Hat Angela Merkel Rechtsbruch begangen?
Hat Angela Merkel einen Rechtsbruch begangen, als sie „die Grenzen öffnete“? Welche Rolle spielten und spielen die EU-Staaten oder der „Türkei-Deal“? Fragen, die uns Ralf Weidner beantwortet. Er sitzt direkt in der Berliner Bundesgeschäftsstelle der CDU, leitet dort den Bürgerservice und kennt die vielen Tausend Briefe besorgter Bürger, gerade über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Weidner kennt auch die Politik der Parteichefin gut, weshalb wir ihn gebeten haben, diesen Gastbeitrag zu schreiben.
Im Spätsommer 2015 kamen große Zahlen an Flüchtlingen nach Europa. Ein Hauptgrund liegt im syrischen Bürgerkrieg, wo Präsident Assad mit Hilfe Russlands das eigene Volk bombardieren ließ, wo er Rebellen vermutete. Als Synonym hierfür steht die zweitgrößte Stadt in Syrien: Aleppo.
Durch die ganze Welt gingen Bilder von erschöpften Menschen, die Zuflucht in Europa gesucht hatten, teilweise mit Seelenverkäufern und geschleust von Schlepperbanden über das lebensgefährliche Mittelmeer. Für immer mehr Flüchtlinge war in Ungarn Endstation. Dort waren sie unerwünscht. Sie wurden teilweise inhuman behandelt. Der Staat überließ diese Menschen sich selbst. In dieser Situation bot Angela Merkel den Flüchtlingen Zuflucht in Deutschland an. Mit großer Wirkung, aber:
Es wird immer wieder behauptet, Angela Merkel habe die deutschen Grenzen geöffnet. Das ist grundfalsch.
Denn in den Ländern der Europäischen Union sind die Grenzen offen. Sie müssen nicht geöffnet werden. Diese Vereinbarung nennt man Schengener Abkommen. Ohne Zustimmung Europas darf ein EU-Staat die europäischen Binnengrenzen nicht einmal schließen.
Was ist unser Europa wert?
Europa ohne Grenzen schafft nicht nur Freiheit für die Menschen, insbesondere beim Reisen. Es hat auch Handelsbarrieren beseitigt, spart Zeit und Geld. Ohne diese europäische Freizügigkeit würde gerade die europäische Exportnation Nummer 1 volkswirtschaftlich schlicht kollabieren. Diese Freizügigkeit endet an den Grenzen der EU. Die Grenzländer sind verpflichtet, die Außengrenzen zu sichern. Sie sind ferner verpflichtet, Flüchtlinge und Asylbewerber aufzunehmen und sich ihrer anzunehmen. Das nennt man Dubliner Abkommen.
Das war in Ungarn leider nicht der Fall. Hier hieß es formal: Viele Flüchtlinge hätten als erstes Griechenland betreten, man sei nicht zuständig. Für Flüchtlinge ist formal das erste Land in Europa zuständig, das betreten worden ist. Oft also Italien, zuletzt öfter Griechenland. Doch formal-juristische Betrachtungen halfen nicht. Angela Merkel hatte humanitäre Hilfe geleistet, nicht zuletzt geleitet durch das christliche Bild vom Menschen.
Jetzt hätte Angela Merkel die Flüchtlinge anstatt nach Deutschland zu holen nach Griechenland befördern können. Doch das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor in einer Entscheidung festgestellt, dass eine Rückführung nach Griechenland den deutschen Behörden untersagt ist, weil die Zustände humanitären Mindeststandards nicht genügen. Und die Zustände in Griechenland sind bei Weitem besser als in Ungarn.
Humanitäres Handeln, ja oder nein?
Man konnte zu jener Zeit auf die Idee kommen, dass das christliche Menschenbild in der EU-Verfassung – vor allem weil das laizistische Frankreich es nicht wollte – nicht Erwähnung findet. Aber Handeln aus rein humanitären Gründen, wie beispielsweise in der Flüchtlingscharta vorgesehen, hatte ausgereicht. Auch wenn viele, gerade christlich geprägte Länder im Osten der EU, dieses humanitäre Handeln als nicht geboten sahen – und sich bis heute verweigern mitzuhelfen.
Im Jahre 2015 sind 890 000 Flüchtlinge zu uns gekommen. Bereits vor der beschriebenen Maßnahme hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière 800 000 prognostiziert, ohne spürbare Resonanz. Nachdem die Außengrenzen wieder besser geschützt werden, ist seit letztem Jahr wieder Normalität eingekehrt.
Was besagt der „Türkei-Deal“?
