Künast-Urteil: „Facebook, I am leaving!“
Man muss Renate Künast weder lieben noch wählen. Aber ernst nehme ich sie – und noch ernster die derzeitige Debatte über das Urteil des Berliner Landesgerichts zu wüsten Beschimpfungen auf Facebook gegen eben jene Grünen-Politikerin. Und als unser Gastautor Uwe Alschner ankündigt, Facebook deshalb den Rücken zu kehren, beschäftige ich mich mehr mit diesem Thema.
Rückblende: Renate Künast hatte per Gerichtsentscheid erreichen wollen, dass Facebook die personenbezogenen Daten von 22 Nutzern herausgeben darf. In der Vergangenheit war die Politikerin auf Facebook rüde beschimpft worden; mehrfach und so ätzend, dass wir die übelsten Parolen hier bewusst nicht aufgreifen. Nur ein Beispiel, um klarzumachen was gemeint ist: So wurde in einem Kommentar die Formulierung „…die Fresse polieren“ genutzt. Einschätzung des Landgerichts nur dazu:
„Wie aus den Worten ’bei solchen Aussagen’ deutlich wird, handelt es sich bei der Aussage ‘Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren’ um eine auf die im Post bezogene Äußerung bezogene und damit sachbezogene Kritik. Eine Beleidigung nach § 185 StGB liegt damit nicht vor.“
Es gibt weitaus krassere Beispiele. Gegen die Urheber dieser Beleidigungen wollte Renate Künast laut ihres Anwalts Severin Riemenschneider zivilrechtliche Schritte einleiten. Das ist nun zunächst nicht möglich, da es sich laut Gerichtsurteil um zulässige Meinungsäußerungen handelt. Also bekommt sie die Daten vorerst nicht.
Unser Gastautor Uwe Alschner ist so fassungslos, dass er wenige Tage nach Bekanntwerden des Urteils Facebook den Rücken kehrt. Schweren Herzens, denn Uwe, der seit 2007 Facebook nutzt, weiß auch: „Es war eine coole Geschichte, um mit Freunden in Kontakt zu sein. Selbst dann noch, als Facebook diese Möglichkeit der Begegnung zur Cash-Cow gemacht hatte. Aber zwischen Cash-Cow-Melker und Totengräber der Zivilgesellschaft gibt es eine Grenze, die Facebook offensichtlich nicht einhalten will. Macht, was Ihr wollt. Aber ohne mich!“
Ich frage bei Uwe nach.
Momentan schimpfen viele auf das Berliner Landgericht, Du gehst noch einen Schritt weiter…
Uwe: Ja, ich klage gängige Facebook-Praxis an. Denn dass Renate Künast klagen musste, um grobe Verletzungen ihrer Persönlichkeit zu unterbinden, die auf Facebook geteilt wurden und werden, ist doch das eigentliche Problem. Und leider ist sie nur ein prominenter Fall von vielen. Nur weil ein deutsches Gericht ihren Antrag ablehnte, wird dadurch die Facebook-Praxis, solche geistigen #Brandstiftungen zu dulden und sie als „Meinungsfreiheit“ gar noch zu adeln, nicht besser. Im Gegenteil!
Du erklärst auf Facebook, in Deinem letzten Post, dass Facebook seine Verantwortung für zivilisierten menschlichen Umgang nicht ansatzweise wahrnimmt und siehst das gesellschaftliche Miteinander in Gefahr.
Uwe: So ist das. Eine zivile, bürgerschaftliche Gesellschaft darf doch erwarten, dass Big Shots wie Mark Zuckerberg, Sheryl Sandberg oder Nick Clegg genau wissen, was zu tun wäre: selbst tätig werden und Facebook sauber halten. Im Kleinen gebt Ihr auf ohfamoos doch genauso Acht. Persönliche Integrität muss sichergestellt, die Würde des Menschen geschützt werden. Stattdessen verstecken sie sich hinter hohlen Phrasen, anstatt ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es reicht offenbar nicht, mit unseren Daten Unsummen zu verdienen, nein, sie nehmen in Kauf die Gesellschaft dabei zu spalten.
Du bist selbst auch Blogger, Facebook ist also sehr nützlich für Deine Reichweite…
Uwe: Ich hoffe, dass mir viele folgen. Denn wenn nur Einzelne Facebook den Rücken kehren, aber sonst alle munter weiter ihren Nutzen suchen, dann wird sich nichts ändern. Dann setzt sich der destruktive Impuls durch. Und ja, es stimmt, für meine Seiten müsste ich eigentlich weiter auf FB bleiben, weil es nützt. Aber es wäre verantwortungslos von mir, nur deswegen nicht zu tun, was getan werden muss. Ich halte diesen schleichenden Destruktivismus für brandgefährlich..
Hier mehr über Uwes Entscheidung – zum Lesen/Hören/Sehen.
Der Hass, der nicht nur im „sozialen“ Netz wütet, ist etwas, was auch Politiker beunruhigt. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die kürzlich zur Oberbürgermeister-Kandidatin ihrer Partei für die Kommunalwahl in Düsseldorf/NRW 2020 gewählt wurde, schreibt über das Urteil im Cicero:
„Die Richter, die dieses Urteil gefällt haben, machen sich mitschuldig. Sie sind die Totengräber eines sozialen Miteinanders.“
Denn Sprache sei nicht nur Kommunikation sondern Ausdruck von Respekt und einem kultivierten Miteinander. „Wenn diese Kultur nicht mehr geschützt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit und den üblen Worten folgt die Gewalt.“
Ihr Kollege, der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle regt gesetzgeberische Konsequenzen an. „Der Gesetzgeber sollte darüber nachdenken, ob er die Auskunftsansprüche der Opfer von Hass und Hetze im Internet klarer regelt“, sagte Kuhle, der seit 2015 im FDP-Bundesvorstand sitzt, dem Handelsblatt. „Solche Beleidigungen muss sich niemand bieten lassen.“ Nach Vorstellung Kuhles müsste dann ein Richter entscheiden, ob etwa Facebook oder Twitter Daten über den Urheber von Hetze herausgeben müssen.
So informiert das ZDF über das Urteil.
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