Depressiv? Das Schicksal ist ein mieser Verräter…
Hier geht es nicht um das Buch von John Green, sondern um die „neue“ Volkskrankheit: Depression. In Deutschland leiden geschätzte vier Millionen Menschen an Depressionen. Jedoch reden die meisten Erkrankten nicht gerne über ihre Krankheit, denn eine Depression passt nicht wirklich in unsere Optimierungsgesellschaft: sie funktionieren, leisten viel, drehen jeden Tag im Hamsterrad, sind erfolgreich aber nicht zufrieden, geschweige denn glücklich – und deshalb schweigen sie. Sie empfinden nicht #volldasguteleben. Aber warum trifft es den einen und nicht den anderen? Leiden wir nicht alle unter Stress?
Erschreckend ist schon mal, dass Depressionen dich in jedem Alter erwischen können, selbst bei kleinen Kindern gibt es das Krankheitsbild. Tatsächlich gehören Depressionen bei Kindern und Jugendlichen zu den häufigsten psychischen Störungen. Hinzu kommt, dass Depressionen sehr schwer zu erkennen und nicht einfach heilbar sind, wie z.B. ein Beinbruch oder eine Blinddarmentzündung. Depressionen haben zudem zwei ursächliche Aspekte: die psychosoziale Seite und die neurobiologische Seite. Diese beiden Aspekte ergänzen sich oft, was bedeutet: Eine Depression hat nicht entweder körperliche (neurobiologische) oder psychosoziale Ursachen, sondern es sollte vielmehr immer auf beiden Seiten nach Ursachen gesucht und therapeutisch interveniert werden. (Quelle: www.deutsche-depressionshilfe.de)
Wie kommt es zu einer Depression?
Im Magazin Stern lese ich ein Interview mit dem Autor Steve Ayan. Er ist Psychologe, Wissenschaftsjournalist und Autor des Buches „Hilfe, wir machen uns verrückt. Der Psychokult und die Folgen“ Auf die Frage: „Machen wir uns durch den Wunsch nach Ich-Verwirklichung verrückt?“ antwortet er: „Ja. Ich glaube, dass wir uns oft zu sehr mit uns selbst beschäftigen. Die ständige Konzentration darauf, wie es mir geht, ob mir mein Job die Erfüllung bringt, oder ob ich mit dem richtigen Partner zusammen bin, führt letztlich dazu, dass ich immer unzufriedener werde.“
Menschen, die an einer Depression erkranken stellen hohe Ansprüche an sich selbst, ihr privates und berufliches Leben. Im Beruf wollen sie durchstarten, aber gleichzeitig als Partner und Elternteil ihrer Familie gerecht werden. Sie streben nach einem Lebensideal, das all diese Erwartungen erfüllt. Ihr Wille zur Perfektion treibt diese Menschen in die seelische Erschöpfung und erzeugt chronischen Stress.
Die Gründe für chronischen Stress sind vielfältig, sagt auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Dr. Iris Hauth in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Globalisierung, Ökonomisierung, Arbeitsplatzdruck, also viele gesellschaftliche Entwicklungen des letzten Jahrzehnts verunsichern die Menschen, und machen bei vielen Menschen – das zeigen auch die Stressreporte – chronischen Stress. Und das sind natürlich Voraussetzungen, die Risikofaktoren für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen sind. Aber wir wissen auch, dass Urbanisierung, also Menschen, die in Großstädten wohnen, höhere Raten von Erkrankungen haben, zum Beispiel Angst- und Depressionserkrankungen sind im Risiko 30 bis 40 Prozent höher als bei Menschen in kleineren Städten und auf dem Land.“
Unsere Leistungsgesellschaft macht krank
Wir machen uns verrückt, arbeiten 12-14 Stunden am Tag, leiden unter Schlaflosigkeit. Aber, anstatt das Rad anzuhalten machen wir weiter, erleiden den Druck, fühlen uns niedergeschlagen und/oder antriebslos. Ein Trauerfall oder anderer Schicksalsschlag ist dann oft der Auslöser, der die Krankheit erkennbar macht. Fehlt dagegen ein sichtbarer Grund, ist es einfacher zu sagen, man leide an Burnout, denn Leistungsbereitschaft ist gesellschaftlich schließlich akzeptiert.
Eine Studie des Kölner Rheingold Instituts ist besonders interessant. Die umfangreiche Studie auf Initiative von Pascoe Naturmedizin hat sich dem Thema Depression tiefenpsychologisch genähert und so die Binnenstruktur einer Depression gemeinsam mit Psychologen und Betroffenen erarbeitet.