Dazu gehört auch das Türkei-Abkommen. Dieses Abkommen – das verkürzt „Hilfe für Flüchtlinge gegen Geld“ besagt – wird teilweise argwöhnisch beäugt oder schlichtweg abgelehnt. Gerade die, die sich gegen Deutschlands Hilfe in der Flüchtlingsfrage gestellt hatten, scheinen auch hier die größten Kritiker zu sein. Dabei übersehen sie, dass die Türkei faktisch als EU-Außengrenze fungiert und das hoffnungslos überforderte Griechenland ersetzt.
Wenn auch die innenpolitische Lage Grund zur Besorgnis darstellen mag, wird übersehen, dass internationale Beobachter den Flüchtlingen eine humane Behandlung in der Türkei bescheinigen.
Und es ist nicht konstruktiv zu argumentieren, die Flüchtlinge sollten bitte in der Heimat bleiben. Denn dort sind sowohl die humanitäre Lage als auch die innenpolitische Situation ungleich katastrophaler.
Probleme auf der Balkan-Route
Die Balkan-Route wurde mit der Zeit immer undurchlässiger. Es begann mit Serbien, übrigens einem Nicht-EU-Staat. Da hatten bereits die großen Zahlen an Fluchtbewegungen bereits abgenommen. Menschen, die mit Leib und Leben bedroht sind, finden Fluchtwege. Wenn es nicht die Balkan-Route ist, dann ist es das Mittelmeer, der Atlantik oder Pfade durch Russland. Diese Tatsache ist auch dem traurigen Umstand geschuldet, dass mafiöse, menschenverachtende internationale Schlepperbanden hier ein lukratives Geschäft gefunden haben.
Seit fast einem Jahr sind die Flüchtlingszahlen um 97 Prozent abgeschmolzen.
Teilweise unbekannt ist, dass Deutschland insbesondere im Süden auf Antrag bei der EU bis auf weiteres Grenzkontrollen wieder eingeführt hat. Eine echte Grenzschließung dürfte aber faktisch unmöglich sein. Deutschlands Grenze beträgt insgesamt 3757 Kilometer.
Warum blockieren die Grünen im Bundesrat?
Jedem Flüchtling und Asylbewerber, der zu uns kommt, muss nach dem Grundgesetz Asyl gewährt werden, es sei denn, er wird überführt, die Unwahrheit gesagt zu haben und keinen Fluchtgrund zu besitzen. Vereinfachte Verfahren gibt es bei Menschen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen. Hier blockieren die Grünen im Bundesrat entsprechende Erweiterungen der Staatenliste, insbesondere Nordafrika, den sogenannten Magrebstaaten. Auch sind die Verwirkungstatbestände erweitert worden.
Wer eine von Haftstrafe bedrohte Straftat begangen hat, hat sein Recht auf Asyl verloren.
EU-Institutionen haben festgestellt, dass sich die humanitäre Lage in Griechenland derart verbessert hat, dass Flüchtlinge bei uns, die über Griechenland kamen, wieder dorthin gebracht werden können. Derzeit ist die Zahl der Abschiebung in sichere Drittländer höher denn je. Denn Flüchtlingshilfe endet dort, wo Flucht- oder Asylgründe nicht bestehen.
Solidarität in Europa ist keine Einbahnstraße
Neben dem Hauptziel, die Fluchtursachen zu bekämpfen, bleibt es Ziel der Bundesregierung, Flüchtlinge in Europa nach einer gerechten Quote zu verteilen. Gerade die Staaten, die sich mit teilweise abenteuerlicher Begründung einer Aufnahme verweigern, müssen wissen: Die Union ist kein Gebilde ausschließlich der Privilegien und Subventionen.
Fazit: Die humanitäre Entscheidung Angela Merkels war dem christlichen Menschenbild und unserer Verfassung geschuldet.
Auch in Zukunft müssen Flüchtlinge geschützt werden. Das wird aber nur noch als gesamteuropäische Aufgabe zu realisieren sein. Despoten-Kriege wie in Syrien müssen weltweit unmöglich gemacht werden. Ohne Veto.
Ralf Weidner ist seit 2006 Leiter des „CRM-Teams Bürgerservice“ der CDU-Bundesgeschäftsstelle, dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. – In Kürze werden wir von ohfamoos über eine Autorin, auch aus Berlin, berichten, die gerade in die SPD eingetreten ist.
Fotos: pixabay
…wunderbar klarer Artikel. Wenn das Thema Flüchtlinge nicht so emotional belegt wäre würden diese Fakten jeden Zweifler überzeugen…
Leider sind Flüchtlinge per see mittlerweile weltweit Projektionsfläche individueller Zukunftsängste und damit opfer interpretativer Willkür. Wir kennen dieses Phänomen leider aus der eigenen Geschichte. Die Projektion kollektiver Ängste auf Juden und weitere „Andersartige“ konnte erst durch die katastrophale Niederlage eines ganzen Volkes überwunden werden.
