Wie Fenster in eine andere Zeit
Das Lenbachhaus und sein roter Schrank
Wann warst du das letzte Mal im Museum? Und kannst du dich an den Museumsvorplatz erinnern? In München, direkt vor dem bekannten Lenbachhaus, steht jetzt ein roter Schrank, offen für alle. Ein Offener Bücherschrank, den das Kunstmuseum hat aufstellen lassen. Ins Leben gerufen haben das Bücherschrank-Projekt direkt vor einem Museum diese beiden: Elisabeth Giers, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lenbachhaus, und ihr Kollege Adrian Djukić, Bibliothekar. Elke hat mit ihnen gesprochen, denn sie betreuen den Schrank auch. Welche Erfahrungen sammeln sie tagtäglich? Können sie es anderen Museen empfehlen, „so etwas“ auch zu versuchen?
Interview mit Elisabeth Giers und Adrian Djukić
Elke Tonscheidt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Bücherschrank zu erwerben?
Elisabeth Giers: Wir haben seit einiger Zeit überlegt, wie wir unseren Museumsvorplatz aufwerten können, die Aufenthaltsqualität verbessern können und neue Angebote für unsere Besucher*innen aber auch die Stadtgesellschaft insgesamt schaffen können. Ein offener Kunstbücherschrank erschien uns dabei als eine ideale Idee, einen konsumfreien Treffpunkt, die Möglichkeit der Teilhabe und eines inhaltlichen Austauschs anzubieten.
Und welche Zielvorstellung hatten Sie?
Adrian Djukić: Mit dem öffentlichen Bücherschrank möchten wir vor allem auch Barrieren abbauen, denn Museen erreichen nach wie vor nur einen Teil der Bevölkerung. Das hat natürlich gesellschaftliche Gründe.
Die da wären?
Adrian Djukić: Neben finanziellen Aspekten hat das häufig auch damit zu tun, dass Orte wie Museen häufig als elitär, verschlossen oder fremd wahrgenommen werden. Seit gut zwei Jahren bieten wir daher an jedem ersten Donnerstag im Monat von 18 – 22 Uhr die Möglichkeit, das Museum bei freiem Eintritt zu besuchen.
Aber das ist natürlich ein Angebot „für drinnen“…
Adrian Djukić: Genau, deshalb wollten wir mit dem offenen Kunstbücherschrank ein Angebot dieser Art auch außerhalb unserer Museumsräume im öffentlichen Raum fortsetzen.

Wie läuft das?
Elisabeth Giers: Der Schrank steht rund um die Uhr, an jedem Tag im Jahr zur Verfügung und lädt zum „aktiven“ Mitmachen ein. Interessierte können sich Bücher, die sie dort entdecken, anschauen oder auch mitnehmen und sie können ihre eigenen Buchempfehlungen mitbringen. So entsteht eine kleine Kunst-Bibliothek, die von allen mitgestaltet wird und sich im ständigen Wandel befindet.
Erfüllt der neue Schrank Ihre Erwartungen?
Elisabeth Giers: Wir waren sehr gespannt, wie der Schrank von den Besucher*innen und Passant*innen aufgenommen werden würde und sind nach den ersten 4 Monaten, die er nun auf unserem Vorplatz steht, sehr froh und überrascht, wie rege er genutzt wird. Er hat sich tatsächlich zu einem neuen Treffpunkt entwickelt und immer mehr Menschen bringen Bücher mit Kunstbezug vorbei.
Sind Bücher heutzutage nicht out?
Adrian Djukić: Ganz und gar nicht! Sicherlich hat sich die Bedeutung und der Umgang mit Büchern durch die allgegenwärtige Nutzung digitaler Medien verändert. Aber vielleicht werden gerade dadurch die besonderen Qualitäten von Büchern auch stärker sichtbar.
Wie meinen Sie das?
Elisabeth Giers: Allein die Haptik des Umschlags und des Papiers beim Durchblättern eines Buches ist ja eine ganz andere sinnliche Erfahrung als das Klicken oder Wischen über digitale Oberflächen. Auch die grafische Gestaltung oder das Betrachten von Bildern wird in einem gedruckten Kunstbildband anders erfahrbar als am Bildschirm.

