Was für ein Mann – Mein Nachruf auf Peter Hintze
Am 3. Todestag bekomme ich es endlich hin: Setze mir ein Datum, wann ich wieder an sein Grab fahre. Es wird der 1. Adventssonntag sein. Und ich werde Mühe haben, die Stätte zu finden – auch wenn dort drei fast frische Kränze liegen. Als Erinnerung an diesen großen Mann. Diesen Menschen, der sein Lebtag von vielen, vor allen vielen Journalisten, verkannt und öffentlich bewusst verletzt wurde. Auch wenn sie nach seinem Tod solche Titel brachten wie: „Die Lücke im Herzen der deutschen Politik“.
Ja, das war er: Peter Hintze. Ein wunderbarer Mensch und mein Chef für gleich fünf Jahre. Uwe Alschner, der ebenfalls zu meiner Zeit in seinem Team als persönlicher Referent war, sagt: „Peter Hintze war der menschlichste Politiker, den ich kenne – und der beste Chef, den ich je hatte.“ Ich ergänze: Peter Hintze war zudem sehr klug und pfeilschnell im Denken. Und sein großes Herz erschien mir schon damals als vielleicht zu groß für die Politik …
Bereits kurz nach seinem Tod am 26.11.2016 war ich berührt über das, was viele Journalisten schrieben. Und ich dachte sofort: Was für ein Schicksal, eine solche Ehre nicht VOR seinem Tod zu erfahren. Redaktionen halten, sobald sie hören, dass berühmte Menschen erkrankt sind, würdigende Nachrufe bereit. Und das war Peter Hintze, rein formal betrachtet: Er war 26 Jahre im Deutschen Bundestag, er war erst Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Frauen und Jugend (so hieß das Amt früher tatsächlich!), später – ab 2005 – beim Bundeswirtschaftsminister. Seine wohl prägendste Rolle fand er von 1992-1998 als CDU-Generalsekretär „unter“ Helmut Kohl. Von 2013 bis zu seinem Tod war Peter Hintze Vizepräsident des Deutschen Bundestages.
Warum würdigen Medien bekannte Politiker nicht VOR dem Tod? Warum dieses „rauf und runter schreiben“? Wie unmenschlich, frage ich mich immer mehr, ist dieses Mediengeschäft? Doch zurück zum Menschen Peter Hintze!
„Peter Hintze war für die CDU wichtiger als die meisten Minister“, sagt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet laut Spiegel-Bericht und ich weiß, dass er ihm dies als enger Freund auch zeitlebens respektvoll vermittelt hat. Wie auch Hermann Gröhe, der mal Bundesgesundheitsminister war und mir auf Anfrage mitteilt:
„Gleichzeitig ein Vorbild, Ratgeber und wunderbarer Freund zu sein, ist sicher etwas ganz seltenes, ganz besonderes. Peter Hintze war dies alles für mich. Und so vermisse ich ihn – oft in ganz konkreten Situationen.“
Das menschliche Miteinander, das hat Peter Hintze, der auch Pfarrer war, nie aus den Augen verloren. Selbst mir, die „nur“ seine stellvertretende Sprecherin war, gab er persönlichen Rat. Als ich zum Beispiel einmal in eine kuriose Journalisten-Liaison verstrickt war. Das hätte ihm schaden können, aber als ich mich ihm anvertraute, hat er mir sogar Mut zugesprochen das durchzustehen. Nie werde ich seinen Blick vergessen, als ich – nach innen tieftraurig, nach außen professionell – den Presseabend eines Bundesparteitags betrete, ihn grüße und sein Blick mir mitteilt: Genau, Frau Tonscheidt, seien Sie stolz!
Peter Hintze konnte man vertrauen. Das wussten auch seine Parteifreunde, selbst politische Gegner hatten Respekt. Auch wenn beide, Gegner wie Freunde, oft das Gegenteil dessen öffentlich kundtaten. Solche Politiker habe ich früher verachtet, heute tun sie mir vor allem eins: leid. Wenn beispielsweise auf einem CDU-Parteitag nach der Rede des Parteivorsitzenden – damals immerhin Helmut Kohl – die Delegierten die Halle verließen um sich draußen ein Wurstbrötchen zu genehmigen. Peter Hintze, der erst später ein besserer Redner war, musste also vor einem Publikum sprechen, das immer weniger wurde. Und wer hat das genüsslich verbreitet? Genau, die lieben Medien. Als wenn es nicht sachlich Wichtigeres als dieses sinnlose Medienspektakel gegeben hätte!
