In fremden Betten
Jeder 5. tut es in Berlin. In Hamburg und München ‚beträumt‘ fast jeder 7., in Köln jeder 10. persönliche Kissen in fremden Betten. Wer heute eine Reise tut, bucht immer häufiger eine private Bleibe statt eines Hotels oder einer Pension. Nicht immer weil es günstig ist. ‚Weltweit Zuhause‘, so Airbnb, kommt an. Privatquartiere sind unter Travellern en Vogue. Die Gastgeber-Community wächst: Wimdu und 9flats – zwei deutsche Portale – hängen sich dran. Cornelia hat airbnb kürzlich in Köln ausprobiert, dabei Skurriles sowie Schönes erlebt; und Elke hat bei HouseTrip recherchiert.
Eine länger geplante Reise vom hohen Norden nach Köln stand urplötzlich vor der Tür. Nach zwei, drei erfolglosen Versuchen, spontan ein schönes und bezahlbares Hotelzimmer zu buchen, mein Geistesblitz: Airbnb! Von der Idee grundsätzlich und nun akut begeistert, bei „fremden Freunden“ statt in einem Mittelklassehotel unterzuschlüpfen, wurde ich schnell fündig und wunderte mich, wer da alles seine privaten Gemächer dem offiziellen Markt anbot.
Und welche Vielfalt es gab. Jedenfalls fiel die Wahl auf Jon* und sein schönes Zimmer. Die Bewertungen waren 1A, die Lage passte und als ehemaliger Gastronom verstand er sich bestimmt auf die wichtigste Mahlzeit des Tages: ein gutes Frühstück. Die Buchung war unkompliziert. Gespannt ging es 20 Stunden später auf die Autobahn.
Gastgeber im blauen Bademantel
Mein Kölner Gastgeber wollte ganz unkompliziert den Schlüssel unterm Blumenkübel deponieren. Er habe noch eine Verabredung und sei gegen 20 Uhr nicht da. Dass es dann drei Stunden später werden sollte, nahm er am Telefon gelassen, wobei sich der Kölner Jung als Niederländer entpuppte. Charmanter Akzent und eine Melodie in der Stimme, die meine Vermutung aufgrund seines Profilbides unterstützte: Jon hat wohl einen Mann!
Beruhigend irgendwie, flüsterte eine leise Stimme, die es dann doch etwas ungewöhnlich fand, in das Bett eines fremden Mannes zu schlüpfen.
Noch nach 23 Uhr einzuchecken und dabei wie eine gern erwartete, alte Freundin empfangen zu werden, fand ich großartig und so ganz airbnb’isch. Dass Jon im dunkelblauen Bademantel schwungvoll die Tür öffnete und mir noch auf der Schwelle ein Glas Rotwein entgegenstreckte mit den Worten: „Ich dachte mir, du könntest nun ein Glas brauchen“, war ein skurriler Moment, der unvergessen bleibt. Mit einer selbstverständlichen Herzlichkeit und der gebührenden Distanz lud er mich in seine Küche ein. Dort öffnete sich ein Meer an Rotweinflaschen, altem schönen Geschirr, frischen Zutaten und weiteren Utensilien auf kleinem Raum. Hier war ein Gourmet am Werk! Ein trauriger, wie sich rausstellte.
Eine Flasche Rotwein und ein Freitod
Der Rotwein war allerfeinst. Und die Einladung zu einem zweiten Gläschen recht charmant. Schon nach wenigen Sätzen war klar: Dieser Mann ist eine Fundgrube an Geschichten. Er war recht frischer Witwer nach über 30 Jahren wilder Ehe. Als ehemals erfolgreicher Unternehmensberater hat Jon sich danach in Köln in einem feinen, französischen Restaurant ausgetobt und verbringt den Großteil des Jahres auf Mallorca in seiner Finca, die er gemeinsam mit seinem Mann Peer gekauft hat. Dieser wurde dort allerdings nach einer ausgiebigen Party von einem Gast im Rausch vom Balkon gestürzt. Er erlitt u. a. einen Schädelbruch. Rollstuhl, geistige Verwirrtheit, verlorener Lebenswille – nach sieben Jahren Leidensweg hat Peer seinem Leiden ein Ende gesetzt. Die Finca habe seitdem ihren Reiz verloren und ist über Monate an eine große Filmproduktionsfirma vermietet, erzählt Jon. Und:
„In Köln ist es einsam, seit das Leben ohne Peer so anders ist“, seufzt er. Deshalb freut Jon sich über Gäste aus aller Welt, als Gastronom könne man eben nicht aus seiner Haut.
Und er kümmert sich etwas um junge Menschen, die auch irgendwie gestrandet sind. Kocht mit ihnen, findet Antworten auf Lebensfragen. Da wirkt der ehemalige Berater in ihm, der seine Küche mit Fotos von seinem Mann und Freunden schmückt.
Bellende Hundedamen und kunterbunte Ölgemälde
Jon bot zudem gerade zwei Hundedamen eine Herberge; die, wenn er nicht da war, unentwegt hinter einer verschlossenen Tür bellten. Sie gehören einer alten Freundin, die gerade im Krankenhaus sei.
Im Esszimmer beglückte er mich morgens mit einem richtig tollen Frühstück – da hat einer ein Händchen für einen schön gedeckten Tisch; es fehlte an nichts. Wie überall in der Wohnung standen auch hier ausgesuchte Möbel, hingen viel zu großformatige, fast gewaltige, sehr moderne Ölbilder an der Wand.
Er war zwar an den zwei Tagen meines Aufenthalts kaum noch zu sehen – aber der unsichtbare Gastgeber im Hintergrund, der für alle Annehmlichkeiten sorgte.
An seine traurig-tragische Geschichte erinnerte jedes Ticken der großen Wanduhr und an seine unaufdringliche Neugierde auf Fremde und Fremdes viele Souvenirs aus fernen Ländern. Jon ist ein Gentleman, der mir den Koffer zum Auto trug, und meinte: „Komm gerne wieder“. Eine solche ohfamoose Begegnung – und das ist vielleicht das geniale Geheimnis von Privatquartieren – hätte ich sie in einem Hotel gemacht?
*Ihr werdet verstehen, dass wir den Namen des Kölner Gastgebers geändert haben.
Elke hat das Thema Fremdwohnen früher schon einmal unter die Lupe genommen. Ihre gesammelte Recherche könnt ihr hier nachlesen. Einer der Mitgründer von HouseTrip sagte auf Anfrage: „Immer noch aktuell so.“