Unbezahlbar? Abenteuer auf hoher See
Es freut uns sehr, wenn uns spannende Menschen finden und von ihren ohfamoosen Projekten berichten. So erging es uns auch mit Ben, dem Weltumsegler; er erzählt uns nun von seinem ganz besonderen Abenteuer beim Segeln: Einer Studie, bei der Wirtschaftssysteme wie Lebensträume zur Sprache kommen..
Als ich vor zwei Jahren – nach unserer 5jährigen Familienweltumseglung – zu meiner nächsten großen Reise aufbrach, träumte ich von der Umrundung Kap Horns. Von Flensburg aus startend, endete meine Fahrt bereits in Dänemark. Die Erkenntnis, dass alle Meere vermessen, alle großen Reisen bereits gemacht wurden, nirgends mehr wirklich unentdeckte Regionen auf dieser Erde zu finden sind und damit jede Reise bloße Wiederholung sein würde, traf mich recht unsanft. Einige Zeit dümpelte ich frustriert und planlos in dänischen Gewässern vor mich hin. Freunde kamen zu Besuch, aber auch fremde Menschen fanden ihren Weg zu mir an Bord. Durch sie angeregt, entschloss ich mich dazu, ein wirklich neues Abenteuer zu wagen:
Ich widmete die Phoenix, mein Weltumseglerboot, zu einem Forschungsschiff um; mit dem einen Ziel: die unbekannten Gewässer zukünftiger Wirtschaftsformen zu bereisen:
Was geschieht, wenn ich meine Arbeit nicht mehr zu einem vorher festgelegten Preis verkaufe?
Hintergrund ist die Idee, dass sich die Welt nach unseren Annahmen und Vorstellungen formt. Wenn wir also die Vorstellung als Gesellschaft haben: Arbeit ist die Bedingung für Einkommen, dann erhalten wir bestimmte Ergebnisse. Hinter dieser Annahme steckt die Angst, dass ein Mensch, dem wir erst das Geld geben, danach keine Motivation mehr hat, noch für uns zu arbeiten. Dahinter steht des Weiteren die Annahme, Menschen seien per se faul und würden nichts zu einer Gesellschaft beitragen, wenn es nicht den Zwang zum Geldverdienen gäbe. Würden wir also ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, ginge niemand mehr zur Arbeit und die Gesellschaft versänke im Chaos.
Einkommen ist die Bedingung für Arbeit
So lautet meine Gegenthese. In dem Vertrauen darauf, dass der Mensch als soziales Wesen seinen individuellen Beitrag zur Welt leisten wird, wenn wir ihm die Freiheit in Form von Vertrauen (und Geld) schenken.
Da ich nicht daran glaubte, dass mir Menschen einfach so meinen Lebensunterhalt schenken würden um meine These zu erproben (ja, ich komme auch aus dem alten System…), wählte ich folgenden Umweg:
Ich habe meine Arbeit als Skipper verschenkt, in dem ich ihr den Preis genommen und gleichzeitig die Frage gestellt habe, ob sich die Menschen an meiner Lebenssicherung und den Kosten des Projekts freiwillig beteiligen wollen.
Ein Hafen für Schnäppchenjäger?
Meine schlimmste Befürchtung, dass sich ausschließlich Teilnehmer aus der Fraktion ‚Geiz ist Geil’ bei mir an Bord versammeln würden, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Es sind aber mehr Menschen (4) als ich erwartet hatte mitgefahren, die sich nicht finanziell am Projekt beteiligt haben.
Gleichzeitig ist eine Gruppe von Menschen aufgetreten, mit der ich nicht gerechnet hatte: Menschen, die selber nicht mitreisen, aber das Projekt finanziell unterstützt haben. Diese haben mit 5400€ zu knapp einem Viertel der Gesamtsumme an bisher geschenktem Geld (21.600,00€) beigetragen.
Auf die Frage, warum sie sich beteiligen ohne einen offensichtlichen Gegenwert zu erhalten, kamen Antworten wie diese:
- „Was ein verrücktes, mutiges Projekt… Gut, dass mal einer damit anfängt, Arbeit und Einkommen zu trennen. Das möchte ich unterstützen…“
- „Die Entkoppelung von Geld und Segeln gefällt mir sehr gut. Dein Experiment ist genial und faszinierend. Die Spannung auszuhlten, nicht zu wissen, wie verläuft der Sommer, sich der Frage zu stellen, ist mein Projekt nur dann gelungen, wenn es sich finanziert, das Ganze gedanklich zu begleiten und mit der Welt zu teilen, das ist mutig.“
- „Zu wissen, dass jemand so etwas umsetzt, ist auch ein Gewinn für mich.“
Insgesamt haben sich bisher 60 Menschen am Projekt beteiligt. Davon waren 42 Menschen auch zu einer der Expeditionen an Bord. Zu einem ausgeglichen Budget fehlen zur Zeit noch 11.000,00€. Nicht schlecht für eine Unternehmens-Neugründung.