Peter Hintze hat seinen Glauben aber nie verloren. Und wenn er mich vor einer Talk-Show um Rat fragte, war meine Antwort meistens: „Seien Sie einfach Sie selbst!“ Ich mochte seinen Humor, ich mochte seine Überzeugungen, für die er heftig zu streiten verstand. Journalisten, gerade die intellektuellen Geister, nahmen sich gern ZEIT, mit ihm in Hintergrundgesprächen über die Gesellschaft zu sinnieren. Da spürten sie, wie geistesgegenwärtig der CDU-General war. Nicht bloß Sekretär, wie manche spotteten. Als ob es mutig wäre, seinem Chef nicht zu dienen. Was für eine groteske Fehlinterpretation politischer Rollen.
Einmal war ich mit ihm auf einem Wahlkreisbesuch in Norddeutschland unterwegs. Als wir die Ostsee erreichten, verrate ich ihm, dass ich dort nie war.
„Herr Langer“, rief da Peter Hintze seinem Fahrer zu, „wir machen einen Abstecher an den Strand.“
Und als wir dort einen kurzen Spaziergang wagten, kam uns ein wirklich großer Hund entgegen. Da konnte ich, die immer gern Hundebesitzerin war, ihm für einen Moment meinen Glauben, dass das in jedem Fall gut gehe, zurückgeben. Denn Peter Hintze war ein großer, stattlicher Mann – aber in Sachen Tiere nicht unbedingt Experte 🙂
Ich weiß nicht, ob noch gilt, was die Spiegel-Redakteurin damals nach seinem Tod schrieb, aber es ist ein schönes Bild. Sie berichtete, keiner der von ihr Befragten habe seine Nummer aus ihren Handys gelöscht. Einige setzten „sich manchmal hin und lesen seine alten SMS. Sie suchen ihn.“ Und es ist wahr: Auch ich würde seine Kontaktdaten nicht löschen. Es ist wie eine Verbindung nach wohin auch immer. Für mich nach oben, hinter die Wolken…
Mein letztes Telefonat mit ihm datiert auf Juli 2016, also vier Monate vor seinem Tod. Ich hatte gehört, es stünde schlechter um ihn, hatte ihm einen Brief geschrieben. Dafür wollte er sich bedanken – sein Anruf erreicht mich in Kopenhagen, als ich gerade die Kleine Meerjungfrau besichtige. Ich signalisiere meinem Mann, ich hätte ein wichtiges Gespräch, was es auch war. Es gibt Gespräche, die man nie vergisst.
Nie vergessen werde ich Peter Hintze auch, dass er mich im Juni 2010 bei der 10jährigen Jubiläumsfeier meines Startups unterstützte. Da kam er doch tatsächlich vorbei und ich durfte ihn coram publico interviewen. 2010 nannte sich Peter Hintze auch „Koordinator der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt“ – und wer ihn gut kennt, weiß: Er wusste alles darüber, denn dieser Mann konnte sich in Wissensgebiete reinknien. Darüber sprach er dann gern, wie sich einige ebenfalls erinnern, „so schnell, als könnte der Tag niemals reichen, um alles zu sagen, alles zu regeln. Niemals war ihm irgendwas einfach nur egal.“
Und das signalisierte er auch in unserem Gespräch, damals im Legoland-Museum im Duisburger Innenhafen: Seine Arbeit war ihm nicht egal und meine eben auch nicht. Er hätte sich diesen Auftritt leicht sparen können. Hat er aber nicht.
Als ich für Peter Hintze arbeitete, damals in den 90er Jahren, war ich keine 30 Jahre alt. Mir fehlte Erfahrung, gern hätte ich geholfen, sein öffentliches Image stärker zu verbessern. Dafür redeten jedoch zu viele auf ihn ein. Und es ist sehr wahr, was Christian Wulff dem Spiegel gesagt hat. Sein Freund Peter sei jemand gewesen, „den man nicht verstehen kann, wenn man nur die Artikel und Videos über ihn kennt.“ Ich habe nie jemanden kennengelernt, dessen Bild in der Öffentlichkeit so sehr von dem Menschen abwich, der er persönlich wirklich war. Rückblickend auf genau dieses Zerrbild, rate ich gern: Schaut Euch die Menschen in ihrer Fülle an – die Welt wäre gnädiger.
