Kochin und Ooty - im Süden Indiens

Einmal Indien und Retour

Im nächsten Abschnitt der „Einmal Indien und Retour“ Reise erkunden unsere Abenteurer immer noch Kochin. Sie ist eine bedeutende Hafenstadt in Kerala im Süden Indiens. Kochin war ein historisches Zentrum des Gewürzhandels und wurde von verschiedenen Kulturen geprägt, darunter Araber, Portugiesen, Niederländer und Briten. Besonders bekannt sind die chinesischen Fischernetze, das historische Viertel Fort Kochi, traditionelle Kunstformen wie Kathakali sowie die vielfältige Küche mit viel Kokos und frischem Fisch. Die Umgebung mit den ruhigen Backwaters macht die Region außerdem landschaftlich sehr reizvoll. Aber lest selbst den Tagebucheintrag von Volker.

Einmal Indien und Retour

Kochin, 8. Januar 2005

Heute lassen wir uns verwöhnen und buchen eine sechsstündige Backwater-Tour auf einem Hausboot. Die gesamte Unternehmung entpuppt sich als zwar touristische, aber vergleichsweise unaufdringliche Einführung in die berühmten Backwaters, die sich weit ins südliche Kerala erstrecken. Mit wenigen anderen Gästen fahren wir fast geräuschlos (kein Motor, stattdessen wird gestakt) von einem Dorf bei Kottayam aus (wohin uns ein Landrover in zügigem Tempo bringt) stundenlang zunächst über einen breiten Fluss, dann durch ein enges Geflecht von schmalen Kanälen („Spreewald-Effekt“) und genießen die Unmittelbarkeit der nur spärlich bewohnten, wohl aber flächendeckend kultivierten Naturlandschaft.

Ohne kundigen Lotsen würde man sich in dem Labyrinth der vernetzten Wasserstraßen hoffnungslos verfahren. So aber können wir uns am Anblick der Eisvögel, Reiher und Kormorane erfreuen, sehen ab und zu Gruppen von Holz- und Strohhütten mit winkenden Kindern und gehen schließlich kurz an Land, um die Entwicklungsstadien und Verwertungsmöglichkeiten der Kokosnuss vor Ort erklärt zu bekommen:

(1) Während des Knospenstadiums lässt sich Toddy (Palmwein) gewinnen, der tröpfchenweise aufgefangen wird und innerhalb von 24 Stunden fermentiert.

(2) Kopra ist das Nussfleisch, also das zweite Stadium, in dessen Verlauf sich die Kokosmilch verfestigt und, nach Zerkleinerung, zu Kokosöl verarbeitet wird.

(3) Coir (Schicht aus dicken Fasern zwischen glatter Außenhaut und Nusskern) ist der Rohstoff für die Herstellung von Kokosmatten und Seilen.

Wir beobachten zwei Frauen beim „Spinnen“ bzw. „Eindrehen“ der Seile und Schnüre, mit deren Hilfe z.B. Bambusgerüste festgezurrt werden. Es geht weiter durch die schmalen Wasserstraßen, vorbei an wilden Mango-, Ananas- und Betelnussbäumen. Wir begegnen einem Langboot, dessen Besitzer fruchtbaren Fluss-Schlamm geladen hat und als Dünger zum Verkauf in die Dörfer bringt.

Einmal Indien und Retour

Nächste Station ist eine kleine Fabrik zur multifunktionalen Verwertung von Muscheln. Diese werden aus dem Flussbett geholt, gewaschen, erhitzt (auf einem wohldurchdachten, d.h. gut belüfteten Kokosnussfeuer), „geröstet“, bis sie weiß sind und dann zu Pulver zerfallen. Das Verwendungsspektrum reicht von (1) Dünger über (2) Pharmamedizin bis zur (3) Farbherstellung und als (4) Säuberungsmittel.

Während der Weiterfahrt sehen wir ein Boot am Ufer liegen, dessen Bordwände eine Vielzahl horizontaler „Nähte“ aufweist. Als Dichtungsmittel werden die o.g. Fasern der Kokosnuss verwendet. Gegen Ende der angenehmen und überaus lehrreichen Fahrt erhalten wir ein schmackhaftes Essen, serviert auf Bananenblättern. Unsere kleine Touristengruppe besteht aus Franzosen, Amerikanern (z.T. indischer Abstammung) und Deutschen.