Bleibt zu hoffen das es diesmal gelingt den Schalter weniger blutig wieder umzulegen um damit besonders in der westlichen Welt zurück zu einem auf christlichen Werten basierenden mit einander zu finden.
Der Artikel ist gut geschrieben – ABER: war der Schreiber direkt mit der Flüchtlingssituation konfrontiert? Hier in der Nähe von Passau wurden wird überflutet von „Flüchtlingen“. Ca. 80% waren – und sind es – Männer. Frauen und Kinder wurden erst einmal im Kriegsgebiet zurück gelassen. WARUM + WIESO?
Angela Merkel hat im Alleingang gehandelt – es ist nachvollziehbar, dass von den 28 EU-Staaten sich sehr viele überrumpelt gefühlt haben – wen überrascht dann diverse negative Reaktionen?
Christliche Werte? Warum kommen in solchen Situationen wieder Religionen zum Vorschein? Sollten wir – ich spreche über die freiwillige/ehrenamtliche humatinäre Hilfe, ohne die so viele Flüchtlinge nicht so weit gekommen wären wo sie heute zum Teil sind – ein schlechtes Gewissen aufoktroyiert bekommen? NEIN – Angela Merkel hat gehandelt ohne an UNS zu denken und was diese „WIR SCHAFFEN DAS“ Mentalität für Folgen hat. Diese Einstellung ist unverantwortlich.
Es gibt sehr viele traumatisierte Frauen + Kinder, die Zuflucht bei uns gesucht haben bzw. noch suchen, die aus einem Kriegsgebiet kommen und noch kommen werden.
Artikel schreiben ist eine Sache – sich mit der Realität auseinander setzen eine andere. Ich bin Agnostikerin – ich helfe wo ich kann – also lasst mir bitte die christliche Religion aus dem Spiel. Es wäre besser, sich mit den Waffenlieferanten anzulegen – da liegt die Krux im argen. Aber die Gier nach Geld nimmt immer mehr zu – Menschenmaterial ist ja genügend vorhanden.
Dem Artikel kann ich durchaus zustimmen. Was ich bemängeln muss ist allerdings die Art und Weise wie mit den Flüchtlingen verfahren worden ist und weiterhin verfahren wird. Zum einen hätte es von Anfang an erkennungsdienstliche Maßnahmen geben müssen. Ohne wenn und aber und voll umfänglich. Flüchtlinge ohne oder mit falschen Papieren hätte die Einreise in die EU verweigert und in das letzte Nicht-EU-Land abgeschoben werden müssen. Denn dort waren sie nicht verfolgt. Auch hätte dies die Schleppertätigkeiten erheblich erschwert. Für alle anderen hätte ein deutlich schnelleres Asylverfahren schnellere Rechtssicherheit gegeben. All diese Maßnahmen sind von bereits bestehenden Gesetzen mehr als ausreichend abgedeckt. Sie hätten nur Anwendung finden müssen. In dieser Hinsicht hat die Regierung, die Politik und die Exekutive auf ganzer Länge versagt und bestehenden Gesetzen wissentlich zuwider gehandelt.
Insofern kann Frau Merkel nicht die Gesamtschuld angelastet werden. Schuldlos an der Lage ist sie dennoch nicht.
All dies widerspricht nicht dem humanitären Gedanken und hätte viel Leid und viel Hass erspart. Es hätte sich nicht diese, von breiten Bevölkerungsschichten getragene, Antistimmung bis hin zum offenen Hass und Bedrohung aufgebaut.
Es ist auch nicht die Frage, ob Deutschland die Menge der Flüchtlinge aufnehmen kann. Das ist ohne weiteres möglich. Die Frage ist zum einen; wurde dem Willen der Bevölkerung Rechnung getragen? Was man ganz klar mit nein beantworten muss, denn diese wurde nicht gefragt; und zum anderen: sind die damit verbundenen Aufwendungen in personeller wie monetärer Sicht gerechtfertigt.
Die sich um diese Situation herum aufbauende Flüchtlingsindustrie, kann man sicherlich auch als Wirtschaftsförderungsprogramm sehen.
Dem stimme ich im Wesentlichen zu. Es sind anerkanntermaßen Fehler gemacht worden. Die Frage, wie sie hätten vermieden werden können, ist hypothetisch.
Indes ist inzwischen ein Riesenbündel an Maßnahmen beschlossen und z.T. umgesetzt worden. Flüchtlinge erkennungsdienstlich behandeln, integrieren oder zurückführen, Fluchtursachen bekämpfen.