Gibt es ganz besondere Bücher in Ihrem Schrank?
Elisabeth Giers: Ja. Zudem funktionieren die Bücher, die sich in unserem Schrank versammeln, häufig auch wie Fenster in eine andere Zeit oder in einen unerwarteten Kontext, denn immer wieder finden sich dort Ausstellungskataloge oder Bildbände aus Jahrzehnten, in denen es noch keine digitalen Medien gab und Bilder und andere Inhalte entsprechend anders verfügbar waren und anders aufbereitet wurden.
Sprich Sie machen alte Schätze wieder erlebbar?
Adrian Djukić: Wir denken schon. Besonders Kunstbücher verschwinden oft in privaten Bereichen oder eben in Museen, dies wollten wir ändern. Als Medium des Austauschs und der Verständigung über die Wirklichkeit sind Bücher immer noch unschlagbar. In unserer täglichen Arbeit am Museum haben wir sehr viel mit Büchern zu tun, sei es als wichtige Quellen für unsere wissenschaftlichen Recherchen, oder auch als Teil der Ausstellungen selbst. Und natürlich veröffentlichen wir eigene Publikationen in Form von Ausstellungskatalogen, Künstler*innen-Büchern oder Textsammlungen – dies häufig im Eigenverlag. Wichtig ist für uns dabei immer die Frage: was könnte auch nach Abschluss einer Ausstellung noch von Interesse sein?

Wenn Sie einem Dritten von dem Schrank erzählen, ist das, was er/sie gedanklich mitnehmen soll, dieses:
Elisabeth Giers: Mit unserem offenen Kunstbücherschrank möchten wir ein Angebot für alle schaffen, die sich für Bücher und Kunst im weiteren Sinne interessieren. Mit dem Kunstbücherschrank geht es uns darum, in den öffentlichen Raum zu gehen, die „Mauern“ unseres Museums zu verlassen.
Klappt das?
Adrian Djukić: Das Angebot ist kostenfrei, rund um die Uhr nutzbar und funktioniert nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens. Insofern würden wir Ihre Frage mit ja beantworten. Der Bücherschrank ist ein erster Schritt beim Vorhaben, unseren Museumsvorplatz langfristig umzugestalten, weg vom reinen Durchgangsort hin zu einem Ort, der zum Verweilen einladen soll und den wir vielfältig beleben und nachhaltiger gestalten möchten.
Spielt es eine Rolle, was der Schrank inhaltlich bietet, und wie sortiert er ist?
Adrian Djukić: Nochmal ja 🙂 Als Mitarbeitende eines Kunstmuseums war es uns ein zentrales Anliegen, einen inhaltlichen Bezug zu unserem Haus herzustellen und den Schrank auf Kunstbücher im weitesten Sinne zu spezialisieren. Das Schöne ist, dass innerhalb dieses Rahmens alle die Inhalte des Schrankes mitgestalten können.
Und „alle“ tun das auch?
Elisabeth Giers: In den ersten Monaten waren bereits zahlreiche interessante und ungewöhnliche Stücke zu finden, wie etwa ein altes Skizzenheft, eine kleine Sammlung von historischen Kunstpostkarten, aber auch Magazine zu architektonischen Themen und einige Raritäten an Ausstellungskatalogen. Das Schöne ist, dass sich diese Inhalte wirklich ständig im Fluss befinden und wir eine täglich veränderte Auswahl an Büchern vorfinden.
Täglich? Das ist ja klasse, letzte Frage: Wodurch profitiert ganz besonders das Lenbachhaus von diesem Schrank?
Elisabeth Giers: Wir möchten möglichst vielfältige Angebote schaffen, sowohl für unsere Besucher*innen, die gezielt von weiter her anreisen, um das Lenbachhaus zu besuchen, aber auch für die Nachbarschaft und gesamte Stadtgesellschaft, die öfter oder regelmäßig bei uns vorbeikommt. Neben unseren Ausstellungen und Veranstaltungen lädt das Lenbachhaus bereits mit einem wunderschönen historischen Garten und dem Restaurant mit Blick auf die Propyläen jenseits unseres Programms zum Verweilen und mit einem sehr gut sortierten Museumsshop zum Schmökern und Entdecken ein.

Doch noch eine Frage… glauben Sie, dass Sie damit den öffentlichen Raum verändert haben?
Adrian Djukić: Sagen wir so: Mit dem offenen Kunstbücherschrank auf dem Vorplatz gibt es nun einen Treffpunkt, der auch ohne finanzielle Hürden und jenseits unserer Öffnungszeiten an jedem Tag und zu jeder Tageszeit nutzbar ist. Einen solchen Umgang mit dem öffentlichen Raum begrüßen wir im Lenbachhaus auf jeden Fall sehr.
Wir bedanken uns nicht nur für das Interview! Danke auch für die schönen Fotos bei der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, insbesondere bei den Fotografen Simone Gänsheimer und Lukas Schramm.
So beschreibt das Lenbachhaus das Projekt auf der eigenen Website.
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Und deshalb sagen wir: Museen sind wichtig …
