Lichkunst – Schmelzeisen erleuchtet
Ein Interview mit Rainer Schmelzeisen. Rainer Schmelzeisen ist von Beruf Arzt und Künstler aus Leidenschaft. Wie sich diese beiden Passionen ergänzen, erklärt er uns in einem Interview anlässlich seiner Lichtkunst Ausstellung ALL EXITS ARE FINAL.
Rainer, warum Lichtkunst?
RS: Wenn man es vom medizinischen Standpunkt aus beleuchtet, könnte es sein, dass ich eine Lichtneurose habe. Wenn man jedoch die emotionale Wirkung betrachtet, übt die von Licht erzeugte Atmosphäre eine sehr starke Anziehungskraft aus – besonders in Kombination mit Bildern, zum Beispiel als Video. Man könnte statt Lichtkunst auch den Begriff Leuchtkraft verwenden.
Du hast relativ spät angefangen mit deiner Lichtkunst. Wann hast gemerkt, da schlummert etwas in dir, das nicht der Medizin folgt?
RS: Mein Interesse an Kunst ist wesentlich älter als mein Interesse an Medizin. Der Spaß an Farben und Darstellungen geht bis in meine Kindheit zurück. Allerdings halte ich den Anspruch, Kunst zu machen, für vermessen. Ich persönlich glaube, es darf nicht das Ziel sein, Kunst machen zu wollen.
Du reist viel und fotografierst. Die Grundlage deiner Bilder sind oft Fotos. Wann ist dir das erste Mal der Gedanke gekommen, das mit Licht zu verbinden?
RS: Da muss ich ein bisschen ausholen und einschränken. Ich bin kein Fotograf und ich kann auch nicht fotografieren. Die Technik der Fotografie ist mir zu physikalisch und zu materialbezogen. Das interessiert mich nicht.
Für mich geht es um Situationen und um die Überlagerung derselben mit einer Bedeutung, die über das eigentlich Dargestellte hinausgeht. Ich sehe eine Szene, ein Bild, ein Objekt oder eine Schrift – und das meint etwas ganz anderes als das Abgebildete.
Meine aktuelle Ausstellung heißt ALL EXITS ARE FINAL. Das ist eine Inschrift in einer Tür im New Yorker Bacon Theatre, einem sehr bekannten Musiketablissement. Diese Inschrift bedeutet eigentlich, dass die Tickets verfallen, wenn man hinausgeht. ALL EXTITS ARE FINAL habe ich jetzt mit einem Sensenmann, dem Leitbild der Ausstellung überlagert. Das ist es, was ich eigentlich darstellen möchte.
Die Qualität der Abbildung spielt für mich dabei keine Rolle. Mir geht es um die Farben, um den Text und um die Doppelbödigkeit. Hier kommt vielleicht auch mein medizinischer Hintergrund zum Tragen sowie der Anspruch, Transzendenz und Jenseitigkeit zu thematisieren.
Natürlich spielt da das Licht eine große Rolle. Denn das Licht ermöglicht mir eine Doppelbödigkeit. Damit kann ich bestimmte Dinge beleuchten, die bei einer Fotografie nicht abgebildet werden. Ich versuche, mit dem Bild einen Gedanken zu vermitteln sowie die entsprechende Assoziation, also den Gedanken, der daran anknüpft.
Welche Materialien benutzt Du?
RS: Für mich ist es interessant, Momente darzustellen. Darum arbeite ich gerne mit Lentikularfolien, gängigen Wackelbildern, die das Bild abhängig vom Standpunkt des Betrachters variieren. Dabei ist die Anzahl der Veränderungen, also die Überlagerung mit einem anderen Bild, beliebig. Man kann bis zu drei Bilder sichtbar überlagern.
Diese Technik ist fast in Vergessenheit geraten, aber ich würde sie gerne einer Art Renaissance zuführen. Denn wie keine andere ermöglicht sie Assoziationen sowie eine Doppelbödigkeit und Gleichzeitigkeit von Bildern und Gedanken.
