Abenteuer Rikscha
Eine schöne Idee: Senior*innen eine Rikschafahrt zu ermöglichen. Und das nicht im fernen Asien, wo dreirädige, motorbetriebene Tuk-Tuks das Straßenbild säumen, sondern hier in Deutschland. Das ist in einigen Städten längst möglich, auch in Köln. Kürzlich berichtete mir meine Freundin Heike davon, dass sie eine Fahrrad-Rikscha angeschafft habe. Und ich durfte zur Probe einsteigen!
Was steckt hinter der Rikscha-Idee? Heike Zeeh möchte Senior*innen, die allein nicht mehr so gut mobil sind, in die Rikscha holen. Heike ist seit 2006 Sozialarbeiterin bei der Evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Kirche in Köln-Junkersdorf. Im Herbst 2019 hat sie für ihre Gemeinde eine Rikscha organisiert.
Rikschas, lese ich auf Wikipedia, wurden ursprünglich in Japan erfunden und waren für Europäer in Tokio gedacht, welche die engen japanischen Sänften nicht benutzen konnten. Ich recherchiere weiter und staune, wie verbreitet die Idee bereits ist: So bietet zum Beispiel Bernhard Tscherny bereits seit Jahren Rikscha-Fahrten in Köln an und sagt in einem Interview lächelnd: „Wenn die Leute aussteigen, sind sie zwanzig Jahre jünger.“
Zufällig habe ich ihn und seine sogenannte „Seniorita Amalia“ (Foto links) 2019 auf einem Stadtteilfest getroffen: Ich hörte lautes Singen, drehte mich um und er radelte auf mich zu. Die beiden Damen, die er beförderte, sangen aus Leibeskräften kölsche Lieder. Schnell konnte ich einen Schnappschuss (s. Foto) machen, dann zogen die drei fröhlich weiter.
Und: Es gibt sogar einen Verein, der sich „Radeln ohne Alter Deutschland e.V.“ nennt. Ziel des Gemeinschaftsprojekts: Älteren Menschen den Zugang zur Gemeinschaft und Gesellschaft zu ermöglichen. Dafür werden ehrenamtlich Rikscha-Ausfahrten mit Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen unternommen. Auf der Website von Radeln ohne Alter heißt es: „Eine Rikschafahrt ist ein Abenteuer, bei dem Eindrücke der Fahrt ebenso geteilt werden wie Lebensgeschichten. Die Fahrt bereichert beide, Pilot und Passagier. Eine simple Ausfahrt macht aus Unbekannten Nachbarn, manchmal Freunde.“
Genau das ist auch der Ansatz von Heike. Sie weiß, wie einsam sich ältere Menschen fühlen können, und macht denen, die nicht mehr allein raus in die Stadt können, ein Angebot. Sie hat sich überlegt, wem sie Fahrten anbieten kann, hat Fahrer und Sponsoren gefunden und die letzten Wochen bereits genutzt, um erste Fahrten zu unternehmen.
Gerade jetzt, wo viele in unserer Gesellschaft „Social Distancing“ praktizieren, wächst das Gefühl von Abgeschiedenheit. So ist man bei Radeln ohne Alter überzeugt: „Die Risikogruppe erfährt aktuell weder Nähe noch gesellschaftliche Teilhabe oder die Möglichkeit, unbeschwert den Wind in den Haaren zu spüren.“ Dabei sei es doch so wichtig, einfach mal den Kopf frei zu kriegen, spazieren zu gehen oder sich aufs Fahrrad zu setzen. Deshalb bereitet man sich nun ganz besonders darauf vor, Senior*innen nach der Pandemie das Gefühl von Freiheit, Teilhabe und Nähe zu schenken!
