Hört auf mit dem Gegeneinander!
Schreibt Jens Jessen in DIE ZEIT: „Heute ist alles, was Männer tun, sagen, fühlen oder denken, falsch – weil sie dem falschen Geschlecht angehören“. Eine männliche Abrechnung mit Frauen, die sich mit #Aufschrei und #Metoo outeten bzw. gegen sexualisierte Gewalt aussprechen? Oder der längst fällige Perspektivwechsel für einen konstruktiven Diskurs? Fragt Gastautorin Cornelia Lütge und gibt Antworten.
Ich lese den Artikel von Jens Jessen mit aller Offenheit und größter Neugierde! Denn die männliche Perspektive – und, ja, auch die Befindlichkeit – interessiert mich aufrichtig. Wie sonst können wir in diesen hochsensiblen Zeiten einander verstehen lernen, wenn nicht wenigsten durch Neugierde? Dann durch echtes Verstehen-wollen, fragen, zu- und hinhören? Um womöglich zu verzeihen und gemeinsam ein anderes, besseres Miteinander zu gestalten?
Während die aktuelle Ausgabe lädt, mache ich mir einen heißen Espresso. Und daran verschlucke ich mich nach dem dritten Satz das erste Mal! „Man reibt sich die Augen, dass erst so spät sichtbar geworden sein soll, was Frauen zu leiden hatten…“. Von einem „rhetorischem Hexenlabyrinth“ und einem „Geschlecht der Täter“ ist da außerdem die Rede. Und Jessen hat ganz gut recherchiert, zieht einige und vor allem einschlägige Zitate von Mirna Funk und Anne Wizorek heran. Er trumpft weiter mit Zeitgeist-Begriffen wie ‚mansplaining’ sowie bis heute zweifelhaften Anschuldigen in den Fällen Kachelmann und Bruce Weber auf. Warum? Um seinem „Böse können nur Männer sein“ einen überzeugenden Anstrich zu geben. Befürchte ich.
Perfides Gemetzel statt konstruktiver Austausch
„Deswegen bäumen sich ja auch die alten weißen Männer gerade noch mal auf. Wie ein Tier kurz vorm Tod. Sie spüren sehr wohl, dass die Zeit für sie gekommen ist“ zitiert Jessen Mirna Funk, die sich in einem Interview auf editionf zu diesem Statement hinreißen lässt. Wieder verschluckt.
Als berufs- und lebenserfahrene Frau, Mutter zweier Töchter und moderne Feministin distanziere ich mich ausdrücklich von solchen Aussagen. Ich sehe die historischen Tatbestände darin. Und womöglich die Lust der Interviewten zu polarisieren. Denn das verschafft ihr notwendiges Gehör. Es ist mir jedoch viel zu kurz gedacht. Und ich empfinde diese geringschätzenden Haltungen, ob von Männern oder Frauen, als überheblich, wider der Sache und mittlerweile ermüdend.
Frauen und Männer nutzen die digitale Bühne, um zu bewegen, zu informieren und zu überzeugen. Das ist gut so, dient der Demokratie und der Veränderung. Früher hieß es „Papier ist geduldig“. Das Netz vergisst zwar nichts; ermuntert es mit seiner durchlässigen Schnelligkeit für jeden etwa auch, diesen unreflektierten oder unüberlegten Mist in Bites und Bytes zu gießen? Auffallen um jeden Preis in der täglichen Sturmflut an News? Mit Stilmitteln, die perfide und geringschätzend jeweils die Hälfte der Menschheit diskreditieren?
Wo bleibt da ein erwachsener, konstruktiver und gestaltender Austausch?
Geht es um Selbstdarstellung und Selbstbehauptung oder überhaupt noch um ein Ziel für die Menschheit, wenn Frauen und Männer sich gegenseitig derart angiften?
Die Utopie des Gewinnens
Ich weigere mich zu glauben, dass echte Gleichberechtigung auf Gegenseitigkeit dem unbedingten Willen zu gewinnen zum Opfer fallen wird. Jessen drückt es so aus: “So geht es auch heute nicht um Gleichberechtigung der Frauen, sondern um den ideologischen Triumph des totalitären Feminismus“.
Ja, nieder mit dem Patriarchat! Doch eine „Zukunft, die weiblich ist“, halte ich für kein erstrebenswertes Ziel. Ich bin von einem Miteinander der Geschlechter überzeugt, eine Zukunft, in der es nicht ums Herrschen des Feminismus geht.
Männer und Frauen: Hört auf mit dem Gegeneinander! Ich will eine Welt, in der das Weibliche und das Männliche in respektvollem Nebeneinander existieren.
Die Wut von Frauen, ihre Ungeduld – beides kann ich nachvollziehen. Die Angst von Männern, die an alten Strukturen festhalten wollen, ist auch erklärbar. Das darf jedoch in diesem wegweisenden Diskurs nicht zu spaltenden Parolen führen. Im Gegenteil!
Wir müssen stattdessen endlich lernen, noch fordernder, neugieriger, mutiger und wohlwollender aufeinander zuzugehen. Mit dem Blick nach vorne. Zivilisiert. Und unseren Kindern ein ohfamooses Beispiel sein.
Welche Meinung habt ihr zum medialen Schlagabtausch der Geschlechter? Wir sind gespannt auf eure Kommentare!
Fotos: unsplash
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