Flüchtlinge: Kinder spielen, egal wie groß das Leid ist
Die kurdische Provinz Dohuk kennt Ihr vermutlich aus den schlimmen Schlagzeilen: Im Juli 2014 überfiel der „Islamische Staat“ die dortigen Dörfer im Nordirak, ein enormer Exodus war die Folge: Die Jesiden flohen ins Sindschar-Gebirge oder in die Kurdenregion im Nordirak. Ich konnte in Berlin Carl F. Taestensen, dem Landesdirektor der GIZ für Irak, Iran, Syrien und die Türkei, bei der Aufzeichnung eines Interviews zuhören, wie die aktuelle Lage aussieht.
Ein paar Zahlen vorweg, die mich besonders beeindruckt haben: Wir sprechen über eine Provinz, die nur unwesentlich größer als das uns bekannte Saarland ist. Dort in Dohuk leben normalerweise 1,4 Millionen Menschen – in anderthalb Jahren kamen jedoch rund 700.000 syrische Kriegsflüchtlinge und irakische Binnenvertriebene hinzu. GIZ-Experte Taestensen hat das umgerechnet, um es besser zu veranschaulichen: Hätte Deutschland Flüchtlinge im gleichen Verhältnis aufgenommen, wären das etwa 30 Millionen Menschen zusätzlich…
Als ich mir die Zahlen vergegenwärtige, erinnere ich mich an die Aussage des Soziologen Harald Welzer, der mir im Februar im Interview sagte:
„Es sind jetzt eine Million Menschen nach Deutschland gekommen, in Relation zur Bevölkerungsgesamtheit sind das ein bisschen mehr als ein Prozent: Worüber reden wir hier??“
Zurück nach Dohuk, in den Nordirak
Wie schafft eine so kleine Provinz das, was viele in Deutschland so fürchten?
Auch mit der Hilfe anderer. Und so berichtet Carl Taestensen, gebürtiger Däne und mit viel Erfahrung auch aus seinen GIZ-Einsätzen in Usbekistan, Afghanistan und Pakistan ausgestattet, über die Erfolge internationaler Zusammenarbeit und was vor Ort in Dohuk gegenwärtig passiert. Natürlich weiß er, dass das Leben auch nach der Befreiung „nie wieder wie vorher sein wird“. Menschen sind bis heute verschleppt, die wirtschaftliche Entwicklung ist zum Erliegen gekommen, es herrscht eine große Arbeitslosigkeit. Viele Frauen sind mit ihren Kinder allein, traumatisiert. Was ihn aber immer wieder beeindruckt: Kinder finden ihre Freiräume; „sie spielen, egal wie groß das Leid ist.“
Die GIZ hat uns freundlicherweise die Fotos in diesem Artikel zur Verfügung gestellt. Man sieht, was der GIZ-Manager meint: Kinder nutzen einfachste Mittel, freuen sich über das, was sie zum Spielen finden.
Menschen wie Taestensen imponieren mir sehr. Er sagt:
„Für uns gibt es noch viel zu tun, aber bis heute konnten wir schon mehr als 250.000 Menschen unterstützen. Flüchtlinge brauchen Sicherheit, einen Job und Bildung für die Kinder, daran arbeiten wir.“
Fakten zur aktuellen Situation der Flüchtlinge im Nordirak:
- In Dohuk gibt es 18 große Flüchtlingscamps, nur 20 Kilometer von der Front zwischen den Kurden und dem „Islamischen Staat“ entfernt. Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Entwicklungshilfe-Organisation des Bundes, ist einem Flüchtlingslager und in sechs Camps für Binnenvertriebene tätig. Seit November 2014 sorgt sie im Rahmen der Übergangshilfe für eine bessere Infrastruktur. 38 Millionen Euro standen dafür die ersten eineinhalb Jahre zur Verfügung, Ende 2015 wurden die Mittel um weitere 15 Millionen Euro aufgestockt.
- Die GIZ organisiert eine bessere Wasserversorgung in den schon bestehenden Camps, z.B. durch den Bau von Abwasserkanälen. Sie hat Ingenieure eingestellt und Flüchtlinge zu Wartungspersonal ausgebildet.
- Auch baut die GIZ Gesundheitszentren für die medizinische Erstversorgung (bislang 5 Krankenstationen), Schulen (bisher 14) und Gemeindezentren. Hier findet z.B. Rechtsberatung statt, denn viele konnten bei ihrer Flucht kein einziges Schriftstück mitnehmen, brauchen neue Dokumente. Auch psychosoziale Hilfe finden die oft schwer traumatisierten Flüchtlinge dort. Ein weiteres Thema ist die Berufsausbildung: Mit einer neuen Lebensperspektive können Flüchtlinge irgendwann in ihre Heimat zurückkehren.
Das Interview, bei dessen Aufzeichnung ich dabei sein konnte, führte Gabriele Heuser vom Inforadio rbb. Hier könnt Ihr es aufgezeichnet in Gänze anhören.
Weitere Infos über die Arbeit der GIZ im Nordirak
Fotos: GIZ/Thomas Imo