  • Von der Küste Keralas an landeinwärts erstreckt sich ein komplexes Netz von Lagunen, Seen, Flüssen und Kanälen, bekannt als die Backwaters. Sie bilden sowohl die Grundlage für eine ganz bestimmte Lebensweise als auch für originelle Verkehrswege. Die Boote fahren über flache, von Palmen gesäumten Seen, in deren Wasser die Fischer ihre chinesischen Auslegernetze tauchen, und durch enge Kanäle, über die Kokosfasern und Kopra sowie Cashewnüsse und Bananen transportiert werden.
  • Die Menschen wohnen z.T. auf winzigen Flecken, die manchmal nur wenige Quadratmeter breit sind. Und obwohl sie überall von Wasser umgeben sind, teilen sie das Land noch mit Kühen, Schweinen, Hühnern sowie Enten und halten sich sogar kleine Gemüsegärten. Tourismus und ökologische Schäden haben Verschmutzung, Ausrottung der Mangroven, der Krokodile und Wanderfische sowie Vernichtung der Austernbänke mit sich gebracht.
  • Viele Zugvögel kommen ebenfalls nicht mehr in die Backwaters. Schäden hat auch der mörderische Fischfang mit Dynamit, Gift und engmaschigen Netzen angerichtet. Eine langfristige Gefahr bedeutet die ungehinderte Ausbreitung der eingeschleppten Wasserhyazinthen, die bereits viele Kanäle verstopft haben.

Ooty, 9. Januar 2005

Wir verlassen das vielseitige, vom Meer und vom Süßwasser umspülte Kochin, den südlichsten Punkt unserer Indienreise und den weitesten Punkt der gesamten Karawane. Von nun an geht es „heimwärts“, Stück für Stück Richtung Deutschland, wenn auch mit gelegentlichen Umwegen und kleinen Abstechern. So fahren wir heute nach Ooty, eine ehemals britische Sommerfrische, die in den Nilgiri-Bergen auf einer Höhe von über 2000 m liegt. Die Nilgiri-Berge, Teile der West Ghats, sind nach dem Himalaya die älteste und höchste Bergkette Indiens. Die Hänge sind nicht besonders steil, so dass sich hier auch einige Teeplantagen befinden. Immer noch wohnen in diesem Gebirge einige Stämme von Ureinwohnern (tribes). Durch Zufall landen wir in einer schön gelegenen Jugendherberge, die sich als Stützpunkt einer Non-Governmental Organization (NGO) für die Entwicklung ländlicher Gebiete (Rural Development) entpuppt: seit 25 Jahren wird hier auf nicht-staatlicher Basis Hilfe für Menschen und Regionen unterhalb der Armutsgrenze praktiziert (Schwerpunkte: Bildung, Gesundheit, Wasser, Umwelt, Frauenstatus). Zur Feier dieses Jubiläums werden wir vier für morgen Abend in ein großes Hotel eingeladen, wo zunächst ein Kulturprogramm (Musik und Tanz) und später ein Abendessen geplant sind. Auf der Fahrt hierher wird uns von einem überholenden Fahrzeug der rechte Außenspiegel abgerissen. (Der linke Spiegel wurde bereits im Oktober in der Türkei Opfer eines ähnlichen Missgeschicks.) Fritz repariert den Spiegel mit Hilfe seines umfangreichen Werkzeugs, zu dem auch ein Bohrer gehört.

Im Laufe des Tages überschreiten wir die Grenze von Kerala nach Tamil Nadu. Ein Hinweisschild besagt: Chennai (früher Madras): 620 km. Indien – das Land der großen Entfernungen und zahlreichen Millionenstädte! Kein Wunder, dass wir unsere Streckenplanung inzwischen immer weiter nach unten korrigieren mussten, so dass – obwohl immerhin acht Wochen zur Verfügung stehen – die gesamte Ostküste nunmehr gestrichen ist. Die Zahl der christlichen Kirchen ist wieder größer geworden, die der Moscheen dafür kleiner. Das herrliche Grün stammt auch hier von Reisfeldern, Kokospalmen und Bananenplantagen. Beim Aufstieg in die Nilgiris begegnen uns Affen, so wie in Shimla, Mt. Abu und Panchgani.

