Honig im Kopf – es bleibt etwas kleben!
“Honig im Kopf”. So heißt die Tragikomödie mit Dieter Hallervorden, Til und Emma Schweiger. Durch die Augen eines Kindes beobachtet treten in diesem Film Anstrengungen und Frustration bei der Pflege an Demenz leidender Menschen in den Hintergrund. Vor ein paar Tagen war ich ebenfalls in einem Altenheim, um meine 94jährige, inzwischen stark an Demenz leidende Oma zu besuchen. Erhofft habe ich mir wenig von meinem Besuch, enttäuscht wurde ich aber auch nicht.
Als Oma mich erblickt, erhellen sich Ihre kleinen, müden Augen. Sie lacht, umschließt meine Hände und bemüht sich aus ihrem Stuhl. Ob sie weiß, wer ich bin, spielt in diesem kurzen Moment keine Rolle. Sie freut sich, dass ich da bin. Wer ich sei? Wie ich heiße, wo ich wohne und warum ich hier sei? Diese Fragen stellt sie höflich mit einem seligen, fast gütigen Lächeln – und ich beantworte ihre Fragen geduldig. Einmal, zweimal, dreimal. Ihr Gedächtnis würde sie im Stich lassen und die Ohren seien auch „kaputt“. Das Hörgerät sei zu Hause, so entschuldigt sie sich.
„Weißt Du, Ich will auch gar nicht mehr alles hören!“
Wir besuchen zusammen ein sogenanntes Gedächtnistraining für ihre Gruppe. Eine sehr engagierte, humorvolle Pflegerin liest langsam aus einem Buch vor. Wir besprechen die Zeit nach dem Krieg, die Anstrengung des Wiederaufbaus und erste Urlaubsreisen. Wie sah der erste Urlaub aus, so ohne viel Geld? Eine Busfahrt zu den Verwandten, eine Fahrradtour ins Nachbardorf oder vielleicht sogar eine Schifffahrt auf dem Rhein. Ich bin erstaunt, denn es entwickelt sich sogar ein Gespräch. Die Gesichter hellen sich auf, die Betreuerin bindet jeden einzelnen Patienten ein, stellt kurze Fragen und versucht von ihrer eigenen, ersten Urlaubsreise ein paar lustige Anekdoten einfließen zu lassen. Die Gesellschaft lacht für einen Moment. Dann werden die Pfenningpreise einer Kugel Eis diskutiert.
Das Langzeitgedächtnis funktioniert bei einigen Patienten noch sehr gut und ich ertappe mich dabei, wie ich mich in die Situation der anwesenden Patienten versetze. Erinnerungen an Glück, an Erschöpfung, vielleicht sogar an etwas Abenteuerlust ohne viel Geld. Nach dem Krieg eine Reise mit der Bahn in die nächste größere Stadt oder per Rad oder zu Fuß zum Waldsee, dabei ein Zelt auf dem Rücken. Das war ein großes Ding, darin sind sich alle einig. Manche nicken nur zustimmend mit dem Kopf.
Dabei hält meine Oma meine Hände, die so schön warm sind im Mai – auch wenn sie jetzt nicht sofort wisse wer ich sei. Später würde ihr es bestimmt wieder einfallen, versichert sie mir.
Sie ist einfach glücklich, dass ich da bin. Ein Mensch, der Oma offensichtlich mehr an ein Gefühl als an einen Namen erinnert. Wie wunderbar. Sie entdeckt meinen Ehering und findet ihn wunderschön. Sie muss ihn immer wieder anschauen, anfassen und lobt ihn anerkennend. Er sei sehr schick!
Ich begleite Oma zu ihrem Platz am Mittagstisch, dabei summt sie ein Lied. Sie erinnert sich sofort an Titel und Sänger. Wie er heißt? Ich kann es Euch leider nicht sagen, ich habe es vergessen.
Text: Melanie Blankenstein
Foto: Pixabay
Diese Situation habe ich bei beiden Großmüttern und einem Großvater durchgemacht. Die erste, Mitte der 80er Jahre, in der Familie über gute zwei Jahre gepflegt, ging mir schon ziemlich nahe. Zumal es damals kaum Möglichkeiten wie heutzutage in Punkto Demenz oder Alzheimer gab. Die zweite, in den 2000ern, über einen Zeitraum von über 8 Jahren, in einem Pflegeheim in unmittelbarer Nachbarschaft, in der ersten Zeit mit aktivem Familienkontakt, später dann regelmäßig, mindestens 2 – 3 mal pro Woche im Heim besucht. Da waren die Möglichkeiten schon weiter fortgeschritten. Mein Großvater wurde im selben Heim bis zu seinem Tode gepflegt, als meine Großmutter mit seiner Pflege überfordert war. Er war da allerdings kaum mehr ansprechbar.
Das miterlebte Leiden und ganz speziell mein Mitleiden hat mich sehr geprägt.
Danke für den Artikel
Nur wer alle Facetten (auch die nicht so schönen) des Lebens akzeptieren kann wird sein Glück zu schätzen wissen.
Neulich habe ich einen eindrucksvollen Film dazu geschaut: „Still Alice“ mit der wunderbaren Julianne Moore in der Hauptrolle. Empfehlung! Hier ein Trailer: https://youtu.be/ZrXrZ5iiR0o
Vielen Dank für den Beitrag. Die Geschichte erinnert sich mich an meine Mutter. Obwohl wir Seniorenpflege zu Hause eingestellt haben, war meine Mutter Tag und Nacht für meine Oma da.