So bunt wie wir
Wie ein Sozialunternehmer in Bayern ein Haus umkrempelt
Es gibt Beziehungen, die hat „man“ lebenslang. Ich meine nicht die familiären, ich meine die zu Freunden. Sicher hast Du auch jemanden an Deiner Seite, der Dir als guter Freund schon öfter mal „durchs Leben geholfen“ hat. Ich habe einige gute Freunde und bin stolz auf so gute Beziehungen. Martin Reents ragt da aus bestimmten Gründen raus – und das nicht nur der Körperlänge wegen 🙂
Mit diesem Mann habe ich schon vieles erlebt. In meiner Unistadt Bonn gezecht, in Dresden geackert der Deutschen Einheit wegen, in München ein Startup gegründet. Um nur mal ein paar Stationen herauszuheben. Und insbesondere seine krasse Intelligenz, seine enorme Verlässlichkeit und auch sein ostfriesischer Humor haben mich immer wieder bestätigt, dass Martin Reents ein besonderes Kaliber unter meinen Freunden darstellt.

Wobei Martin Reents Selbstdarstellungen nicht mag – es sei denn, es ist „richtig“ Kunst oder Kultur. Gefühlt hat Martin bereits alle Opern gesehen; unvorstellbar, ihm die Welt der Musik zu entziehen. Oder die Literatur. Er weiß alles über Thomas Mann und wenn sich Martin nicht mit Kultur beschäftigt, dann ist es die Welt der Mathematik.
Nun, all das ergibt wenig Überschneidungen mit mir 🙂 Und doch gibt es da mindestens ein Band zwischen dem Wahl-Miesbacher und mir als Wahl-Kölnerin. Dieses kommt mir ganz besonders wieder vor Augen, als ich Martin im Podcast mit Thorsten Otto im Bayerischen Rundfunk höre. Der BR-Mann liebt gute Gespräche, sein Podcast, geführt auf der Blauen Couch, lebt genau davon. Und Martin ist alles andere als ein Dampfplauderer – doch mit Thorsten Otto parliert er über Gott und die Welt, als würde er auch sonst nichts anderes tun.
Und ich höre ihm dabei richtig gern zu, unbeschwert spricht Martin über sein vielfältiges Leben. Wie er 2000 – mit mir und 10 anderen Endzwanzigern – das Startup conject gründete, warum er KI-Experte ist (heute) oder was das Bunte Haus in seiner Heimat als Begegnungsstätte ausmacht.

Der BR-Journalist Otto kündigt Martin so an:
„Künstliche Intelligenz, Neurowissenschaft, Arbeit im Gemeinwohl und die Familie: Das sind Leidenschaft und Lebenskonzept von Martin Reents. Der Unternehmer hat erfolgreich mehrere Startups an den Markt gebracht, für Millionen verkauft und ist heute finanziell unabhängig. Deshalb macht er nur noch, was ihn erfüllt. Zum Beispiel arbeitet er ehrenamtlich in einem Begegnungshaus in Oberbayern.“
Ob es wirklich nur „ein Begegnungshaus“ ist – ich habe da meine Zweifel. Denn so wie ich Martin kenne, macht er niemals etwas Halbes und nichts Ganzes. Er agiert exakt auf den Punkt, es darf um Himmels willen nicht langweilig sein, dieses Haus muss etwas ganz Besonderes sein, wenn Martin dafür so „brennt“.

