Politische Kommunikation: Ann Cathrin Riedel im Interview
Politische Kommunikation – erst wurde die Klimaschutz-Debatte immer politischer, dann formierte sich die Fridays for Future-Bewegung und REZO erklärte in seiner Sprache, was in der Politik fatal falsch läuft. Die bizarren Reaktionen vieler Politiker sind bekannt… „Dialog als Herausforderung. Wie Politik Social Media missversteht“, schrieb die 31jährige Ann Cathrin Riedel und löste damit auch eine für sie überraschend große Debatte nicht nur auf LinkedIn aus. Elke hat die Berliner Kommunikationsexpertin interviewt – über Kontrollverlust sowie dreiste und großartige Politiker.
Ann Cathrin, Du wurdest 2018 von der Zeitschrift politik & kommunikation als eines von 60 Gesichtern der Zukunft unter 35 im Bereich “Politikberatung und Expertise” gelistet. Warum?
Ich glaube, es gibt nicht so viele junge Leute, die versuchen mit frischen Ideen anders an politische Kommunikation heranzugehen. Und die neue Formate ausprobieren. Hinzu kommt das Verständnis von Politik verbunden mit einer Social Media-Kompetenz. Ich bin da ja sehr aktiv und ich denke auch authentisch in dem, was ich mache. Ich mache keine fancy Sachen, nur weil die gerade cool sind.
Welchen Anspruch hast Du dabei an Dich und politische Kommunikation?
Politische Kommunikation muss dringend besser werden: Wir brauchen viel, viel mehr Dialog. Social Media ist für mich dafür eine perfekte Plattform, wenn man sie richtig nutzt und den Mut dazu hat!
Hast Du eine politische Vergangenheit, wurde Dir Politik zuhause vermittelt?
Überhaupt gar nicht. Ich bin erst genau vor 4 Jahren in die FDP eingetreten, als Unfall quasi. Ich war stinksauer wegen der Vorratsdatenspeicherung und dachte: Jetzt muss ich irgendwas machen. Meine Mutter war, obwohl ich schon viel Quatsch gemacht habe, erstmals geschockt: Bei uns zuhause war niemand jemals in Parteien engagiert, und jetzt: Das Kind in einer Partei. Welche war dabei egal. Also ich bin komplett neu rein – und ich glaube, dass das ein Vorteil ist.
Weshalb?
Weil ich nicht von einer Partei sozialisiert worden bin. Das ist ein großer Unterschied.
Parteien sind sehr verkopft
Du hast an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf Social-Media-Kommunikation und Community-Management gelehrt – so jemanden wie Dich bräuchte die Politik heute doch unbedingt, oder?
Ja, schon. Mein Fokus liegt aber mehr auf Verbänden oder Unternehmen, die politisch kommunizieren; oder ich arbeite für Städte, die Bürgerdialog suchen. Bei Parteien ist es wahnsinnig kompliziert, die sind sehr verkopft, es ist sehr anstrengend da reinzukommen. Da ist so viel Vorarbeit nötig, um allein nur mal ein Facebook-Livegespräch zu machen…
Ich möchte schneller Erfolge sehen, Parteien sind mir zu sehr in ihrer Phrasendrescherei gefangen. Ich mag es agiler und arbeite gern an ganz konkreten Themen.
Es wird ja viel über die Macht von Influencern gesprochen. Dabei gab es politische Berater oder Storyteller ja immer. Wie habe ich mir Influencer-Kampagnen heute vorzustellen?
Ein Beispiel: Wir haben die Kampagne Dankesagen.de gemacht, um Menschen aus dem Gesundheitssystem mal wieder Danke zu sagen. Auftraggeber war der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). Da haben wir Blogger gefunden, die aus ihrem Leben ihre Geschichte erzählt haben. Jeder ist ja mal beim Arzt oder Frauen haben ihrer Hebamme Danke gesagt, wie gut alles gelaufen ist.
Also keine harte politische Kommunikation, viel unterschwelliger. Da kommt es dann darauf an, was Menschen bewegt, worum man sich kümmert, auch mal über das sprechen, was gut läuft; so wie Ihr es ja auch auf ohfamoos macht.
Du hast auf LinkedIN einen viel beachteten Beitrag geschrieben zu „Dialog als Herausforderung. Wie Politik Social Media missversteht.“ Was kritisierst Du als besonders fatal?
Junge Menschen werden einfach nicht ernst genommen. Ob REZO oder die Fridays-for-Future-Diskussion, nimm nur Christian Lindner und seinen Satz „Profis ran lassen“. Wenn wir den Vergleich ziehen zu den Pegida-Demos: Wie viele waren das und wie lokal beschränkt? Und doch sind bei den besorgten Bürgern alle „ausgerastet“ nach dem Motto: Wir müssen was tun.
Die Jugendlichen hingegen wurden oder werden belächelt, als nichtsahnend hingestellt und nahe gelegt: Ihr dürft erst mit uns reden, wenn ihr fertige Konzepte habt. Es werden ganz andere Anforderungen an junge Leute gestellt, bevor sie in einen Dialog eintreten dürfen.
Du spielst auf die Rezo-Reaktionen an, er habe besser recherchieren sollen…
Genau, die erste Stellungnahme von Paul Ziemiak auf Rezo war extrem dreist.
Was die Debatte aber insgesamt zeigt: Youtube als Medium ist überhaupt nicht auf dem Schirm von Politik.
Das ist fatal, denn es handelt sich ja um die zweitgrößte Suchmaschine nach Google. Viele suchen genau da nach Inhalten und die Reichweite, die Leute dort haben, wird weder wahrgenommen noch akzeptiert. Mit den digitalen Räumen, wo junge Menschen sind, beschäftigt sich Politik nicht.
