Haben wir nicht alle ein Lobdefizit?
„Haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt?“ So stand es früher mahnend auf Aufklebern, die man am Heck von Autos lesen konnte (kann man hier noch kaufen). Astrid Lindgren soll mal gesagt haben, dass man in Kinder nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln kann. Das Gleiche gilt übrigens für jeden einzelnen von uns, meint Jasmin Klein, unsere heutige Gastautorin.
Haben wir nicht alle ein Lobdefizit, wie Funny van Dannen singt? Wann hat Dir das letzte Mal jemand gesagt, dass etwas an Dir liebenswert ist? Und wann hast Du das letzte Mal jemandem ein Kompliment gemacht? Denn es macht ja nicht nur Freude, gelobt oder zumindest „gesehen“ zu werden, sondern auch, andere zu loben und sie zu „sehen“.
Dabei geht es letztendlich um mehr. Es geht um Wahrnehmung. Und damit einhergehend Wertschätzung.
Wenn ich mich nur mit mir selbst beschäftige und niemand anderen um mich herum wahrnehme, fühlt sich der andere dann wertgeschätzt? Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, der dabei in sein Handy blickt, fühle ich mich dann wahrgenommen?
Menschen „nur mal“ richtig in die Augen sehen
Alleine jemandem in die Augen zu schauen, ihn wirklich anzuschauen, kann etwas Revolutionäres sein. Marina Abramović hat es zu einer großen Performance gemacht. Vom 14. März bis 31. Mai 2010, während das New Yorker Museum of Modern Art eine Retrospektive ihrer Arbeiten zeigte, fand dort nämlich gleichzeitig ihre Performance „The Artist is Present“ statt. Insgesamt 721 Stunden saß sie im Atrium des Museums an einem Tisch und sagte nichts, und ihr gegenüber setzte sich jeweils ein Besucher auf einen Stuhl. Sie blickte in den Tagen und Wochen rund 1.500 Menschen in die Augen. Dadurch ergaben sich unfassbare Szenen. Besonders ergreifend, als ihr alter Liebhaber und Performance-Partner Ulay ihr gegenüber trat und beide nichts tun konnten, als sich tief in die Augen zu schauen. Wen das neugierig gemacht hat: der Dokumentarfilm steht bei youtube. Ulay kommt bei 01:01:00
In vielen deutschen Firmen gilt das Motto: Solange der Chef oder die Chefin einen nicht kritisiert, ist es okay. Aber ich weiß genau, wie gut sich ein Schulterklopfen anfühlt. Obwohl ich weiß, dass es von manchen manipulativ eingesetzt werden kann – ich fühle mich nach einem Lob, nach einer Anerkennung einfach besser.
Ich versuche jetzt, den Menschen in meinem Alltag in die Augen zu schauen. Macht das mal. Beim Bäcker. An der Kasse im Supermarkt. Dazu braucht man schon manchmal etwas Mut. Zumindest Überwindung.
Und man sollte es auch behutsam tun. Da wir alle schon so daran gewöhnt sind, an uns vorbeizuschauen, kann ein Blick in die Augen eines Fremden diesen schnell irritieren.
Sie hat sich so über mein Lob gefreut
Kürzlich habe ich der sehr freundlichen Frau in der Bäckerei gesagt: „Ich finde es ganz toll, wie freundlich Sie sind.“ Sie hat sich so über mein Lob gefreut, da habe ich mich gleich mitgefreut. Ich mache das natürlich auch nicht ganz uneigennützig: wenn jemand etwas Schönes tut, wenn jemand etwas gut macht, und niemand scheint es wahrzunehmen, hört er nämlich eines Tages damit auf. Weil es nicht wahrgenommen wird.
Schärft Eure Wahrnehmung. Und seht Eure Kinder an. Seht Eure Liebsten an. Seht ihnen in die Augen. Sagt ihnen, was Euch an ihnen gefällt. Lobt sie. Jeden Tag.
Wer soll es sonst tun? Und lobt Euch selbst. Seid gut zu Euch. Wer soll es sonst tun?
Jasmin Klein verantwortet bei eyecatcher in Köln das Controlling und Projektmanagement. Sie organisiert Dreharbeiten und betreut Kunden als Social Media Managerin. Sie schreibt auch auf www.meinesuedstadt.de, dem hyperlokalen Blog der Domstadt am Rhein.
Foto: pixabay
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