  • Hier weitere Appelle an die Autofahrer:

„Hurry causes worry.“

„Always alert – accident avert.“

Einmal Indien und Retour

Ooty, 10. Januar 2005

Heute lassen wir uns durch die schöne Bergwelt fahren. Zuerst nehmen wir den Bus nach Conoor, wo wir nach kurzer Wartezeit mit einer kleinen Eisenbahn für 7 Rupien zusammen mit indischen Fahrgästen (die z.T. Pudelmützen aufgesetzt und Schals umgewürgt haben) nach Ooty (Udhagamandalam) bis 2200 m hinaufklettern. Die langsame Fahrt dauert eine gute Stunde und eröffnet viele schöne Rundblicke. Manche Details wirken durchaus britisch: so z.B. die kleine Bahnstation Lovedale, so z.B. der blühende Stechginster, der aus Schottland importiert wurde. Wiederum sehen wir Teeplantagen und vereinzelt christliche Kirchen aus der grünen Landschaft ragen.

In Ooty schauen wir beim See vorbei. Dieser entpuppt sich, ähnlich wie in Mt. Abu, als lautes Vergnügungszentrum mit Riesenrad, Karussell, Imbissbuden, allerlei Schnickschnack und einem Tretboot-Verleih: die Inder mögen’s und kommen zahlreich mit ihren vielköpfigen Familien. Anschließend kaufen wir Tee aus verschiedenen Regionen (z.B. Kerala und Tamil Nadu) mit verschiedenen Geschmacksrichtungen (z.B. Massala und Ingwer). Dann bummeln wir durch den schönen Botanischen Garten, bevor wir mit einem klapprigen Autobus für 4.5 Rupien pro Nase zurück in unsere Jugendherberge gondeln.

Dort ist inzwischen die französische Direktorin des NGO-Projekts aus Paris eingetroffen, zu deren Ehren heute Abend die o.g. Veranstaltung (Musik, Tanz, Abendessen) im Luxushotel von Ooty stattfindet. Da wir dazu eingeladen sind, warten wir in bester Laune auf die Abfahrt nach Ooty, die pünktlich um 18:00 erfolgen soll. Als sich um 18:45 immer noch nichts tut, werden wir eilends in einen schnellen Wagen verfrachtet und gelangen nach einer halsbrecherischen, selbst für indische Verhältnisse verantwortungslosen und hektischen Fahrt zum Ort des Geschehens. Dort, sichtlich genervt und teilweise noch unter Schock, erholen wir uns schnell auf bequemen Sofas, lassen uns alkoholische Getränke servieren (sehr selten auf der gesamten Karawane!) und werden dann von einem Mix aus Musik (schwer erträglich für europäische Ohren) und Tanz (sehr angenehm für europäische Augen) verwöhnt. Zum Abschluss gibt es ein ausgezeichnetes Abendessen, bevor wir im geräumigen Mahindra unseres Gastgebers (der mich ans Steuer lässt) in pechschwarzer Nacht nach Hause fahren.

Einmal Indien und Retour

Mehr Info zum Tagebuch

Wir veröffentlichen in regelmäßigen Abständen die Etappen dieses Reiseberichts „Einmal Indien und Retour“

Wie es zu dieser außergewöhnlichen Reise kam und was die Abenteurer sich vorgenommen haben, erfährst Du in dieser Übersicht. In unserer Rubrik Reisen, findest Du alle weiteren Etappen. Viel Freude beim Lesen und stöbern.

Prof. Dr. Volker Raddatz ist emeritierter Professor für Fachdidaktik Englisch an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er zählt zu den prägenden Stimmen der deutschen Fremdsprachendidaktik und hat sich über Jahrzehnte hinweg für die Verbindung von Theorie und Praxis im Englischunterricht eingesetzt.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen im interkulturellen Lernen, in der postkolonialen Literatur- und Kulturvermittlung sowie in English for Specific Purposes (ESP). Dabei legte er großen Wert auf einen Unterricht, der sprachliche, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte miteinander verknüpft.

Raddatz veröffentlichte zahlreiche Fachbeiträge und war Herausgeber wissenschaftlicher Sammelbände, darunter Innovationen im Fremdsprachenunterricht (Band 1: Offene Formen und Frühbeginn). Neben seiner akademischen Tätigkeit engagierte er sich in der Lehrerbildung und in internationalen Projekten zum Fremdsprachenlernen.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 2. November 2025 veröffentlicht
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