Macht Alkohol endlich teurer!

Alkohol – die schlimmste Droge der Welt? Das behaupten immer mehr Experten. Im Handelsblatt schrieb jetzt ein Internist und Kardiologe: „Schon die Einnahme geringer Mengen ist schädlich. Das mussten auch wir Ärzte erst lernen.“ Ein neues Buch schlägt zudem Alarm. Nach der Lektüre denke ich: Macht Alkohol endlich teurer! Bei Zigaretten ging das doch auch!

Hier ein Gläschen, da ein Gläschen. Gerade die „upper class“ säuft, schreibt Prof. Seitz.

„Wir trinken nicht zu viel Alkohol. Oder??“ Schon einmal haben wir Alkoholkonsum zum Thema von ohfamoos gemacht. Und greifen sofort zu, als das Buch „Die berauschte Gesellschaft“ erscheint. Denn bereits der Untertitel macht deutlich, wie relevant das Thema ist: Alkohol ­– geliebt, verharmlost, tödlich. Zumal der Autor auf diesem Gebiet als Koryphäe gilt: Prof. Dr. Helmut Seitz ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt am Krankenhaus Salem und St. Vincentus in Heidelberg. Darüber hinaus ist er Direktor des Alkoholforschungszentrums der Uni Heidelberg – er forscht seit vierzig Jahren auf dem Gebiet alkoholbedingter Lebererkrankungen.

Alkohol ist für mehr als 200 Krankheiten verantwortlich

Was Prof. Seitz in seinem Sachbuch auf 165 Seiten darstellt, ist alarmierend. Alkohol ist für mehr als 200 Krankheiten verantwortlich, so das Ergebnis weltweiter Forschung der letzten 30 Jahre – und er präsentiert viele Fakten und Zahlen: Allein in Deutschland sind 1,8 Millionen Menschen alkoholabhängig und jährlich gibt es 73.000 Todesopfer, „die mittel- oder unmittelbar auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind“. Mehr als 10 Millionen Menschen, ist der Chefarzt überzeugt, trinken wesentlich mehr, als ihnen guttut. Wenig werde jedoch dagegen unternommen!

Das Buch enthält unglaublich viele Informationen – allein über die gesundheitliche Wirkung von Alkohol. Neueren Analysen zufolge ist die Menge Alkohol, die täglich ohne gesundheitliche Bedenken getrunken werden kann, DEUTLICH GERINGER als bisher angenommen. Ich liste hier nur einige Fakten auf, die mich sehr nachdenklich gemacht haben:

  • Nicht „nur“ die Leber muss alles ausbaden – Teile des Alkohols, die bei der ersten Passage durch dieses Organ nicht abgebaut werden, erreichen viele andere Organe! Dazu zählt der Experte u.a. das Gehirn, das Herz, die Bauchspeicheldrüse, die Muskulatur und die Knochen.
  • Das Doppelpack Alkohol und Rauchen sei „eine der schlechtesten Kombinationen, die man sich für die Krebsentstehung in diesen Bereichen vorstellen kann.“
  • Schätzungsweise 5-10 % der 40.000 neu diagnostizierten Fälle von Brustkrebs pro Jahr gehen auf das Konto von Alkohol – das sind 2000-4000 Frauen.
  • Die Einnahme von mehr als 30g Alkohol pro Tag (also ungefähr ein Viertel Wein) führt zu einem erhöhten Risiko, ein Dickdarmkarzinom zu entwickeln.
  • Menschen mit einer Sprue (Zöliakie) sowie Menschen mit einer Laktoseintoleranz sollten Alkohol komplett meiden.

 

Elke Tonscheidt hat „Die berauschte Gesellschaft“ gelesen und rezensiert.

Dabei sind weder Prof. Seitz noch wir Asketen. In einem Zeitungsinterview legte der Heidelberger kürzlich Wert auf die Betonung, weder einen Engel in Weiß, Oberlehrer oder Moralapostel zu spielen. Von Zeit zu Zeit trinke er gern ein Glas Wein und Bier, sein Glück sei jedoch, gar nicht viel mehr zu vertragen. Und im Vorwort seines Buches sagt er deutlich:

„Nein, eine Republik von Abstinenzlern, die wünsche ich mir nicht.“

Was Prof. Seitz bewirken will, ist eine Sensibilisierung der Gesellschaft. In seinem Buch zeigt er deshalb Wege auf, dass weniger Alkohol mehr sein kann. Dafür müssten die Menschen jedoch wissen, was es überhaupt heißt, Alkohol zu konsumieren. Und er ruft nicht zuletzt die Politik auf dazu beizutragen, dass sich der Alkoholkonsum mit Hilfe von strengeren Gesetzen in vernünftigen Bahnen bewegt. Auch und gerade entgegen der sehr starken Alkohol-Lobby. Das Thema müsse „ganz dringend zu einem gesundheitspolitischen Schwerpunkt in Deutschland gemacht werden“.

