Etwas Eigenes schaffen bevor der Sargdeckel zu geht
Früher war Rolf auf Immobilien-Messen, schlug sich gern mit Software rum, bevorzugt am Schreibtisch. „Das hat sogar mein Masseur gemerkt“, witzelt er, „denn früher hab ich meistens rum gesessen.“ Heute ruft er mir bei unserer Verabredung zu: „Komm Mittwoch, da bin ich den ganzen Tag in der Bretagne.“ Und alle vier bis sechs Wochen muss Rolf nach Paris. Ein Leben, denkt man …
Hat er auch, der Rolf Breitmar, inzwischen 49 Jahre alt. Ein Leben, das vor allem ganz anders geworden ist mit der Entscheidung sich endlich selbständig zu machen. Das war vor über drei Jahren. Seitdem: Noch mehr Arbeit, keine Urlaube, wenig Privates.
Auch Ende 2010 hatten wir uns ausgetauscht. Sollte er? Wir groß waren die Risiken? Ein Riesenumschwung stand an. Ein Familienvater, der in der Mitte seines Lebens genau dieses umkrempelt. Völlig. Vom Immobilien-Spezialisten zum Bistrobesitzer mit integriertem Meeresfrüchtehandel. Sozusagen.
Eine längere Geschichte, über die wir uns unterhalten: Wie es dazu kam, wie es heute ist und was er anderen rät, die sich verändern wollen.
Gibt es ein Vorbild für Dein heutiges Cafe de Bretagne? „Ja, in Südfrankreich. Eine echte Institution für Meeresfrüchte. Ein Cafe mit Austern statt Schwarzwälderkirschtorte – das wollte ich auch machen. Vor allem der integrierte Fischhandel reizte mich, hier sah ich eine Lücke auf dem deutschen Markt.“
Wie lautet Dein Leben davor in Kurzform? „Mit dem Wunsch, selbständig zu sein, habe ich schon Wirtschaftswissenschaften studiert. Meine berufliche Karriere entwickelte sich dann eher zufällig – ein Bauträger rief an, wie das so läuft. Schnell war ich in gesicherten Bahnen, Headhunter vermittelten mich immer weiter etc. Nur selbständig war ich nie.“
Was hast Du am vermisst? Alles lief doch gut? „Selbst als Vorsitzender einer Geschäftsführung hatte ich mit wenig visionären Aufsichtsgremien zu tun, die teilweise auch noch ohne Strategie agierten. Ich wurde drastisch unzufrieden, um es mal so zu sagen … (lacht)“
Und da tat sich die Marktlücke auf? „Mir schwebte vor, ein skalierbares Handelsgeschäft zu betreiben. Aber wo war die Lücke? Dann merkte ich: Meeresfrüchte sind in Deutschland schwer verfügbar und wenn, dann extrem teuer. In Nizza, wo meine Frau und ich früher oft waren, kam die Idee, reifte über die Jahre zum Businessplan.“
Also mehr als „nur“ ein Bistro… „Meine Zielsetzung ist frischeste Meeresfrüchte direkt vom Erzeuger aus dem Hafen zu importieren und den Handel damit zu forcieren. Es geht um eine Meeresfrüchtekultur in Deutschland, wie in Frankreich eben. Einerseits verkaufe ich direkt (er zeigt auf die Theke, wo Meeresfrüchte aller Art dekorativ auf Eis liegen), andererseits klären wir unsere Bistrogäste persönlich auf, wenn sie bei uns speisen.“
Wie schwer war die Entscheidung Dein Leben umzukrempeln? „Wichtig in allen Phasen war meine Frau – sie war und ist mein Sparringspartner, macht u.a. die Buchhaltung, unterstützt mich, wo immer möglich. Als wir dann glücklicherweise genau den richtigen Laden für das Unternehmenskonzept fanden, hat der Familienrat gesagt: `Machen.´ Ich begann meinen Lebenstraum umzusetzen …“
Familienrat? Wer war beteiligt? „Nils, unser damals 13jähriger Sohn. Es war ja klar, dass harte Jahre bevor standen. Nils fand das gut – und ist heute stolz, wenn er uns hier sieht, präsentiert seinen Freunden den Laden, hilft auch schon mal mit. Aber Sätze wie: ´Ich könnte Dich mehr gebrauchen…´ tun schon weh.“
Das Private leidet sehr, wenn man sich selbständig macht … „Genau, das ist manchmal für alle bedrückend: Keine Wochenenden wie früher, bislang kein gemeinsamer Urlaub, alle Gespräche drehen sich ums Geschäft. Wir sind eigentlich 24 Stunden auf Bistro gepolt. Für uns bleibt zu wenig Zeit, aber v.a. manchmal echt zu wenig für ihn…“
Freunde? „Das, was stattfindet, sind die Freunde, die ins Bistro kommen. Aber es wird jetzt besser im 3. Jahr.“
