Ein Stellvertreterkrieg – Paragraf 219a
Inwieweit dürfen Ärztinnen und Ärzte künftig straflos darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten? Warum gibt es den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch immer noch? Darüber ist eine ernstzunehmende Debatte entbrannt. Ich habe dazu Fakten gesammelt und Prof. Dr. Gitsch, Ordinarius für Frauenheilkunde, um einen Kommentar gebeten.
Ich rege mich ja gerne über Frauenthemen auf. Die #Metoo Debatte war so ein Beitrag oder der Schönheitswahn, den Heidi Klum propagiert. Jetzt ist es wieder mal soweit. Diesmal geht es um die Debatte zum Strafgesetzbuch Paragrafen 219a, die meines Erachtens eigentlich eine Debatte zum Strafgesetzbuch Paragrafen 218 ist. Die ersten Schlagzeilen habe ich mit Interesse verfolgt, denn die Debatte begann schon 2017 in Gießen mit Kristina Hänel, einer Ärztin. Ihr findet dazu ganz unten meine Zusammenfassung.
Für mich fängt die eigentliche Debatte mit der Frage an:
Wird der Wille der Frau denn überhaupt beachtet?
Grundlage für die gegenwärtige deutsche Gesetzgebung ist der im Jahr 1871 im Reichsstrafgesetzbuch unter Bismarck verankerte Paragraf 218, der in veränderter Form noch heute gilt. Ganz das Gegenteil zu der ehemaligen DDR, wo Frauen seit 1972 über die Familienplanung selbst entscheiden durften. Ein Schwangerschaftsabbruch war in der ehemaligen DDR vollkommen straffrei. Der heute geltende § 218 StGB ist gerade für Frauen, die in den neuen Bundesländern aufgewachsen sind, nur schwer zu verstehen und viele fühlen sich ihrer Selbstbestimmung beraubt. Aber auch die Journalistin und Netz- und Frauenrechtsaktivistin Teresa Bücker sagte kürzlich in der Talkshowrunde bei Anne Will: „Wir behandeln Frauen noch immer wie unmündige Bürger.“
Was ist, in Sachen Schwangerschaftsabbruch, Werbung – und was ist Information?
In Deutschland ist eine Abtreibung ohne medizinische oder kriminologische Indikation keinesfalls legal. Der Schwangerschaftsabbruch kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden und bleibt nur straffrei, wenn Frauen die Schwangerschaft in den ersten drei Monaten abbrechen und sich vorher beraten lassen. Die Beratung ist Pflicht.
Zu dieser Schwangerschaftskonflikt-Beratung gibt es vom Staat legitimierte Institutionen. pro familia z.B. hat den gesetzlichen Auftrag, Schwangere bei Ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen. Sie versprechen einen wertschätzenden und respektvollen Umgang mit den Beweggründen und dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau. pro familia informiert über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs, Einrichtungen, die ihn durchführen, die Kosten und die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme und nach Abschluss der Beratung erhält man auf Wunsch die für einen straffreien Abbruch notwendige Bescheinigung.
Bei Familienplanung.de finde ich folgendes: „Es ist die gesetzliche Aufgabe der Schwangerschaftskonflikt-Beratung, zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Trotz dieser Vorgabe sind alle Beraterinnen oder Berater verpflichtet, die Beratungsgespräche ergebnisoffen zu führen.“
Wie steht es in Europa?
Nach meiner Recherche wird der Schwangerschaftsabbruch, trotz vieler EU-Gesetze, in den europäischen Ländern unterschiedlich gehandhabt. Unser Nachbarland Holland zählt zu den liberalsten europäischen Ländern mit einer Fristenregelung von 24 Wochen. Nach einem Gespräch mit einem Arzt muss die Frau lediglich eine fünftägige Bedenkzeit abwarten, ehe sie in einer Klinik behandelt wird. In Frankreich können Frauen bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche abtreiben, müssen sich jedoch an zwei Terminen von einem Arzt oder einer Hebamme beraten lassen. Und selbst im katholischen Spanien sind Abtreibungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche zugelassen. Sogar in Irland, wo bislang eines der strengsten Abtreibungsgesetze der Europäischen Union galt, kann eine Frau jetzt legal abtreiben.
Müssen wir Frauen in Deutschland Adressen von Arztpraxen wie in alten Zeiten geheim weitergeben oder weit reisen, um einen Abbruch vornehmen zu lassen?
Warum wird der Paragraf 219a nicht einfach gestrichen?
