Natalia Klitschko – eine Mahnung voller Würde
Kürzlich habe ich schallend gelacht. Es war in der „vor Ukraine“-Zeit, als es noch keinen Krieg in Europa gab. Wie einfach sich das schreibt, noch keinen Krieg in Europa gab… gruselig. Jedenfalls hatte mir eine Freundin gesagt, wie lustig doch der Artikel in der ZEIT sei über eine Frau, die mit ihrer ganzen Familie in Corona-Quarantäne war. Erst ein Kind infiziert, dann sie, dann das andere, irgendwann alle. Und ich habe den Artikel gelesen und, wie gesagt, sehr gelacht.
Als ich mir jetzt den Artikel wieder hervorhole (ich lasse Zeitungsartikel gern so liegen, dass sie mich deutlich mahnen, auch gelesen zu werden), denke ich: Puh, ob die Autorin den jetzt noch so schreiben würde? Nicht, weil er schlecht geschrieben ist. Gar nicht. Er ist wirklich lustig.
Wie sie beschreibt, wie sie mit ihren Kids vor lauter Quarantäne-Langeweile Salzteig-Coronaviren backt und der Sohn die Tochter ärgert, weil er den Schneemann nicht erkennt, sondern Kackhaufen. Oder wenn Mutter und Tochter auf dem Balkon stehen und sich Luft machen müssen, indem sie laut ihre Genervtheit in den Wind schreien, also „brüllen aus sich heraus, was geht“.
Und ich stutze, dass ich darüber gelacht haben soll, denn ich stelle mir vor, wie gern jetzt ganze Brigaden von Menschen lieber auf einem Balkon stünden als in ihrem zerbombten Hochhaus irgendwo in der Ukraine, wenige Flugstunden von Deutschland entfernt.
Oder wenn einer meiner geschätzten Journalisten-Kollegen aus Köln sich und seine Leser*innen in seiner beliebten Kolumne ironisch fragt, wer nochmal Herr Lauterbach sei – weil über den und die Pandemie ja momentan so gut wie keine*r mehr berichte. Ja, genau, da war doch was, ach ja: Corona.
Großartiger Zwischenruf von Natalia Klitschko
Ich belasse es bei diesen zwei Beispielen und schreibe das so selbstkritisch wie möglich: Bitte nicht denken, dass ich mich über die Kollegin oder den Kollegen mokiere oder aufrege. Keineswegs. Auch Sonja und ich schreiben hier ja über scheinbar belanglose und dennoch wichtige Themen. Das gehört dazu zum Leben.
Aber ich möchte gern auf einen anderen Punkt aufmerksam machen. Und dazu empfehlen, die Aufzeichnung des Interviews mit der ukrainischen Sängerin und Ehefrau von Vitali Klitschko anzusehen. Unbedingt!! Ein großartiger Zwischenruf von Natalia Klitschko, eine Mahnung voller Würde.
Diese Frau steht so energisch und konsequent für ihr Land ein. Ich finde das eindrucksvoll und fast beschämend für uns, die vom Sofa aus regieren.
Wie Natalia Klitschko stolz in der NDR-Talkrunde sitzt und ohne Anklage spricht.
Und dabei hätte sie so viel Anlass zu weinen, zu jammern, zu verurteilen. Über die Situation ihrer Mutter, die 12 km von Kiew entfernt ausharrt, um anderen zu helfen. Die nicht flieht, sondern ihr Land verteidigen will und für die Nachbarn kocht. Über die Situation ihrer drei Kinder, die jeden Tag am Telefon hängen, um zu fragen, wie es ihrem Papa geht. Auch das russische Volk verurteilt sie nicht, selbst die russischen Soldaten nicht. Und, und, und. Langeweile in der Pandemie? Ich bin fast sicher, dass sie diese auch vor Kriegszeiten nicht so zugelassen hätte wie wir Deutschen.
Ich empfinde uns – verglichen mit diesem kämpferischen ukrainischen Volk – als zimperlich, mich eingeschlossen.
Und dabei habe ich viel für empfindsame Seelen übrig. Ich glaube nur, dass wir jetzt ALLE mit anpacken sollten. Einer unserer Gastautoren, der ohfamoose Detlef Untermann, stellte am Telefon schon die Frage, ob wir Deutschen wohl auch frieren würden, statt sich nur zu schämen…
Wie ein Engagement dann aussieht, das entscheidet in einer Demokratie jede*r selbst. Aber d a s s wir etwas tun sollten, steht für mich außer Frage. Schöne Sonntagsreden sind passé. Dann lieber ruhig sein, wenn man nicht kann. Auch dafür gibt es ja gute Gründe.

Kasia Mol-Wolf (oben) im Gespräch mit Tatjana, die aus Odessa geflüchtet ist.
Empfehlen möchten wir abschließend zweierlei. Zum einen die Empfehlung mitzuverfolgen, wie die Frauenzeitschrift emotion, die sich speziell an Frauen zwischen 25 und 49 Jahren richtet, das Thema Krieg und Flucht vermittelt. Kasia Mol-Wolf, die die Zeitschrift 2019 übernahm und weiterentwickelte und selbst eine Fluchtgeschichte (aus Polen) hinter sich hat, ist auf Instagram u.a. mit der Ukrainerin Tatjana verknüpft.
Die beiden Frauen sprechen dort seit einiger Zeit miteinander. Das ist live mitzuverfolgen. Ich habe mitgehört, als Tatjana gerade in Regensburg angekommen war. Zusammen mit ihrem 15jährigen Sohn Max ist sie aus Odessa geflohen.
Die Ukrainerin erklärt, wie schwer es ihr falle, ihr Heimatland verlassen zu haben. Aus erster Hand erfahren wir, wie riesig die Hilfsbereitschaft in Rumänien ist – Tatjana und Max kamen über Bukarest. Genauso groß sei die Solidarität in Polen und Moldawien. Um es mit den Worten von Tatjana zu schreiben: „Man glaubt echt nicht, was einem alles passieren kann.“ Ihre Stimmung beschreibt Tatjana mit den Worten Hoffnung und Angst. Und schnellstmöglich möchte die Ukrainerin in Deutschland als Dolmetscherin tätig werden, um von hier aus zu helfen.
Unsere Empfehlung für alle, die spenden möchten
Zum anderen unsere Empfehlung für alle, die spenden möchten: Die Nothilfe für Frauen und Mädchen in der Ukraine von UN Women der United Nations. Seit über 7 Jahren arbeitet diese Organisation in der Ukraine mit entsprechendem Netzwerk. Die Geschäftsführerin von UN Women Deutschland, Bettina Metz, hat ihrer Freundin Sonja Ohly folgendes Statement gegeben:
„UN Women leistet vor Ort Nothilfe und sorgt dafür, dass bei allen Maßnahmen die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Frauen, die mit ihren Kindern auf der Flucht sind. Frauen und Mädchen sind besonders gefährdet, sexualisierter Gewalt ausgesetzt zu sein. Es ist einer der Kernaufgaben von UN Women alle Helfer*innen dafür zu sensibilisieren und alles zu tun, um Frauen zu schützen.“
Es sind definitiv keine ohfamoosen Zeiten gerade. Umso wichtiger, wenn wir mitgestalten und etwas tun.