Auch Mütter sagen: Nach drei Jahren sind die Kinder aus dem Gröbsten raus. Und die Eltern gehen mal wieder ins Kino. „Vergleichbar. Dass man einen langen Atem haben muss, war mir klar. Was ich unterschätzt habe, ist: Richtig gute Leute zu finden, das war verdammt schwer. Ein Branchenspezifikum. Alles wird aber langsam immer entspannter. Wir sind jetzt z.B. mal wieder seit ewigen Zeiten auf einem privaten Fest gewesen, samstagsabends! Wow, war das gut!“
Gab es hämische Kommentare von Leuten aus der alten Branche? „Erstaunlicherweise sind nie welche bei mir angekommen. Dafür gibt es einige, die heute als Gäste begeistert sind und meinen Schritt anerkennen. Auch alte Mitarbeiter kommen, freuen sich mit.“
Wie stark hinterfragt man sich selbst? „Eigentlich immer wieder. Früher hatte man einen besonderen Status. Man ´war wer` qua Position. Heute bin ich ein Stück weit Austernknacker und Gastronom – oder wie mein Arzt sagt: Von anderen Altstadtwirten ist er andere Leberwerte gewohnt (lacht) … d.h. die Leberwerte sind in Ordnung (wir lachen beide).“
Du bist gesund, hast Deinen Lebenstraum verwirklicht… „… und frage mich trotzdem manchmal: Bin ich richtig angekommen? Das gehört aber absolut dazu. Was alles kompensiert: Was hier passiert, hat man selbst geschaffen. Das ist mir sehr wichtig. Denn man kann es entsprechend selbst ändern! Da ist keiner mehr über mir, der mir versucht die Welt zu erklären, obwohl er von der Welt gar keine Ahnung hat.“
Was vermisst man von der alten Welt? „Ich bin kein Typ, der auf Statussymbole setzt. Qua Funktion gab es sie, waren mir aber nie wichtig. Das Gefühl alter Sicherheiten hätte ich manchmal gern wieder und natürlich mehr Freizeit. Das alte Spiel: Was man nicht hat… “
Zukunftspläne? „Ich arbeite darauf hin, eines Tages alles nur noch zu managen. Wir suchen nach dem 2. Standort für das Handelskonzept – pointiert gesagt: Ich will künftig nicht mehr selbst Leergut sortieren und Taschenkrebse ausnehmen sondern bin dabei, den Meeresfrüchtehandel richtig ans Laufen zu kriegen.“
Was empfiehlst Du denen die keine Austern, jedoch andere Themen zu knacken haben? „Sich drüber im Klaren zu sein, was für einen wirklich der Sinn des Lebens ist. Für mich war früh klar: Ich will etwas Eigenes geschaffen haben, wenn der Sargdeckel zu geht. Ein erfolgreiches Unternehmen gründen, wo Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten später sagen, wie toll das war. Mit Gesellschaftern über mir war das nicht möglich.“
Und wenn man den Lebenstraum kennt? „Dann alles dafür zu tun den umzusetzen. Aber nicht für eine kurzfristige Idee ein altes Leben weg schmeißen, das geht nicht. Sonst wäre ich damals als Jungspund aus alter Leidenschaft heraus Surflehrer in Griechenland geworden. Sprich: Nur gern Meeresfrüchte zu essen, reicht als Triebfeder für ein gescheites Unternehmenskonzept sicher nicht.“
Der leidenschaftliche Hobby-Koch Rolf Breitmar, 1964 in Düsseldorf geboren, wuchs in Mettmann auf, studierte in Wuppertal. Die Welt des früheren Controllers bestand bis 2010 aus Bilanzen und Unternehmenskalkulationen. Nach jahrzehntelanger Karriere managte der Diplom-Ökonom zuletzt eine große Beratungsfirma für Wohnungswirtschaft. Der echten „Komfortzone“ folgte die Selbständigkeit: Heute ist er Gesellschafter und Geschäftsführer der RB Meeresfrüchte & Handel GmbH mit der Zielsetzung in Deutschland einen Meeresfrüchtehandel zu etablieren.
Dazu dient sein Cafe de Bretagne – ein edles Bistro für den Genuss und Handel frischester Meeresfrüchte, speziell von Fischen, Austern, Muscheln, Schnecken und anderen Schalentieren, aber auch Weinen, Spezialitäten (z.B. foie gras, Marmeladen, Algensenf) und Accessoires (z.B. Austernmesser, Espressotassen, Spezialbestecke für Hummer) Es befindet sich inmitten der Düsseldorfer Altstadt, am bekannten Carlsplatz mit seinem bunten Markttreiben: http://www.cafe-de-bretagne.de/Cafe-de-Bretagne/Cafe_de_Bretagne.html
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