Abtreibungen sind mit dem Paragrafen 218 gesetzlich geregelt, folglich müssen Ärzte und Ärztinnen auch darüber informieren dürfen. Zudem müssen Frauen recherchieren können, was medizinisch auf sie zukommt – auch via Internet.
In der bereits erwähnten TV-Debatte bei Anne Will äußert sich die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wie folgt: „Der Paragraf 219a war schon immer umstritten.“ Sie erklärt, dass selbst Juristen der Ansicht sind, dass die Auskünfte, die Ärzte und Ärztinnen zu Schwangerschaftsabbrüchen geben, keine Werbung seien, sondern sachliche Informationen – und man deswegen den Paragrafen 219a nicht brauche. Hinzu kommt, dass die Zahl der Ärzte in Deutschland, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, seit Jahren abnimmt. Die FDP-Politikerin hält das für eine alarmierende Entwicklung: „Der Staat kommt seiner Schutzpflicht nicht mehr nach.“ Aber Leutheusser-Schnarrenberger möchte den Paragrafen 218 nicht grundsätzlich zur Debatte stellen, denn sie befürchtet, dass dies anschließend sogar eine Verschärfung des Abtreibungsverbots zur Folge haben könnte. Kann das sein? Hallo Deutschland?
Warum unterstützt der Staat seine Frauen nicht?
Ein fauler Kompromiss: SPD und Linke hatten schon länger eine Streichung des Paragrafen 219a in Erwägung gezogen. Eine Mehrheit dazu gäbe es im Parlament – zumindest rechnerisch: Die SPD könnte mit den Stimmen von Grünen, FDP und Linke den Paragrafen abschaffen. Doch das wäre ein Affront gegen den Koalitionspartner CDU/CSU – mit der Gefahr, die Koalition zu sprengen. Also einigt man sich auf einen Kompromiss, den die FDP als Kotau der SPD bezeichnet. Ärzte und Kliniken dürfen künftig informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, müssen aber für detaillierte Informationen auf Beratungsstellen und Behörden verweisen. Das Werbeverbot selbst bleibt bestehen, Paragraf 219a wird lediglich um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt.
Ein Ordinarius meldet sich zu Wort
Prof. Dr. Gerald Gitsch, Ordinarius für Frauenheilkunde an der Universität Freiburg, sagt dazu auf unsere Anfrage: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer ein Trauma für die betroffene Frau (und möglicherweise auch für den jeweiligen Partner). Nicht nur der Abbruch selbst, sondern auch die Situation, die ihn notwendig macht. Auch der Arzt/die Ärztin empfinden einen Abbruch als belastend. Das Ausmaß der Belastung hängt allerdings stark vom sozialen/regionalen/religiösen Hintergrund der Beteiligten ab.
Transparente Aufklärung tut not, Informationen über Abbrüche dürfen die Grenze zur Werbung nicht überschreiten. Klar ist, dass Abbrüche soweit wie möglich durch Aufklärung und Prävention verhindert werden sollten.
Die Gesetzeslage in Deutschland, einen Abbruch zu verbieten aber straffrei zu stellen, ist feige und bigott.
Prof. Dr. Gerald Gitsch
Ich meine: Nicht nur Frau Hänel wird sich darüber freuen, dass es Gleichdenkende in ihrem Berufsstand gibt, denen es um das Wohl der Frauen geht. Aber solange Politiker nicht den Mut haben, für das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung einzustehen, fallen Frauen in Deutschland der Politik zum Opfer.
Soviel zur Gleichstellung der Frau in Deutschland!
Hintergrund zum Anstoß der Debatte Paragraf 219a
Auf der Internetseite der Praxis der Fachärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel findet man unter der Kategorie Spektrum den Bulletpoint: Schwangerschaftsabbruch.
- Laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs wurde Hänel wegen unerlaubter Werbung für Abtreibungen vom Amtsgericht Gießen 2017 zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Denn Paragraf 219a verbietet Werbung für Abtreibungen aus finanziellem Eigeninteresse oder ‚in grob anstößiger Weise‘.
- Laut der Gießener Allgemeinen Zeitung erklärte die Amtsrichterin, der Gesetzgeber wolle nicht, dass öffentlich so über einen Schwangerschaftsabbruch diskutiert werde als sei es eine normale Leistung von Ärzten. Vielmehr sei der gesetzgeberische Wille, dass Informationen bei den Beratungsstellen liegen, die Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch aufsuchen müssen. Dort seien auch Listen über Kliniken und Ärzte vorhanden.
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Fotos: Sonja Ohly und pixabay