Ich würde gern noch einiges berichten, was mich an ihn erinnert. Immer erinnern wird. Wie gern wir Mitarbeiter freitagsnachmittags zu ihm rauf gingen – damals stand das Bonner Konrad-Adenauer-Haus noch – um mit ihm seine geliebten Apfelriemchen zu essen. Zuvor hatte dann die pfiffige Frau Gref aus seinem Vorzimmer zu ihm gebeten. Ein schöner Abschluss der Arbeitswoche. Damals, als es noch keine Handys gab und kein Tweet in solche Termine platzte. Damals wurde noch richtig gesprochen 🙂
Manchmal wurde ein Gespräch mit Peter Hintze aber auch plötzlich bitterernst. Als er mir zum Beispiel von einer heftigen Beschwerde einer hochrangigen Politikerin berichtete. Die sich über mich beschwert hatte! Bei einem Termin habe ich mich nicht ausreichend gekümmert, dafür draußen mit Journalisten eine Zigarette geraucht… Es traf mich wie ein Schlag. Richtig war, dass ich mich wie immer als Pressesprecherin mit den Journalisten „zusammen getan“ hatte. Aber nicht gekümmert? Mir kamen Tränen. Doch dann signalisierte mir Peter Hintze: Das habe er sich schon gedacht, dass an dem Vorwurf nichts dran sei. Und steckte mir eine Information, die mich das Geschehene selbst besser einordnen ließ. Seine Solidarität mit mir half mir, dem Vorfall nicht zu viel Raum zu geben. Tatsächlich hat sich die Ministerin später sogar bei mir entschuldigt!
Für mich hat Spiegel-Redakteurin Britta Stuff, die ich leider gar nicht kenne, sehr sauber und tief recherchiert. Und ich kann zu 200% bestätigen, was sie schreibt: „Sie sagen, die CDU war, wie sie war, weil es Hintze gab. Sie sprechen nicht nur über Hintze, sondern auch über sich selbst. Es klingt, als hätte Hintze in ihrer Welt ein Bedürfnis erfüllt. Jemanden zu haben, der es gut mit einem meint.
Vielleicht kannte Hintze nicht nur die Seele der Partei, vielleicht sei er die Seele gewesen, sagt ein Minister.“
Dazu passt, was die Fotografin Laurence Chaperon erinnert. Die Französin mit dem tollen Akzent hat alle professionellen Porträts dieses Artikels mit Bedacht herausgesucht und ohfamoos zur Veröffentlichung geschenkt. Laurence kennt fast alle Spitzenpolitiker, sie ist seit drei Jahrzehnten im Geschäft. Und wie ich hat sie Peter Hintze sehr geschätzt.
Kennengelernt haben sich die beiden durch einen Auftrag für Bild am Sonntag. Peter Hintze war, was Fotos seiner Person betraf, sehr kritisch, aber die Art, wie Laurence Fotos machte, gefiel ihm. Er beauftragte sie zu seiner Zeit als CDU-Generalsekretär für seine eigenen Bilder, woran sich Laurence wie folgt erinnert: „Bei meinem ersten Auftrag mit Peter Hintze war ich natürlich etwas nervös. Ich hatte gerade als selbständige Fotografin begonnen, hatte noch nicht so viel Erfahrung und vor allem konnte ich noch nicht so gut deutsch sprechen. Er hat mir aber mit seiner direkten Art sofort Vertrauen geschenkt. Er hat sehr viel gesprochen und das unglaublich schnell 🙂 Und als ich irgendwann zu ihm sagte: `Herr General… 🙂 schauen Sie bitte kurz in der Kamera ́, in dem Moment, als auch ich realisierte, dass das nicht ganz korrekt war, haben wir beide herzlich gelacht … und ab da haben wir uns für immer verstanden.“
Chapeau, Peter Hintze, Sie haben diese Partei, diese Politik, extrem geprägt. Mit Ihnen wäre heute vielleicht einiges anders. Vielleicht? Ich glaube: Ganz sicher.
Wer Peter Hintze rückblickend besser verstehen möchte, dem/der empfehle ich auch diesen Artikel, der ihn sehr sensibel beschreibt:
Fotos: Laurence Chaperon / E.T. / Frank Ossenbrink