Warum verführen wir Kinder zum Alkohol?

Alkohol wird meiner Meinung nach total unterschätzt. Ein Sektchen in Ehren hier und da. Wer verzichtet, wird gefragt, ob auch alles OK sei?! Und die Toleranzgrenze, sich nach Alkoholkonsum hinters Steuer zu setzen, wird gefühlt immer schwammiger. Waren doch nur zwei Gläschen… Prof. Seitz hat nicht zu Unrecht sein erstes Kapitel so betitelt: „Die Upper Class säuft“. Ich frage: Und was sind die Konsequenzen???

Betrunken auf der Straße

Ich sehe wenige. Unsere Gesellschaft ist voll und ganz auf Alkohol eingestellt. Rausch ist akzeptiert, schreibt auch Prof. Seitz, und schlimmer: Sie befördere ihn sogar. Hinzu kommt die Bagatellisierung und Verharmlosung durch die Werbung – schon kleine Fußballfans hören bei der Übertragung der Bundesliga immerzu, wie gut Bier schmeckt. Alkohol gehört zu unserer Kultur wie das Feierabend-Bierchen zum gemütlichen Ausklang einer harten Arbeitswoche. So wie Zigaretten mal lange Zeit cool waren.

Aber Moment mal, wieviel trinken wir eigentlich? Dr. Seitz bringt folgenden Vergleich:

„… rein statistisch gesehen, trinkt jeder von uns, also vom Säugling bis zum Greis, jährlich eine Badewanne voll alkoholischer Getränke.“

Der Internist und ärztliche Direktor der auf Führungskräfte spezialisierten Max-Grundig-Klinik, Prof. Dr. Curt Diehm, unterstützt die Thesen seines Kollegens. Dem Handelsblatt sagte er kürzlich:

„Der Zusammenhang von Alkohol und Krebs ist im Moment eines der meistdiskutierten Themen in der Medizin. Das deutsche Krebsforschungsinstitut in Heidelberg bereitet gerade eine groß angelegte Marketingaktion vor, um in der Bevölkerung das Bewusstsein für diese nicht bekannte und deshalb völlig unterschätzte Gefahr zu schärfen. Alkohol ist etwa für zehn Prozent der Krebserkrankungen verantwortlich. Das lässt sich nicht bagatellisieren.“

Und auch Prof. Diehm macht sich weniger Sorgen um die absoluten Alkoholspitzen als um diejenigen, die täglich und chronisch zu viel trinken. Denn: Alkohol schade bereits in geringen Mengen – praktisch jeder zweite Mann trinke in Deutschland heute mehr als die von Forschern akzeptierte Höchstmenge.

Last but not least, wir sind ja bei #ohfamoos: Es gibt auch eine positive Nachricht im Buch von Prof. Seitz. Sie lautet schlicht wie ergreifend:

„Wenn kein Alkohol mehr getrunken wird, kann sich das Organ in jedem Stadium der Lebererkrankung noch günstig entwickeln.“

Experten raten deshalb dringend zu mehr Enthaltsamkeit – wenigstens in Form von zwei alkoholfreien Tagen pro Woche. Denn erst, appelliert der Mediziner, „wenn wir gelernt haben, wo die Grenzen liegen, können wir alle gemeinsam auf die Gesundheit anstoßen.“

 

In seinem Sachbuch „Die berauschte Gesellschaft“ (Kösel-Verlag) zählt Prof. Dr. Helmut Seitz in aller ärztlicher Nüchternheit auf, was Alkohol auf seinem Weg von den Lippen bis zur Ausscheidung im Körper anrichten kann. Der Mediziner, der u. a. 2013 mit dem Manfred-Lautenschläger-Preis für Europäische Alkoholforschung ausgezeichnet wurde, schreibt klipp und klar auch über „versteckte Trinker“, die Gefahr der Co-Abhängigkeit ganzer Familien und fordert: Alkohol muss teurer werden!

Hier geht es zu unserem 1. Artikel über Alkohol!

