Von Alkoholbeständen und Cocktailträumen

Alte Flaschen, neuer Ruhm dank Mixology

Meine Freundin Jacqueline und ich reisen nicht nur zusammen. Nein, wir bilden uns auch in anderer Hinsicht weiter. Schließlich soll der Horizont nicht nur durch Fernreisen, sondern auch durch neues Wissen erweitert werden – im besten Fall mit einem Spritzer Zitrone und einem dekorativen Salzrand. Unser letzter Ausflug in die Welt der Weiterbildung war daher ein Mixology-Seminar.

Die Bar im Bergfried
Die Flaschen in der Pergola

Ich war zunächst skeptisch. Mixology? Was bitte ist das denn? Alkohol mixen? Wie schwer kann das schon sein? Ein bisschen Eis, ein bisschen Obst, ein Schirmchen obendrauf – fertig ist der Instagram-taugliche Sundowner, oder?

 Spoiler: Nein. Einfach nur nein.

Jacqueline musste harte Überzeugungsarbeit bei mir leisten, denn das Mixology Tagesseminar war nicht gerade günstig. Und wie schon gesagt, ich finde es nicht so schwierig einen Gin Tonic zu mixen. Doch dann dachte ich an meine Sommer in Lich und der entscheidende Punkt war unsere Bar in der Pergola.

Die Bar, noch ein Relikt aus Hotelzeiten, steht in unserer Pergola im Garten und ist im Sommer ein beliebter Treffpunkt für einen Sundowner.

Hinter der Bar jedoch herrscht ein bisschen Elend. Staubige Flaschen. Ein Sammelsurium alkoholischer Überbleibsel, von denen niemand weiß, wann oder warum sie angeschafft wurden. Kirschlikör, Anis irgendwas, drei Sorten Rum, und alles etwas angestaubt. Alkoholische Einzelgänger, die seit Jahren auf Gesellschaft warten. Gesammelte Werke von Freunden (an der Stelle möchte ich Clemens herzlich grüßen), die umziehen und sich mit Flaschen nicht abrackern wollen. Vielleicht, dachte ich, würde dieses Mixology Seminar diesen Flaschen endlich zu neuem Ruhm verhelfen.

10:00 Uhr morgens – Warenkunde

Während normale Menschen zu dieser Uhrzeit an Kaffee nippen, erfuhren wir alles über Vodka, Gin, Whiskey und Co. Dass Vodka übrigens nicht gleich Vodka ist, wurde mir spätestens klar, als wir die Unterschiede zwischen Kartoffel- und Getreidebasis besprachen. Wer hätte gedacht, dass Spirituosen so viel Vielfalt bieten.

Weiter ging’s mit Cocktailkategorien: Sours, Highballs, Fizzes, Cobblers, Tikis und was nicht alles. Ich dachte bisher, ein „Tiki“ sei ein Typ mit Dreadlocks auf einem Festival. Falsch gedacht. Tiki ist eine Cocktailwelt für sich.

Und dann das Eis…

Denn Eis ist auch nicht gleich Eis! Crushed, Cube, Clear – ich habe noch nie so differenziert über gefrorenes Wasser nachgedacht. Ich hatte plötzlich großen Respekt vor jeder Barkeeperin, die nicht nur den Unterschied kennt, sondern auch noch weiß, wann was ins Glas gehört. Dasselbe gilt für die Gläser: Coupette, Tumbler, Highball.

Und bitte wer kann sich all diese Rezepte merken? Ich war nervlich nicht auf einen Scorpion vorbereitet, dachte beim Paloma an ein südamerikanisches Tier. Aber Jacqueline? Die hatte den Überblick. Mit einem Lächeln sagte sie: „Sonja, wir brauchen unbedingt einen Muddler.“ Ich hatte noch nie von ihm gehört – aber hey, deshalb waren wir ja in diesem Seminar.

Am Nachmittag war es dann endlich war es so weit, wir durften mixen und shaken, garnieren und genießen.

Cocktails
Unsere Tiki Cocktails

Mixology par excellence

Unser gemeinsamer Liebling: der Espresso Martini. Cremig, wachmachend, gefährlich. Die perfekte Liaison aus Kaffee und Alkohol – quasi Frühstück und Happy Hour in einem Glas. Nur schade, dass die Bar in Lich nicht über Kahlua verfügt. Und das mit dem Eiweiß ist auch so eine Sache. In Dubai kann man Eiweiß in Flaschen im Supermarkt kaufen. In Deutschland ist das nur im Großhandel möglich. *augenroll*

Meine Rettung: die vegane Schaumkunde

„Statt Eiweiß könnt ihr Aquafaba nehmen“, sagt die Dozentin. Ich denke: „Aqua… was?“
Aquafaba, so lernten wir, ist nichts anderes als das Kochwasser von Kichererbsen – und der neue Stern am veganen Cocktailhimmel. Es ersetzt Eiweiß in Sours und Fizzes, sorgt für eine stabile Schaumschicht und riecht dabei nicht nach Hülsenfrucht, wie ich erst befürchtet hatte. Ich war begeistert. Jacqueline war schon einen Schritt weiter: „Stell dir vor, du kannst Whiskey Sours und Espresso Martini mit Kichererbsenwasser in Lich servieren. Voll nachhaltig!“

Kosakenkaffee

Und so beginnt mein Sommer in Lich mit einem neuen Blick auf die Bar (und die Welt). Eine Prise Demut gegenüber Barkeeperinnen, die Rezepte nicht googeln müssen. Und ein dezenter Muskelkater im Handgelenk vom Shaken.

Ich überlege jetzt ernsthaft, ob ich mit Aquafaba experimentiere und einen Roadtrip zum nächsten Spirituosenladen mache, um Kahlua zu kaufen oder den Kosakenkaffee meiner Mutter für den Espresso Martini nutze. Für die Wissenschaft, versteht sich 😉

Und wer glaubt, Cocktails mixen sei einfach, der hat noch nie versucht, gleichzeitig zu shaken, abzumessen, zu garnieren und dabei auszusehen wie jemand, der weiß, was er tut. Ich jedenfalls erhebe mein (mittlerweile korrekt gekühltes) Glas auf alle, die den Drink nicht nur servieren, sondern zelebrieren.

Cheers aus Lich – oder wie wir seit dem Seminar sagen:

„May your bitters be balanced and your garnish never sink!“

 

Sonja Ohly
Sonja Ohly
Sonja ist die schreibende Nomadin und Chefin vom Dienst bei ohfamoos. Die begeisterte Taucherin ist auf der ganzen Welt unterwegs und beschreibt gerne als Reiseblogger ihre Destinationen. Ebenfalls großes Interesse zeigt sie für Politik und engagiert sich als PR Tante probono für eine Demokratische Bürgerliste und den Sportverein in ihrer Heimatkommune.
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Dieser Beitrag wurde erstmals am 29. Juni 2025 veröffentlicht
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