Das Projekt provoziert und lässt wenige kalt
Warum ich so ein Risiko eingehe, werde ich gefragt und auch: Warum machst Du nicht einfach eine Wanderung, wo finanziell nicht so viel auf dem Spiel steht? Überraschend viele Teilnehmer meiner Studie waren trotz, der auf der Homepage veröffentlichten Zahlen nicht in der Lage, den daraus einen angemessenen Beitrag abzuleiten.
- „Wenn ich gewusst hätte, wie teuer so eine Schiffsreise eigentlich ist, wäre ich vielleicht nicht mitgefahren. Nun muss ich meinen Beitrag noch mal überdenken…“
- „Warum sollte ich für etwas zahlen, wenn ich es auch umsonst bekommen kann?“
Andere haben mir vorgeworfen, dass ich sie mit den Zahlen belästige. Wäre es nicht konsequenter gewesen nicht zu sagen, wie hoch mein Einsatz ist?
Geld und Preis bieten offensichtlich Sicherheit und Orientierung in einer unübersichtlichen Welt.
Es war unbequem zu merken, was alles an diesem Thema hängt: Konditionierungen, Schuldgefühle, Frust, Neid, faule Kompromisse – und immer wieder Lebensträume, die um der vermeintlichen Sicherheit, die uns das Geld zu bieten scheint, verschoben oder ganz aufgegeben wurden.
Bewegend war zu erleben, wie die Verunsicherung durch den fehlenden Preis die Menschen aus ihrer Reserve gelockt hat.
Freiheit oder Last – ist unbezahlbare Arbeit als Norm möglich?
Wenn einer einfach damit anfängt, den allgegenwärtigen Kampf unserer Gesellschaft um Preise, Marktanteile, Vorteile, Gewinner oder Verlierer zu durchbrechen, indem er sagt: „Entscheide du, was Dir mein Sein und meine Tätigkeit wert sind“, entsteht immer wieder ein überraschender Moment der Freiheit. Oft mit einem kleinen Erschrecken verbunden: „Oh, jetzt ist es an mir, zu entscheiden, was du bekommst…“
Beunruhigend bewusst wurde allen Teilnehmern, wie sehr wir permanent damit beschäftigt sind, uns und unsere Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes zu bewerten.
Beunruhigend war auch die Erkenntnis, wie stark wir darauf konditioniert sind, jeden als Konkurrenten und letztlich Gegner zu betrachten, von dem es gilt unseren Vorteil abzutrotzen und wie fremd uns der Gedanke einer auf Brüderlichkeit und gegenseitiger Verantwortung basierenden Wirtschaft (noch) ist.
Insofern hat sich die Phoenix mehr und mehr zu einer schwimmenden Mini-Universität entwickelt – und auf jeder der 15 einwöchigen Reisen entbrannte ein philosophischer Diskurs. Wo auf den Nachbarbooten im Hafen die Gespräche häufig lautstark in die Bierseligkeit abdrifteten, kreisten bei uns an Bord die intensiv und leidenschaftlich geführten Debatten um die Themen Arbeit und Einkommen, Gerechtigkeit, Selbstwert unabhängig von Arbeit, verdrängte Lebensträume sowie um Fragen über die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Erde.
Egal ob Student oder Staatsanwalt, Journalist oder Wissenschaftler, Kamerafrau oder Headhunter, arm oder reich; wie ein roter Faden waren die Gespräche durchzogen von der alle verbindenden Sehnsucht nach einer anderen, menschlicheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Einer Ordnung, in der jeder seinen Impulsen unabhängig von finanziellen Zwängen folgt und das tut, wofür sein Herz wirklich brennt. Wo ein gutes Einkommen und eine sichere Rente nicht die entscheidenden Kriterien für den Einsatz der eigenen Lebenszeit sind.
Das Experiment geht mit unbequemen Antworten weiter
Auf die Frage, wie so eine Gesellschaft Wirklichkeit werden kann, fand sich unter den Teilnehmern bisher nur diese eher unbequeme Antwort:
Einfach selber damit beginnen.
Gastautor Ben Hadamovsky, Jahrgang 1967, ist Unternehmer in Sachen Kunst. Er wurde bereits mit drei Jahren von seinem Vater aufs Meer verschleppt, segelt seitdem auf Nord- und Ostsee. Zusammen mit seiner Frau Carola und den Kleinkindern Nils und Lisa umsegelte er von 2005 bis 2010 die Welt – auf seiner Segelyacht (9,86m) vom Typ Allegro 33. Er liebt es die Welt in Frage zu stellen und neue Blickwinkel und Ideen zu erproben. Sein Wirtschaftsabenteuer „Unbezahlbar – Expeditionen zum Wesentlichen“ will er weiter verfolgen und freut sich über Unterstützung. Gern berichtet er auf Vorträgen von seinen Reisen und Erfahrungen. Sein Abenteuer kann man auch in seinem Buch „Mit allen Wassern gewaschen“ nachlesen.
Reisen mit Kindern, hier erfahrt Ihr mehr über Bens große Reise.
Fotos: privat
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