Fotos: Unsplash (Erik Maclean; Kelsey Chance), Janny Groz

Elke Tonscheidt
Elke Tonscheidt, die selbsternannte Energiebündlerin, liebt und lebt in Köln. Neben ihrer Arbeit bei ohfamoos schreibt sie auch für andere Medien, besonders gern Porträts und Reportagen. Sie vernetzt sich gern, hat ein Start-Up mit gegründet und war einige Jahre in der politischen Kommunikation tätig.
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Dieser Beitrag wurde erstmals am 14. Februar 2019 veröffentlicht
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Die Kommentare zu “Macht Alkohol endlich teurer!”
  • Michèle Halder

    Elke, das ist ein wichtiger Artikel. Alkohol ist ein so schleichend darin in die Abhängigkeit zu führen. Sagt man jemandem, der jeden Abend sein Feierabendbierchen genießt, das per klinischer Defintion der regelmäßige Konsum von Alkohol bereits einen Alkoholiker ausmacht, so bekommt man zur Antwort, dass das kleine Bierchen doch nicht in Abhängigkeit führt.
    Niemand nimmt Alkohol als Droge wahr. Auf jeder Speisekarte ist Bier oft günstiger als ein Saft, kostet aber mindesten ebenso wenig wie ein Softdrink. Alarmierend, gell?

    • ohfamoos

      Liebe Michèle, danke für Dein Feedback. Wir sind ein bisschen überrascht, wie wenige Kommentare sich zu diesem Thema finden, das doch eigentlich so viele betrifft. Weil es immer noch ein Tabuthema ist? Oder viele nicht wahrhaben wollen, dass sie zur Risikogruppe zählen? Weil sich keiner outen will? Oder erwartet man von uns mehr Schönes, also nicht ein solches Problemthema?

  • Heike Lachnit

    Hallo Elke, ich bin immer wieder erschrocken, wenn meine Tochter (14) von ihren Klassenkameraden erzählt, für die es selbstverständlich ist, auf Parties zu trinken. Wenn sie dann auch erzählt, dass die Eltern für Feiern den Alkohol einkaufen, dann wird mir schlecht.
    Was mich vor allem erschreckt, dass es nicht mehr das Radler oder Bier ist, sondern Mischgetränke mit Schnaps und Wodka.
    Ich bin ganz bei Dir, dass der Preis steigen sollte für alkoholische Getränke.

    • Stefan

      Da fällt mir noch was ein, Heike und Elke … eine sehr beliebte Verschärfung des Ganzen: obwohl hier beschrieben wird wie preiswert Alkohol leider ist, kaufen einige Jugendliche VOR einer Feier noch schnell ein… zum VORGLÜHEN. Denn, außer es ist eine Feier ohne Eintritt(sgeld), kostet ja so ein Abend recht viel bzw. mit kleinem Taschengeld, wird man später eben nicht soooo gut drauf sein. Diese ‚Startmenge‘ wird zudem meistens recht schnell ‚eingenommen‘ – von Genuß sind diese sowieso weit entfernt. Irgendein ein Rahmen, rechtlich angesiedelt zwischen deutschen und skandinavischen Gesetzen, das hätte schon ‚was.

  • Uwe Alschner

    Das Problem ist weniger die Gefährlichkeit von Alkohol, als die Struktur des Umfeldes, in dem sich dieser gesundheitsschädliche Konsum vollzieht.
    Sowohl bei Alkohol, als auch zuvor bei Tabak und nun auch bei Zucker (Liste ist nicht abschliessend) haben wir es mit einem Umfeld zu tun, welches die „Freiheit“ des Konsumenten hervorhebt. Gleichzeitig wird jedoch über die Beeinflussung von Politk, Wissenschaft und Öffentlichkeit (Lobbyarbeit) verhindert, dass die Grundlage, auf der Freiheit in Verantwortung überhaupt ausgeübt werden kann, nicht gefestigt entstehen kann: Information.
    Einzelne Stimmen, die einzelne Maßnahmen vorschlagen (hier Preiserhöhungen) werden hart attackiert. Ihnen wird Bevormundung (der Nanny-Staat) vorgeworfen. Gleichzeitig werden Universitäten über die Abhängighkeit von Drittmitteln tendenziell davon abgehalten, unabhängige Forschung zur Verbreiterung der Erkenntnis zu machen. Forschung, die Zweifel verstärken kann, wird dagegen von Interessensgruppen (Verbände wie Unternehmen) belohnt. Das war beim Thema Tabak und Passivrauch jeweils so und ist gleichfalls so bei Alkohol und Zucker.
    Krebsforschung ist die Instanz, die noch am ehesten in der Lage ist, die Gefahren zu artikulieren. Q.e.d. Doch weil es in der Natur der Sache liegt, dass Krebs an der Spitze des Eisbergs steht, vergeht viel Zeit, bis die Datenlage so stark ist, dass sich regulatorische Maßnahmen quasi erübrigen, weil die Bevölkerung selbst durch Information problembewusst geworden ist.
    Tabak, Zucker und Alkohol haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint: sie sind industriepolitisch vernetzt und eng abgestimmt. Es handelt sich jeweils um Suchtmittel (auch Zucker!), die durch Veränderung des Hirnstoffwechsels Abhängigkeit erzeugen und damit die „Freiheit“ des Konsumenten zur Illusion werden lassen.

