr um Visionen für ein Land geht, dann läuft irgendetwas gründlich falsch. Und das merken die Bürger.
Was wirst Du anders machen?
Dem verständlichen Frust „Die da oben machen sowieso, was sie wollen“ entgegentreten. Sich nicht wie ein trotziges Kind verhalten, sondern mit anpacken, mitgestalten, eigene Ideen entwickeln.
Wir sind gespannt, danke für Deine Infos!
Neben ihrer Arbeit als Autorin und Coach setzt sich Jeannette Hagen aktiv für Menschenrechte ein. Momentan besonders für Menschen, die aus ihren Ländern fliehen mussten, weil dort Krieg herrscht oder die wirtschaftlichen Verhältnisse so katastrophal sind, dass ein stabiles Leben nicht gegeben ist. Sie war 2016 auch auf Lesbos und in Idomeni und hat gemeinsam mit ihrem Mann einen Hilfsgütertransport nach Griechenland organisiert.
Hier geht es zur Kolumne von Elke auf social-startups.de
Fotos: privat und pixabay