Du hast vor kurzem einen Vortrag gehalten, in dem du deinen Beruf mit deiner Kunst verbindest. Wie siehst du deinen Beruf, was gibt dir das eine, was das andere?
RS: Der Beruf des Chirurgen ist heute stark geprägt durch bildgebende Verfahren. Dies betrifft speziell Operationen am Kopf, am Schädel oder am Gesicht. Es handelt sich vorrangig um Computer-Tomogramme und normale Röntgenbilder. Dabei sind diese Bilder eigentlich nichts anderes als Rechnerwerte, die in etwas Visuelles umgewandelt werden. Für den Experten sind sie allerdings mehr als nur eine Abbildung, sondern implizieren vielmehr eine Diagnose oder bei Tumoren sogar eine Prognose.
Ich habe ein Bild verarbeitet, das eine Fraktur an der Schädelbasis zeigt, welche in der Darstellung grün beleuchtet wird. Jedem, der sich damit auskennt, gibt sie unmissverständlich zu verstehen, dass dieser Patient daran versterben muss. Wenn man das Bild ohne diesen Code, also ohne Erklärung sieht, handelt es sich um eine schwarz-weiße Darstellung, die von einer sehr hellen grünen Linie – bewusst keiner roten Linie – durchzogen wird. Mittels eines ebenfalls grünen Kippschalters wird das Bild schlagartig illuminiert, was die Blitzhaftigkeit des Ereignisses wiedergibt. Das sind Assoziationen, die mit meinem Beruf zu tun haben. Vorausgesetzt es gibt überhaupt klare Übergänge, lassen sich diese aus meiner Sicht mit solchen Farblichtern perfekt darstellen.
Ich habe bei meinen Recherchen viel über dich gefunden. Du bist Arzt, Besitzer eines Turms, Kämpfer des Asiatischen Sports, Vorsitzender der Gottfried Benn Gesellschaft, Künstler – da fragt man sich schon, wie viel Zeit Dir für Deine Kunst bleibt?
RS: Das ist sehr interessant. Die Sterblichen versuchen immer, die Zeit in Korrelation zu einem persönlichen Merkmal zu setzen. Wenn einer zu 90 Prozent des Tages eine medizinische Tätigkeit ausübt, ist er Arzt. Aber wann ist jemand Motorradfahrer? Wenn er im Sommer mit dem Motorrad in den Urlaub fährt? Wenn er ein Motorrad besitzt? Wenn er eine gewisse Kilometerzahl fährt?
An der Zeit lässt es sich offensichtlich nicht festmachen. Es gibt wahrscheinlich Künstler, die gerade deshalb so gute Künstler sind, weil sie sehr wenig Zeit in ihre Kunst investieren. Und es gibt Künstler, die wahrscheinlich an der Menge der Zeit, die sie an Kunst vergeuden, scheitern.
Zeit ist nicht der Maßstab für gute Kunst. Ich glaube, wichtig ist mehr die Passion. Man muss über eine gewisse Vielfältigkeit verfügen, um in unterschiedlichen Bereichen gut zu sein. Ich glaube, es ist wichtig, dass es kultivierte Ärzte gibt und medizinisch informierte Kulturträger. Vielseitigkeit macht auch den Experten besser.
Was würdest Du mit Deiner Kunst gerne bewirken? Wo willst du mit deiner Kunst hin?
RS: Ich möchte mich in die Schule der Wahrnehmung einreihen, die Endlichkeit hoffähig macht. Viele Bilder haben eine ‚Memento Mori’-Grundhaltung. Das kommt sicher auch durch meinen Beruf. Aber wenn es einem gelingt, sich auch bei schönen Bildern oder scheinbar farbenfrohen Darstellungen der Endlichkeit gewahr zu werden, hat man etwas fürs Leben erreicht. Dann lebt man vielleicht bewusster und mit mehr Klarheit im Moment.