Weil man glaubt, Jugendlichen sitzen vor dem Computer und machen nix?
Ja, es findet eine komplette Abwertung statt. Man zeigt sich gegenüber den Inhalten auf Youtube ignorant, auch der gesamten Plattform gegenüber, wo sich junge Menschen austauschen. Und Influencern wird zudem schnell nachgesagt, sie seien alle links-grün unterwegs. Was wieder zeigt, dass man sich mit der rechten Desinformation, die massiv auf Youtube betrieben wird, überhaupt nicht auseinandersetzt. Auch da gilt: Bekommt die Politik offenbar nicht mit.
Politik und Verantwortung in der Gesellschaft
Was schließt Du daraus?
Dass auch Politik eine Verantwortung hat, Inhalte auf Plattformen bereitzustellen, wo die Menschen sind. Man kann sagen, ich finde Google als Konzern scheiße oder nicht, aber wegdiskutieren kann man die Plattform eben nicht. Das müssen wir als Gesellschaft doch diskutieren! Sonst kriegen wir auch Fake News-Probleme nicht wirklich gelöst.
Du schreibst auch, Parteien müssten „endlich lernen, einen Diskurs im Netz zu führen“. Was muss geschehen?
Sich Sachen zu trauen. Kontrollverlust. Versuchen einen echten Diskurs mit Menschen zu führen. Das muss gar nicht mal immer digital sein. Ich könnte mir zum Beispiel super vorstellen, die Influencer, die junge Menschen erreichen, ins Ministerium einzuladen. Fragen stellen lassen, sich erklären, in einem geschützten Raum. So wie mit Journalisten doch auch ganz ohne Kamera Hintergrundgespräche geführt werden.
Es geht also wieder einmal ums Zuhören?
Ja, es ist ganz wichtig, dass man einander besser versteht. Politik versteht nicht, was auf Youtube passiert. Genauso verstehen aber wahnsinnig viele Leute auch nicht, wie Politik oder Gesetzgebung funktionieren. Warum wird so entschieden? Demokratie lebt vom Kompromiss – man muss also erklären, warum z.B. nicht schneller entschieden werden kann. Zuhören und dann in Dialog treten. In die Lebenswelten von anderen eintreten, sich Zeit nehmen.
Profi Lindner soll mal erklären, wie er eigentlich arbeitet?
Ich weiß nicht, ob er die richtige Person wäre… Aber dass Abgeordnete mehr erklären, was sie den ganzen Tag so machen, unbedingt ja. Lars Klingbeil hat z.B. kürzlich eine Woche mit ihm auf Insta gemacht; oder Johannes Vogel von der FDP erklärt sein Thema New Work – indem er sich zeigt, wie er von zuhause arbeitet.
Aber fehlt Politikern gerade auf lokaler Ebene nicht oft die Zeit dafür?
Ich weiß, ein Riesenproblem. Aber ich sage: ladet doch einfach mal Influencer zu Euren Veranstaltungen ein! Dann ist das doch gar nicht anstrengend. Und es muss nicht immer Hochglanz sein, was nachher darüber produziert wird. Wichtig ist, dass Politik ein realistisches Gesicht bekommt.
Du meinst, Leute mit ins Rathaus nehmen?
Zum Beispiel. Ich persönlich würde da ja nie hingehen, aber ich habe doch auch eine Meinung. Und für Leute wie mich, die da nicht sind: Denen eine digitale Sprechstunde via Facebook oder Instagram Live anbieten. Um zu erklären, was passiert und Fragen beantworten. Gerade solche Leute, die nicht zu Bürgerversammlungen gehen: Die muss ich doch auch erreichen!
Welche Politiker machen das gut?
Total schön macht es Alexandria Ocasio-Cortez in den USA. Viele kritisieren, alles sei gescripted, finde ich aber nicht. Aus Schleswig-Holstein macht es toll die Grüne Aminata Touré. Sie nimmt viele per Instagram mit, z.B. in die Justizvollzugsanstalt, und erklärt so, was sie warum macht.
Auf Twitter macht es Saskia Esken von der SPD großartig: Sie tauscht sich intensiv und transparent zum Thema Datenschutz aus, mit Experten wie Aktivisten aus der Zivilgesellschaft. Sie führt digitale Diskurse und lädt dann zu einem Fachgespräch ein. So kann es funktionieren.
Du hast kürzlich in einem Post den CDU-Politiker Ruprecht Polenz zitiert…
Ja, genau, er zeigt zudem sehr gut: Das ist alles keine Frage des Alters! Großartig. Er twittert so wie er redet, er drescht keine Phrasen. Polenz kritisiert seine eigene Partei, steht aber trotzdem hinter ihr, sehr authentisch. Leider kommt es dagegen den meisten Politiker auf Twitter vor allem darauf an, möglichst viele Schlagwörter zu nutzen, leidenschaftslos.
Vielen Dank für das Interview!
Ann Cathrin Riedel hat Islamwissenschaft, BWL und Politik studiert und sich auf strategische Kommunikation in Social Media spezialisiert. Sie war Lehrbeauftragte an der Hochschule Fresenius Düsseldorf im Master-Studiengang „Corporate Communications“, ist Vorsitzende vom unabhängigen Verein LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik und Mitglied der Arbeitsgruppe „Ethik in der Digitalisierung“ der Initiative D21.
Das Interview führte Elke Tonscheidt.
Fotos: Hendrik Wieduwilt; Pixabay (Gerd Altmann) sowie via PKV, Aminata Touré und Ruprecht Polenz