Ich frage Heike, ob sie mich mal mitnimmt auf eine Probefahrt. Nichts lieber als das! Und ja, natürlich achten auch wir momentan auf Abstand, was aufgrund der Größe der Rikscha problemlos möglich ist. Ich steige ein und sitze sofort schön bequem. Bin zudem beruhigt zu erfahren, dass die Rikscha motorisiert ist: Heike kann auf dem E-Bike jederzeit den elektrischen Motor dazu schalten. Auch wenn die 56-jährige sehr sportlich ist: Ich bin ja kein Püppchen und meine 1,81m sind kein Pappenstiehl 🙂
Und dann geht’s schon los – der Fahrtwind wirbelt mir frühlingshaft um die Nase, wir sind an einem warmen Maitag unterwegs, ich spüre die Sonne im Gesicht. Wie wohltuend! Später werde ich auch mal die flexible, himmelblaue Haube runterziehen, die jeder Passagier ganz einfach mit der Hand bedienen kann, um sich vor Sonne, Wind oder Regen zu schützen…
Zusammen haben wir uns auf die Fahrt gemacht; zu netten Seniorinnen, die Heike aus ihrer Arbeit kennt. Alle, die wir auf ein HALLO besuchen, finden die Idee wunderbar, einige steigen zur Probe ein. In der Coronazeit ist man noch vorsichtig, was Heike versteht.
Deshalb unternimmt sie, um Abstand zu wahren, momentan auch nur Fahrten mit Leuten aus ihrer Gemeinde, die selbständig ein- und aussteigen können. Kürzlich habe sie, erzählt sie mir, eine Dame angerufen, deren Mann stark gehbehindert ist und den man zu zweit in die Rikscha hätten hieven müssen. „Schade“, sagt Heike, „solche Kunden muss ich noch auf die Zeit „nach Corona“ vertrösten. Aber die Resonanz zeigt mir schon jetzt, dass die Idee ankommt.“
Auch die Evangelische Kirche im Rheinland hat schon berichtet und lobt: „Eine Aktion, die für Aufmerksamkeit sorgt und richtig gute Laune ins Veedel bringt.“ Schließlich müsse gesunde Distanz in der Besuchsarbeit nicht das Ende sozialer Kontakte sein.
So ist das – und wir beide hatten bei unserer Probefahrt bereits viel Spaß. Wir wurden zu einem Kaffee eingeladen, haben Eis gegessen und, weil Heike in Junkersdorf so schön bekannt ist, vielfach gleich auf der Straße angesprochen.
Dann ergeben sich nette Gespräche und ich freue mich zu sehen, wie Sozialarbeit heute laufen kann, wenn man sie phantasievoll umsetzt. Heike erklärt dann gern, was mit einer Rikscha alles möglich ist.
Hier nur ein paar Ideen: Eine Spazierfahrt, z.B. durchs Grüne oder einfach durchs Veedel. Abholen zu einem Termin, wohin man zu Fuß nicht gut kommt. Vielleicht will man eine solche Fahrt auch als Geburtstagsgeschenk machen? Vorstellbar wäre zudem ein kleiner „Lieferservice“ innerhalb der Gemeinde, um Senior*innen zum Beispiel mit Büchern oder Rätselheften zu versorgen. Wobei Heikes Traum ist: Die Rikscha wie ein „Seelsorge-Mobil“ zu nutzen. Als ich sie fragend anschaue, ergänzt sie: „Ich glaube, dass man auf einer Rikscha echt tiefsinnige Gespräche führen kann.“
Habt Ihr auch noch Ideen für die Nutzung einer solchen Rikscha? Heike ist offen dafür! Wer mit ihr Kontakt aufnehmen möchte, vielleicht sogar selbst gerne Rikschafahren lernen und/oder als Gast mitfahren möchte, kann sich bei Heike Zeeh melden unter 02234-959655. Wir finden das alles jedenfalls sehr ohfamoos und wünschen ihr ganz viel Erfolg.
Übrigens: Die Idee kam, bereits im Vorfeld, so gut an, dass Heike gleich mehrere Sponsoren und Unterstützer gefunden hat: das Diakonische Werk, die KastanienHof Stiftung, den Lions Club und die Stadt Köln!
Text und Fotos: Elke Tonscheidt