Hilft dir das Anschauen deiner Bilder, deine eigene Endlichkeit zu erkennen?
RS: Ich freue mich unendlich, wenn mir solch eine Überlagerung gelingt. Und wenn ich beim erneuten Anschauen des Bildes den Eindruck habe: Hier hat sich der Gedanke verwirklicht.
Kunst ist für dich etwas sehr Persönliches?
RS: Kunst ist für mich ausschließlich persönlich. Ich finde es gut, wenn sich Menschen meine Bilder in die Wohnung hängen. Ich produziere immer Fünfer-Auflagen und ein Künstlerexemplar – es handelt sich also um keine echten Multiples. Dabei ich freue mich sehr, wenn ich glaube, jemand kann den Gedanken nachvollziehen, den ich für ein Bild hatte. Das funktioniert jedoch nur, wenn ihn das Bild an seine eigene persönliche Situation erinnert, oder wenn ich einen gewissen Gleichklang beim Betrachter hervorrufen kann. Interessanterweise gelingt dies überdurchschnittlich oft bei Ärzten.
Weil Ärzte jeden Tag mit Endlichkeit zu tun haben?
RS: Sie können diese Endlichkeit bei absoluter Daseinsbejahung sehen. Das ist für sie kein Kontrast.
Wenn du für dich und deine Kunst einen Wunsch hättest, was wäre das?
RS: Dann würde ich mir wünschen, dass der Betrachter die Assoziation nachvollziehen kann und dass diese wiederum zu einer höheren Daseinsbejahung führt.
Wie viele Bilder stellst du im Jahr her?
RS: Vielleicht zehn bis fünfzehn im Jahr. Das beinhaltet auch kleine Objekte. Ich habe zusammen mit Konrad Wallmeier eine Art Touch-Pad-Konzept realisiert. Grundlage sind die kleinen gelben Kästchen an Fußgängerüberwegen, auf denen steht: „Bitte berühren“. Das haben wir umgewandelt. Anstelle von „Signal kommt“, steht da jetzt „Gefühl kommt“ oder bei einem „Tod kommt“. Vielleicht tauschen wir mal eines in der Stadt aus.
Die Bandbreite erstreckt sich von solch kleinen Objekten bis zu sehr großen, aufwändigen. Wir arbeiten jetzt auch viel mit Sensoren: Kommt man mit der Hand in deren Nähe, wird eine bestimmte Region der Abbildung beleuchtet, während sich eine andere verdunkelt. Zusätzlich wurden Lichteinspielungen programmiert, die auch technisch sehr anspruchsvoll sind.
Was wäre Dir wichtiger, in der Rückschau als Arzt Anerkennung zu genießen oder als Künstler?
RS: Das geht auf ein uraltes Thema zurück, garantiert auf Seneca: Ruhm in der diesseitigen Welt. Ich glaube, das Entscheidende ist nicht der Effekt auf die Nachwelt. Davon halte ich nicht viel. Ich glaube auch nicht, dass Goethe viel davon hatte, was man jetzt von ihm hält.
Wichtiger sind für mich mein Leben und mein Verständnis als Arzt und Künstler. Ich würde das gar nicht trennen, sondern in einem Gedanken sehen wollen, ganz unabhängig vom Erfolg. Als Arztkünstler oder Künstlerarzt wahrgenommen zu werden – das wäre mir am liebsten.
Als Kiefer- und Gesichtschirurg genießt Prof. Dr. Dr. Rainer Schmelzeisen weltweites Ansehen. Der Mediziner ist Ärztlicher Direktor der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (seit 1997).
Am 17. Dezember startet seine Ausstellung ALL EXITS ARE FINAL in Freiburg in der Passage 46.
Das Interview führte Sonja Ohly
Bilder: Privat