Halloween – welche Rituale brauchen wir?
Bald ist es wieder so weit. Kinder ziehen verkleidet von Haustüre zu Haustüre, sammeln Süßigkeiten. Auch Deutschland feiert Halloween, das Fest der Iren und Amerikaner zu Allerheiligen. Aber was ist aus unseren heimischen Ritualen geworden? Der sonntägliche Kirchgang, das Tischgebet, Aufstehen vor Unterrichtsbeginn, der Polterabend. Ich frage (mich): Rituale – Kulturverfall oder Bereicherung? Und welche Rituale brauchen wir?
Wir reisen und sehen, wie andere Kulturen in Gemeinschaft feiern und zusammenkommen. Dabei machen wir Fotos, dürfen manchmal sogar mitfeiern. Zu Hause angekommen murmeln wir in verschwitzten Yogastudios ‚namaste’, feiern Junggesellenabschiede und Babyshower.
Rituale sind en vogue
Groß aufgezogene Abschlussfeierlichkeiten von Universitäten mit Talar und Doktorhut sind längst auch an deutschen, staatlichen Unis Brauch. Amerikanische Firmen bauen Rituale in ihre Unternehmenskultur ein. Das Familienfrühstück fällt dem gemeinsamen ‚check in Kaffee’ zum Opfer, nur ein Beispiel unter vielen. Heimische Rituale, die im Aufstand gegen das Spießbürgertum abgeschafft wurden, ersetzen wir durch Bräuche aus anderen Ländern – und haben viel Spaß dabei.
Ein Ritual ist übrigens laut Wikipedia eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt.
Rituale leben von der Wiederholung
Inzwischen gehe ich wieder gerne in die Kirche. Ich bin evangelisch. Meine Kinder sind evangelisch getauft, besuchen aber eine katholische Grundschule in Sydney, in deren Gemeinde und Gemeinschaft wir uns gut aufgenommen fühlen. Was uns als Familie guttut sind die kirchlichen Rituale, die im Paket einherkommen.
Rituale erleichtern den Übergang
Ein Ritual vor Unterrichtbeginn ist z.B. eine kurze Andacht, Stille halten. Dankbar sein für den neuen Tag, unser Frühstück, die Zeit mit den Freunden. Kurz bevor die Kinder in den Nachmittag entlassen werden, wünschen die Lehrer in einer stillen Minute einen sicheren, glücklichen Nachmittag und geben den Kindern dabei das Gefühl, sich auf morgen wieder freuen zu können.
Wenn ich mit den Kindern den Schul- oder Sonntagsgottesdienst besuche, fühle ich mich verstanden. Der sakrale Ort wirkt auf mich und lässt mich kurz entfliehen von den Zwängen des Alltags.
Rasten und die Gedanken nach innen richten gelingt mir alleine sonst nur selten. In der Gemeinschaft innehalten klappt jedoch sehr gut.
Rituale bedeuten Heimat
Kürzlich auf unserer Italien-Reise besuchen wir immer wieder Gotteshäuser. Die Kinder murren nicht ein einziges Mal, denn die Geschichten über die Entstehung der Kirche sind interessant und als Architektin kann ich ein bisschen mit einfacher Baugeschichte punkten. Mein Sohn, sieben Jahre alt, Fußballspieler und Star Wars-Fan, saß übrigens immer als Erster von uns in den Kirchenbänken. Der Stille und den Gesetzen der pompösen, kirchlichen Baukunst völlig erlegen. Großes Kino für so einen kleinen Menschen.
Und was sind wir klein, wenn wir uns als Individuum zurücknehmen und als Teil einer größeren Idee verstehen.
Protestanten bekreuzigen sich am Eingang nicht mit Weihwasser, aber wir finden auf unsere Reise ein anderes Ritual: In jeder Kirche zünden wir eine Kerze an und denken an ein Familienmitglied.
Rituale geben Sicherheit
Ich glaube fest: Kinder brauchen Rituale in der Erziehung zur Orientierung und Sicherheit. Auch ich brauche sie. Ich gehöre als moderne Christin gerne einer Kirche an, die an Traditionen anknüpft. Das gibt auch mir Sicherheit. Sicherheit, dass mich mein Glaube an Frieden und Nächstenliebe trägt.
Komme was wolle, von mir aus auch Halloween!
Fotos: privat
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