  • Elke

    Ich bleibe ja am Thema dran, vor allem deshalb weil ich bemerke wie tabuisiert es immer noch ist und für wie selbstverständlich die Folgen stets hingenommen werden. erst kürzlich erzählte mir wieder ein Freund, wie schlimm sich Alkoholsucht in seinem Freundeskreis auswirke und wie wenig langfristig (!) unterstützende Therapien überhaupt vorhanden seien. Was mich vor allem auch immer wieder bestürzt, ist: Das Risiko an Demenz zu erkranken steigt bedrohlich. Fragt Ihr Euch nicht auch schon mal, warum es so viele vergessliche Menschen gibt? Klar, der Stress spielt eine gewichtige Rolle. Aber eben auch das: https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/962847/allem-maenner-betroffen-alkohol-fuehrt-frueh-demenz.html

  • Barbara

    Hallo Elke, es ist richtig, dass übermäßiger Alkoholkonsum viele negative Folgen hat, sozial wie gesundheitlich. Doch die Forderung nach Preiserhöhung greift viel zu kurz und beseitigt die Ursachen nicht. Sie würde nur bewirken, wie man schon in Amerika zu Zeiten der Prohibition gesehen hat, dass schwarz gebrannt bzw. gebraut wird, was erst recht Todesfälle zur Folge hat. Es gibt für jede Droge eine Ersatzdroge, Menschen sind erfinderisch. Und der Ersatz ist oft schädlicher als das legale Produkt. Die Frage ist, welche gesellschaftliche Funktion Alkohol hat, welche Vorbilder Kinder und Jugendliche daheim erleben, wie das Selbstbewusstsein von Menschen gestärkt werden kann, damit sie in einer trinkenden Gruppe „nein“ sagen etc. Wer hat ein Interesse daran, dass Menschen trinken, wer verdient daran? Was suggeriert die Werbung? Das muss man ansetzen, nicht mit „Moralpredigten“ und erhobenem Zeigefinger. Sagt eine, die als Erwachsene über 15 Jahre keinen Alkohol getrunken hat und deshalb auffiel…

    • ohfamoos

      Hallo Barbara, mir gefällt mein Appell, der sich durch die Überschrift ausdrückt, auch nicht mehr. Da gebe ich dir total recht. Gebe deshalb gern zu, dass ich zu allen Äußerungen in meinem Artikel zu 100% stehe, den Titel würde ich aber anders wählen und das Thema Preiserhöhung nur als eine Möglichkeit erwähnen. Ich danke Dir dafür, dass ich dazu so Stellung beziehen kann, denn ehrlich, mir war kurz nach der Veröffentlichung schon nicht mehr ganz wohl bei der Wahl des Titels. Er lenkt sogar ab von den viel wichtigeren Thesen, wie krank Alkohol macht und wie sehr die Gesellschaft ihn fördert bzw. als „normal“ begreift. Liebe Grüße, Elke

  • Elke

    Es gibt neue Erkenntnisse zum Thema, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), hier veröffentlicht hat: https://www.dge.de/presse/meldungen/2024/dge-positionspapier-zu-alkohol/
    Ich empfehle das sehr, zumal es von der Drogenhilfe Köln und der dortigen
    Fachstelle für Suchtprävention verteilt wird (mit vielen anderen wertvollen Tipps, gerade für Eltern mit Kindern in der Pubertät). Vielen Dank an dieser Stelle für Ihre Arbeit!

  • ohfamoos

    Zitat aus NZZ Bellevue von heute, aus einem Artikel, der beschreibt wie „salonfähig“ guter, alkoholfreier Wein heute bereits ist – und übrigens, der STERN widmet dem Thema NULL ALKOHOL diese Woche die Titelgeschichte!!

    „Manche vergleichen den Strukturwandel mit dem von vor rund 25 Jahren, als vegetarische Gerichte die Restaurants eroberten. Das war ja, man erinnert sich dunkel, auch mal ein Unding, ein Gericht ohne Fisch oder Fleisch anzubieten. Heute ist das selbst in der Sterneküche normal und wird nicht nur von Vegetariern bestellt. Ähnlich verhält es sich nun mit alkoholfreien Drinks. «80 Prozent unserer Kunden sind sogenannte Flexi-Trinker», sagt Jablonski. «Wir dachten, wir würden vor allem Leute ansprechen, die nicht trinken dürfen, letztlich sind es vor allem solche, die mal nicht trinken wollen.»“


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