Heidi Klum – das totale Anti-Vorbild
Zurzeit läuft wieder eine Staffel von Germany’s Next Top Model (GNTM) und ich frage mich nicht zum ersten Mal, warum es immer noch junge Frauen gibt, die sich dort bewerben. Für mich ist Heidi Klum mit ihrem unechten Roboter-Grinsen und ihrer gespielten Natürlichkeit ein totales Anti-Vorbild. Aber ihr Gequake und ihre Demütigungsattacken scheinen das deutsche Publikum weiterhin zu begeistern.
Auf das Thema komme ich, als ich mich mit meiner Nichte (18) unterhalte. Ein Mädchen aus ihrer Klasse hatte sich letztes Jahr bei GNTM beworben und hatte es in die Auswahl geschafft. Als sie jedoch den Vertrag sah, machte sie einen Rückzieher. Der Grund: Alle Rechte des gesamten Foto- und Videomaterials, die während der Dreharbeiten gefilmt werden, gehören dem Sender und können jederzeit veröffentlicht werden. Kluges Mädchen!
Heidi Klum – Jedem eine Chance
Sachlich betrachtet bekommen die Mädchen bei der Castingshow ja einiges geboten: professionelles Coaching, Beauty- und Styling Beratung samt neuer Frisur, Trips nach New York, Paris oder Mailand, Shootings mit Starfotografen und erste Laufstegerfahrungen. Es ist die freie Entscheidung der Teilnehmerinnen bei GNTM mitzumachen und zumindest den 18-jährigen unterstellt man, dass sie sich über die Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst sind. Die Sendung entspricht durchaus dem deutschen Mainstream und es mag am allgemeinen Aufmerksamkeitssyndrom liegen, dass GNTM und ähnliche Sendungen so populär sind. Klum, Bohlen und Co. versprechen ‚jedem eine Chance‘!
Laufender Kleiderständer
Wieso jedoch der Beruf ‚Model‘ in unserer Gesellschaft eine derartig überhöhte, idealisierte Traumberufs-Position bei Mädchen besetzt, ist eine interessante Frage. Wandlungsfähiger, laufender Kleiderständer beschreibt es doch auch ganz gut?
Interessant finde ich zudem, dass es offensichtlich viele Eltern gibt, die es für erstrebenswert halten, ihre Kinder zu solchen Models machen zu lassen und sie in die Show entsenden.
Nach 11 Staffeln könnte man doch wissen, dass Klum in der Sendung ihre eigene Leidenszeit als Model auf dem Weg nach oben inszeniert. Warum machen die Mädchen diese Erniedrigungen mit?
Wachsen diese jungen Frauen mit solch schwachen Elternbildern auf, die sie eher entmutigen als zum Vorbild zunehmen? Bietet Klum und ihre scheinbare Glitzerwelt eine Alternative?
Warum schauen Jugendliche GNTM?
Ich frage meine Nichten und Neffen und deren Freunde, warum sie GNTM schauen. Bei den Mädchen höre ich echte Begeisterung für die Sendung. Sie fragen sich, ob ihre Favoritin wohl gewinnen wird und welche Herausforderungen die Kandidatinnen noch bestehen müssen. Bei den Jungs höre ich nur Schadenfreude. Sie lachen über die Demütigungen, die die Mädchen über sich ergehen lassen müssen und über den Zickenkrieg, der entsteht.
Die neue Staffel kommt mit noch viel mehr Druck und Willkür daher als die Vorhergegangenen. Model–Queen Klum auf dem Thron entscheidet, wer bleiben darf und wer nicht. Die beiden Männer an ihrer Seite haben wenig zu sagen. So macht Klum sich über ein seekrankes Mädchen lustig und drängt eine junge Frau mit Höhenangst noch weiter an den Rand einer Kiste zu gehen, die 8 Meter über dem Boden schwebt.
Ist das menschlich? Die Ängste und Unsicherheiten der jungen Frauen werden als Entertainment benutzt. Es grenzt an Sadismus, hat aber offensichtlich großen Unterhaltungswert.
Ich weiß auch nicht was perfider ist: Heidi Klum in ihrer Richterrolle oder die jungen Lämmer in ihrer Opferrolle? Aber dass die Zuschauer vergessen, dass sie mit ihrem Einschalten bei Klum, Bohlen und Co. gerade jenen zum Ruhm verhelfen – das ist das eigentliche Drama.
Ich persönlich freue mich über jede junge Frau, die genug Selbstbewusstsein hat, diese Shows nicht zu schauen – und über Eure Ansichten zu diesem Thema.
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