Über Liebe und Wahnsinn im Bücherschrank
Was haben Hunderte selbstgebrannter CDs, ein Kronkorken und eine Lesebrille gemeinsam? Es sind Fundsachen im Bücherschrank. Aber noch andere kuriose Dinge finden Bücherfreunde. Sie zu vernetzen, das hat sich die Stiftung Neuer Raum zur Aufgabe gemacht. Elke moderiert deren Events und hat einen Mann interviewt, der sich beherzt um einen Kölner Bücherschrank kümmert.
Bücherschränke – hat jede*r schon mal gesehen. Viele nutzen sie auch regelmäßig. Aber wer kümmert sich eigentlich um deren Angebot? Schließlich stehen einer Untersuchung zufolge durchschnittlich etwa 250 Bücher in so einem Schrank, von denen je nach Standort mindestens ein Drittel bis zu 90 Prozent innerhalb von zwei Wochen entnommen werden. Und dann?
Dann gehen zum einen sogenannte Bücherpat*innen ans Werk, zum anderen hat fast jeder Schrank heimliche Lieberhaber*innen. Menschen, die sich einfach mit darum kümmern, zum Beispiel aufeinandergestapelte Bücher zurechtrücken, Altes entfernen, neu sortieren. Und eben auffüllen.
Und dann gibt es da diverse Fundsachen im Bücherschrank. Ulrich Ch. Blortz, der zusammen mit Nachbarin Barbara Blanckmeister für den Bücherschrank im Kölner Mauritius-Viertel verantwortlich ist, hat 12 Kuriositäten zusammengestellt, die er in „seinem“ Bücherschrank gefunden hat. Fundsachen, die plötzlich da lagen – wie eben selbstgebrannte CDs, Kronkorken oder Lesebrillen.
Die Liste des Bücherpaten Ulrich Ch. Blortz beginnt mit B wie „Bierflasche, leer“ über L wie „Löffelchen mit Teesieb-Aufsatz“ bis hin zu W wie „Wasserkocher“.
Und er hat weitere Fundsachen im Bücherschrank notiert: 1 Einmachgummi, 1 Kaffeepott (angekatscht), 1 Kartenspiel, 1 Kronkorken, 1 Parfumflakon (leer), 1 Plastikblumenstrauß. Kürzlich, erzählt er mir, als ich ihn anrufe, habe er auch eine Aktenschütte entsorgt. (Ich musste erstmal nachfragen, was eine Schütte eigentlich ist… 🙂 )
Als er die Liste auf der Veranstaltung „Köln liest“ vorliest, muss ich als Moderatorin sehr schmunzeln.
Betreue ich doch selbst – zusammen mit vier weiteren Frauen – einen Bücherschrank. Solche Funde hatten wir jedoch noch nicht.
Liebhaber, aber auch Diebe!
Dafür war bei uns mal eine „Bücherdiebin“ aktiv! Die Dame fuhr mit einem Lastenrad vor, schnappte sich gleich die vier neuen Bücher, die meine Kollegin Rosi Schönenborn gerade in den Schrank stellen wollte, und bediente sich großzügig weiter, bis das Rad voll beladen war. Tschüss und auf und davon.
2022 stehen deutschlandweit allein von den Bücherschränken, die die Kölner Genossenschaft Urbanlife e.G. geschaffen hat, über 800 Exemplare. „Diese haben meist 2-4 Bücherfreunde, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für jeweils einen Bücherschrank in ihrer Umgebung zu sorgen“, sagt Ines Jacob, die derzeit für die Stiftung Neuer Raum ein Netzwerk aus eben diesen Bücherfreund*innen aufbaut. „Wir möchten die Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglichen, sodass die Chance besteht, Nachrichten über die Erfahrung mit den Schränken oder Events untereinander zu teilen oder zu initiieren“, so Ines Jacob über ihr Ziel.
Ulrich Ch. Blortz gehört dazu. Deswegen war er auch eingeladen zum Kultur-Treffen „Köln liest“. Ich durfte die Gespräche mit den anwesenden Bücherfreunden moderieren. Dass nach nur zwei Wochen 90 Prozent der Bücher im Umlauf seien, wie es die oben benannte Studie herausstellt, habe er „weiß Gott nicht gedacht“. Und auf Nachfrage sagt er noch:
„Einzelne Bücher finden sogar noch schneller einen neuen Liebhaber.“
Morgens reingestellt, abends weg – auch das gibt es“, so der gelernte Bibliothekar, der zugibt, von Berufs wegen in Sachen Büchern „vorbelastet“ zu sein 🙂
Die Kuriosität, die Ulrich Ch. Blortz am meisten fasziniert hat, ist ein Buch, das fein säuberlich handgeschrieben dort im Mauritius-Viertel hinterlegt wurde. „Nichts wurde geschmiert“, beschreibt er den Fund, „es sind Bilder eingeklebt, aber es handelt sich für mich einfach um fanatischen Wahnsinn.“ Thema: Verschwörungsglaube. Er findet das etwas „irrsinnig“, konnte es aber, weil es so fein hergestellt wurde, nicht wegschmeißen.
„Wir bleiben bei den Schulen am Ball“
Ein Anliegen äußert Bücherpate Blortz am Ende unseres Gesprächs. Denn es hat ihm und der Initiative „Nachbarn im Mauritiusviertel“, deren Engagement der Bücherschrank überhaupt zu verdanken ist, gut gefallen, dass sich auch Schulen für die Bücherschränke interessieren. So war der Direktor der benachbarten „Katholischen Hauptschule Großer Griechenmarkt“ zur Einweihung da – und damit auch das Thema Leseförderung präsent. Danach sei aber nichts mehr gekommen, ist Blortz ein bisschen enttäuscht. „Wir bleiben aber am Ball, denn die Schulen sind einfach auch überlastet.“
Fotos: Pia Litzenberger