Und das ist es. Denn wenn ein ehemaliges Gemeindehaus sich für ALLE Menschen der Stadt öffnet, ist das ein Signal. Und es ist dem Initiator, Pfarrer Erwin Sergel, zu verdanken, dass „die Kirche“ einen solchen Weg gehen konnte.
Und der sah so aus: 2022 eröffnet, entwickelte sich das Bunte Haus rasant: 2024 nutzten 86 Gruppen und Initiativen die Räume für 1.400 Veranstaltungen. 27.000 Besucher wurden gezählt, damit war statistisch gesehen jeder Miesbacher mehr als zweimal im Jahr im Bunten Haus. Und wenn dann ein aktiver Ehrenamtlicher sagt: „Ich wurde unterstützt und ernstgenommen, ich bin überzeugt: Mein Ehrenamt hält mich am Leben“, dann ist klar:
Das Bunte Haus, das weiterhin der evangelischen Kirche gehört, wird gut angenommen. Darüber wollte ich mehr wissen, deshalb habe ich Martin ein paar Fragen gestellt.
Interview mit Martin Reents, Sozialunternehmer aus Miesbach
Wie bist Du auf die Idee gekommen, ein solches Projekt anzustoßen?
Zunächst ein paar Zahlen: Es gibt 67.000 Kirchen und Gemeindehäuser in Deutschland. Davon werden 40.000 in den nächsten Jahren aufgegeben. Das geht jetzt sehr schnell: Die evangelischen Kirchenvorstände und die katholischen Pfarrgemeinderäte im ganzen Land erstellen gerade Listen ihrer Immobilien. 50% darf man behalten, der Rest kann weg. Die Immobile wird dann verkauft, meistens abgerissen und es entstehen ein paar neue Wohnungen. Aber die Orte verlieren ihren Ortskern, den letzten Gemeinschaftsort.
Bunter Häuser im Trend?
Ja, das schlägt gerade Wellen. Überall wird man nervös. Das Bunte Haus ist eins der ganz wenigen Modelle, wie man so ein Haus halten kann. Das ist das Thema, das mich im Moment eigentlich umtreibt.
Wie ist das Haus eigentlich entstanden?
Wir wollten diesen Gedanken umsetzen: Aus einem evangelischen Gemeindehaus einen lebendigen Ort machen. Das Haus also komplett neu denken. Keine klassische Gemeindearbeit, sondern einen Ort schaffen, der sich für alle Vereine, Gruppen und Initiativen kostenlos öffnet. Dazu gehört Mut, z.B. dafür, ein offenes Raumkonzept umzusetzen statt geschlossener Räume.
Was treibt Dich derzeit um?
Wir kriegen gerade sehr viel Besuch von Gemeinden, Kommunen, Hochschulen usw. Und wir werden zu Konferenzen und Tagungen eingeladen, um das Modell vorzustellen – Baufachtag, Landeskirche, Erwachsenenbildner, Unternehmer in der Kirche, Rotarier usw.
Was habt Ihr vor?
Wir sind in engem Kontakt mit unserem Bischof, der hat schon den katholischen Kardinal angespitzt. Wir arbeiten am richtigen Kontakt in die Staatsregierung – weil wir unser lokales Projekt auf ein Begleitprojekt auf Landes- oder Bundesebene einbetten wollen.
Was ist Eure Mission dabei?
Das Bunte Haus entwickelt sich zu einer Art Rettungsprojekt: Bewahrt unser Gemeinschaftsorte. Denn offene Begegnungsorte, die unterschiedlichste Gruppen zusammenbringen, sind ein wesentlicher Bestandteil von Demokratieförderung. Und den Aspekt versuchen wir gerade besonders stark weiterzuentwickeln.

Eine neue Phase steht ins Haus?
Genau so ist es. Wir müssen den Betrieb nun langfristig absichern. Dabei ist uns bewusst, dass die Geldmittel dafür v.a. auch von Partnern kommen müssen. Die Idee dabei: Wir stellen das Haus, Partner steuern das Geld bei. Die können, wollen und sollen sich allerdings nicht an der Finanzierung der Kirche beteiligen. Wir müssen das Gemeindehaus daher organisatorisch aus der Kirche ausgründen.
Hast Du dafür einen Zeithorizont angesetzt?
Ja, ich denke, wir brauchen dafür etwa drei Jahre.
Hier endet unser kurzes Interview und ich finde, das passt haargenau zu Martin!
Wieder, also auch beim Projekt „Buntes Haus“, folgt er Verstand und Herz. Wie schon in seiner Kindheit übrigens. So war der gebürtige Ostfriese bereits als 14-jähriger auf eigene Faust auf einer Radtour durch England. Viel später folgten nicht immer ungefährliche Afrika-Reisen, auch Karawanen-Ritte. Diese Passagen im Podcast sind besonders spannend.
Kennengelernt habe ich Martin in Bonn, als er mit Anfang 20 Praktikant im Bundestag wurde. Dass ein Mathematikstudent dann wenig später den letzten Wahlkampf der DDR mitorganisiert und sowohl erst mit Angela Merkel (damals noch Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs) und später insbesondere mit Kurt Biedenkopf in Dresden arbeitet, das alles ist nicht gewöhnlich. Ungewöhnlich auch: 2000 gründet Martin mit mir und 10 weiteren Leuten das Software-Startup conject AG.

In der Politik hängengeblieben ist Martin, der auch einige Jahre bei McKinsey war, nicht. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, dort zu bleiben. Das ist ebenfalls einer der uns verbindenden Punkte. Auch ich habe es geliebt, mich „in der Politik“ zu bewegen, mein Porträt über den viel zu früh gestorbenen Peter Hintze zeigt das deutlich. Aber Berufspolitiker*in zu werden, das war nie sein Ziel – und ebenso nicht meins.
Was ich über Martin nicht wusste und im Otto-Podcast gelernt habe, ist: Martin träumt davon, irgendwann mal Wildhüter zu werden. Aha …, denke ich, aber wo bloß? In Miesbach, seiner Wahlheimat, wohl nicht. Auch von Ostfriesland sind mir richtig wilde Tiere nicht bekannt. Ich glaube, ich muss mich mit Martin mal wieder live treffen …