Das Schicksal spielt nicht mit
Durch die von Psychologen geführten Interviews wird deutlich, dass Betroffene unter der Diskrepanz zwischen persönlichem Anspruch und der eigentlichen Realität leiden. Obwohl wir alle die Differenz zwischen den eigenen Träumen und dem reellen Alltag erleben, wirft es den Betroffenen vollkommen aus der Bahn.
Während meiner Recherche stoße ich auch auf die Seite des Instituts für Bewusstseins Studien. Hier wird es noch interessanter. Unter dem Reiter Depressionen lese ich folgendes:
„Depressionen haben ihre Wurzel im permanenten Kampf gegen das Schicksal und der Ablehnung jeglicher Eigenverantwortung. Der Grund dafür ist die Unkenntnis über die Zusammenhänge zwischen den eigenen Denkmustern und den Lebenserfahrungen.
Die Auflehnung gegen das Schicksal wird meist in der Pubertät aufgebaut, kann aber auch schon im Alter von zwei oder drei Jahren beginnen, wenn die Trotzphase nicht überwunden wird.
Man begibt sich in die Illusion, man könne stärker sein als das Schicksal, muss dann aber immer und immer wieder feststellen: Am Ende geht doch das Schicksal als Sieger hervor. Das Ego erleidet so eine Niederlage nach der anderen, was es schließlich zermürbt und zu der Überzeugung gelangen lässt, alles habe keinen Sinn mehr…
Problem erkannt – Gefahr gebannt?
Die Zahl der psychischen Erkrankungen nehmen weltweit zu, aber Hilfe zu erfahren scheint oft schwer. Die Kliniken sind voll, auf Termine bei einem Therapeuten muss man lange warten. Da reicht die Energie der Betroffenen nicht, in eine Veränderung zu investieren und dran zu bleiben. Im Gegenteil, sie fühlen sich bestätigt und ihre gefühlte Situation wird zu einer Art Beweis: „Die Umstände sind so schlimm, dass ich sowieso nichts ändern kann.“ Das Festhalten an der niedergeschlagenen Stimmung zeige aber auch, dass die Depression ein unbewusster Versuch ist, das Selbstbild aufrechtzuerhalten: „Wenn die Umstände nur andere wären, dann würde ich ja…“, so die Experten in der Studie des Rheingold Instituts.
Was können Betroffene also tun?
Wir haben schon einmal über Selfapy.de berichtet. Das Berliner Unternehmen, das moderne Technologie, langjährige Klinikerfahrung und therapeutische Ansätze zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens verbindet, glaubt an Hilfe zur Selbsthilfe – und dass psychologische Unterstützung und Hilfe allgegenwärtig und schnell sein müssen. Ihr Ziel ist es, psychische Gesundheit für jeden zugänglich zu machen. Im Rahmen ihrer Arbeit hat das Unternehmen jetzt eine App entwickelt, die es Betroffenen ermöglicht die eigene Stimmung und Verhaltensweisen täglich zu erfassen und zu reflektieren, um das Wohlbefinden nachhaltig zu verbessern.
Mit Hilfe der Selfapy App kann man mehrfach täglich seine Stimmung und sein derzeitiges Wohlbefinden festhalten. Eine Erinnerung hilft dabei, täglich einzutragen, wie man sich fühlt und wie zufrieden man z.B. mit seinem Schlaf oder seinen sozialen Beziehungen ist. Zusätzlich werden ausgewählte Verhaltensweisen festgehalten, wie z.B. Grübelschleifen, Panikattacken oder Vermeidungsverhalten. Die Eingaben werden in einem persönlichen Kalender gespeichert, sodass man jederzeit einen Überblick über seine eigene Situation behält.
Welche Verhaltensweisen lösen positive Emotionen aus? Welche wiederum negative Gefühle? Und was hilft in schwierigen Phasen?
Alle 14 Tage erhält man dann eine persönliche Auswertung per Mail, die automatische Verhaltensmuster und Zusammenhänge aufzeigt. Diese Selbsterkenntnis ist die Grundlage für Veränderungen und Besserungen des eigenen Wohlbefindens.
Tipps für Angehörige
Wie Angehörige mit einem Betroffenen umgehen sollten beschreibt Mirja Hammer sehr ohfamoos in diesem Beitrag
Fotos: Jeno Szabo auf pixabay und die psychosoziale und körperliche Seite der Depression (Oliver Stumpf/ pool-x.de) auf www.deutsche-depressionshilfe.de