Gedanken zum Absturz: Stillstand und alles rast zugleich
Während ich am Küchentisch versuche, über den Flugzeugabsturz zu schreiben, höre ich sie: die Maschinen, die am Düsseldorfer Flughafen starten, wenige Kilometer von mir entfernt. Die, die landen, sehen wir von unserem Balkon aus nur. Als ich gestern, mitten in bester Geburtstagsfeierstimmung, die Nachricht übermittelt bekam, fuhren mein Mann und ich gerade am Flughafen vorbei. Dort, wo die Maschine aus Barcelona nicht mehr ankam. Alles schien still zu stehen in diesem Moment – und doch rasten die Bilder in meinem Kopf, was wäre wenn…
Montag noch saßen wir selbst, aus Spanien kommend, im Flugzeug. Air Berlin statt Germanwings, aber was besagt das schon. Der gleiche Airbus. Mein Mann ist heute schon wieder am Check-In, ich selbst habe bereits die nächsten drei Flüge gebucht. Das Lieblingsbuch meines Sohns ist: ‚Alles über Flugzeuge’ – wie fast jeder Dreikäsehoch liebt er sie, aufgrund der Nähe zum Flughafen besonders. Der Papa einer seiner besten Freunde ist Pilot, die Mama Stewardess. Was fühlen sie? Oder die Mutter des Piloten, die zwei Etagen unter uns wohnt?
Dann die Nacht: Ich werde wach, sofort denke ich an die Menschen, die jetzt so wenige Kilometer entfernt von uns am Düsseldorfer Flughafen von Seelsorgern betreut werden. Stelle mir vor, wie Boulevard-Journalisten bereits versuchen, die Dramen hinter den Geschichten zu erschnüffeln, je persönlicher desto besser. Bevor ich einschlafen kann, maile ich einem Blogger, der Verkehrsexperte ist – Thomas Rietig hat auch schon für ohfamoos geschrieben. Seine Antwort ordnet das, was ich fühle, gut ein:
„Es ist die emotionale, die menschliche oder die geographische Nähe, die uns mehr oder weniger mit Trauer über die Opfer erfüllt, und dass wir Journalisten diese Fragen genau deshalb öffentlich beantworten. Kaum jemand hat seine Anteilnahme mit den 37 Toten des Busunglücks in Peru mitgeteilt, das noch am Morgen in den Nachrichten war. Ich will das gar nicht kritisieren, denn wenn wir alle Unglückstoten dieser Welt ohne Rücksicht auf diese besagte Nähe beweinen würden, hätten wir keine fröhliche Minute mehr. Und niemandem wäre übrigens geholfen. Ich kritisiere die selbsternannten Tugendwächter in den sozialen Medien.“
Thomas hat Recht: Mir geht es so besonders nah, weil ich so dicht dran bin. Wenn man einigermaßen sensibel ist, spürt man Leid. Einer meiner Freunde sagt ironisch gern, „Du kannst auch Dramen gut“, nun ja, für mich ist der Absturz Gott sei Dank keins, aber ich fühle eben mit. So wie auch Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff, den ich wie Thomas aus alten Bonner Tagen kenne. Er macht seinen Newsletter heute Morgen so auf:
„Wissen Sie was? Es gibt Momente, da bleibt einem buchstäblich der Finger auf der Tastatur kleben. Gerade wollte ich etwas über die Kindergelderhöhung schreiben, über die sich die Diakonie und der Bund der Steuerzahler und überhaupt so viele aufregen, weil sie so klein ist –und da denke ich an die Kinder, die bei dem Airbus-Absturz in den Alpen ums Leben gekommen sind.“
Auch das ist wahr: Ich bin Mutter – die Vorstellung, sein Kind zu verlieren, ist der Schlimmste aller Gedanken. Vielleicht ist man deshalb auch viel weniger rational, als es Menschen sein können, die nicht Eltern sind oder die einfach beruflich gar keine andere Chance haben als zu fliegen. Christof Wittig, ein Bekannter von mir (ich hatte ihn bereits hier im Interview), schreibt mir aus Hong Kong auf meine Frage, ob er sich aktuell äußern möchte als absoluter Vielflieger:
„Ich habe leider keine besonders tiefe Meinung. Es ist sehr schmerzhaft für die Angehörigen, und ich habe großes Mitleid mit ihnen. Aber die Tatsache, dass jede 2,5 Sekunden ein A320 startet oder landet, relativiert diesen Unfall dann doch als einen statistischen Event für mich persönlich. Ich war im Dezember in Indonesien als Air Asia abgestürzt ist, und ich fliege oft mit Malaysia Airlines. Mit Germanwings allerdings noch nie…“
Die Zahl der Starts pro Tag relativiert tatsächlich die Dramatik, jedenfalls für nicht direkt Beteiligte. Ob sie tröstet, darf dagegen bezweifelt werden. Statistisch kann man das eingangs erwähnte Busunglück in Peru ebenfalls anders sehen, und zwar dramatischer. In dem Andenstaat sterben jährlich 159 Menschen pro Million Einwohner auf den Straßen, in Deutschland 42. Das ist noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 51, aber eine Verschlechterung um 1 – also einen Menschen! – gegenüber 2013. Insgesamt kamen in Deutschland im vergangenen Jahr 3.369 Menschen im Straßenverkehr zu Tode, 29 mehr als 2013.
Im zivilen Luftverkehr starben 2014 weltweit 970 Menschen. Das ist eine Steigerung um fast das Vierfache gegenüber 2013, als 251 Menschen ums Leben kamen. Wir erinnern uns allein an die zwei Totalverluste der Malaysia Airlines, bei denen 537 Menschen offiziell für tot erklärt wurden. Aber schon an den Schwankungen ist erkennbar, dass die statistische Basis immer geringer wird und damit Trends sehr schwer erkennbar sind. Die Zahl der Passagiere weltweit steigt dagegen ständig, sodass die „overall security“, also das Risiko, bei einem Flugunfall ums Leben zu kommen, immer geringer wird – ein statistischer Trost für alle, die bereits ein Ticket gebucht haben.
Text: Elke Tonscheidt (in Zusammenarbeit mit Thomas Rietig)
Foto: Elke Tonscheidt
Wusstet Ihr?
1. Mehr über die Sicherheit auf Europas Straßen, gerade am 24.3.15 veröffentlicht.
2. Und noch eine offizielle Statistik.
Wie ich es in meinen Gedanken ( http://opas-blog.de/2015/03/25/hoffnung-auf-einen-besseren-ort/ ) zu dem schrecklichen Absturz formuliert habe: Man mag gar nicht daran denken und sich die letzten Minuten in dem Flugzeug vorstellen. Und die Frage, die allzeit im Hintergrund wartet, lautet: Wie konnte das passieren? Denn in unserer ansonsten so gut gesicherten Welt, sind solche Tragödien – eigentlich – nicht mehr vorgesehen. Dennoch schlägt das Schicksal immer wieder zu, plötzlich und unerwartet, und lehrt uns, dass in dieser Welt nur eines sicher ist: Der Tod. Was soll ich sagen? Da bleibt nicht viel mehr als Gottvertrauen und die Hoffnung auf einen besseren Ort.