Digitale Nomadin – Traum oder verrücktes Wagnis?
Digitale Nomaden, New Work, Work-Life Balance. Alles Schlagworte, die in letzter Zeit immer häufiger auftauchen. Aber was steckt wirklich dahinter, was bedeutet es ortsunabhängig zu arbeiten und warum macht man das? Wir haben jemanden getroffen, der genau das ausprobieren möchte. Marion Englert bereitet sich auf ein Leben als Digitale Nomadin oder so genannter Remote Worker vor. Seit ein paar Tagen ist sie in Südamerika. Gemeinsam mit einer Gruppe Berufstätiger wird sie nicht nur die Region erkunden, sondern auch ihrem Beruf nachgehen. Traum oder verrücktes Wagnis?
Ich kenne Marion aus Dubai. Uns beide verbindet die Begeisterung für den Nahen Osten, für außergewöhnliche Geschichten und Begebenheiten sowie das Schreiben. Aus einem informativen und lustigen Kaffeenachmittag, bei dem Marion (in ihrer Funktion als Redakteurin für das bilinguale Lifestyle Magazin Discover Middle East) mich interviewte, entstand eine Freundschaft und später auch eine Zusammenarbeit. Denn nach ihrer Tätigkeit als freie Redakteurin wechselte die Automobil- und Motorsportbegeisterte Marion in die Automobilbranche. Als Lead Account Manager startete sie ihre Karriere als Embedded PR Manager bei Audi Middle East in der von mir gegründeten PR-Agentur. Als ich Marion kürzlich wieder auf einen Kaffee in Dubai treffe, höre ich von ihrem spannenden Projekt.
Marion, was genau machst Du in Südamerika und warum hast Du diesen Weg gewählt?
Jedes Mal, wenn ich eine Weltkarte anschaue, bin ich schier erschlagen von all den schönen Plätzen auf dieser Erde, die ich noch erkunden möchte. Da ich aber auch keine 20 mehr bin, wird es schwierig, all diese Ziele in einem normalen Urlaub zu erkunden. Daher habe ich nach einem Weg gesucht, meine Reiseleidenschaft mit meiner Arbeit zu verbinden. Darüber hinaus habe ich mein Zuhause noch nicht gefunden. Nach vielen Jahren im Ausland suche ich noch immer nach dem Ort, an dem ich Wurzeln schlagen möchte.
Digitale Nomaden
Ein Vortrag über Digitale Nomaden im bayerischen Ingolstadt und ein wenig Recherche gaben den Impuls und für mich war schnell klar, dass Remote Work der Weg für mich ist. In Südamerika breche ich quasi aus herkömmlichen Strukturen der Arbeitswelt aus und arbeite ortsunabhängig für Kunden weltweit. Allerdings war es nicht einfach, meine Kunden von den Vorteilen dieser modernen Art des Arbeitens zu überzeugen. Es bedurfte guter Vorbereitung, ein großes Netzwerk und nicht zuletzt ein Stück gegenseitiges Vertrauen, die richtigen Partner dafür zu finden.
Remote Work – was bedeutet das?
Remote Work ist quasi Home-Office 3.0. Ortsunabhängig zu arbeiten, bedeutet dass man alle Freiheiten ausschöpft, die einem die digitale Welt heute ermöglicht – quasi dort arbeitet, wo man sich wohlfühlt und nicht zwangsläufig wo die Firma sitzt. Einige Studien haben mittlerweile auch schon bewiesen, dass ortsunabhängige Arbeiter erfolgreicher, produktiver und glücklicher sind. Gute Arbeit kann man von überall aus machen. Remote Work ist ein relativ neues Arbeitsmodell – alles was man dazu braucht, ist stabiles Internet und ein Laptop. Die Ortsunabhängigkeit ist der Kerngedanke dabei. Feste Büros und gängige Arbeitsmodelle sind für mich ein Relikt der Industriegesellschaft und nicht mehr zeitgemäß. Viele Firmen, überwiegend aus den USA und Großbritannien, haben das erkannt und setzen auf ortsunabhängige Arbeitskräfte. Profis, die auf der ganzen Welt aktiv sind und die jeweiligen Firmen repräsentieren – ohne dass die Arbeitgeber dafür die Infrastruktur schaffen müssen. Einige der gängigsten Berufszweige für Remote Work sind Design, PR & Marketing, Journalismus, Lektorat, Coaching, Übersetzungen, Buchhaltung, Virtuelle Assistenz, Programmierung, Trading und Sprachlehrer.
Wie muss man sich Deine Arbeit vorstellen? Wer sind Deine Kunden?
Als erstes möchte ich klarstellen, dass ortsunabhängiges Arbeiten nicht bedeutet, dass man mit einem Cocktail in der Hand am Strand sitzt und nebenbei ein paar Emails beantwortet.
Remote Work setzt eine hohe Selbstdisziplin, Struktur, Verantwortung und Vertrauen voraus und erfordert oft mehr Einsatz als der tägliche Büroalltag.
Allerdings hat man die Freiheit, seinen Tag nach dem eigenen Rhythmus zu planen, den Arbeitsplatz selbst zu wählen und kann nach getaner Arbeit dort sein, wo man sonst nur im Urlaub hinkommt. Freiheit und Selbstbestimmung sind die Schlagwörter dafür. Ich kann selbst entscheiden, wann und wie lange ich wo arbeite. Aktuell arbeite ich an der Konzeption und Umsetzung eines Online-Profils für einen Automobilexperten aus Deutschland, kümmere mich um die internationale Rennorganisation und -logistik für einen Automobilhersteller und leite die PR & Marketingaktivitäten für einen Service Provider im Automobilbereich im Nahen Osten.
Das ist ein mutiger Schritt. Hast Du nicht Angst vor Einsamkeit – insbesondere in Ländern, die Du bislang nicht kennst – und wird Dir der Austausch mit Kollegen nicht fehlen?
Ich bin ortsunabhängiges Arbeiten gewohnt. Als Freiberufler in den Bereichen Kommunikation, Marketing, Social Media und Events habe ich schon viele Jahre aus dem Home-Office gearbeitet. Jetzt gehe ich aber einen Schritt weiter und arbeite von verschiedenen Orten aus.
Darüber hinaus bin ich ein abenteuerlustiger Mensch und es fällt mir leicht, schnell neue Kontakte zu knüpfen. Überdies habe ich die „Digital Nomad light“ Variante gewählt. Ich habe mich einer Organisation angeschlossen, die Berufstätigen ein so genanntes Work & Travel Programm anbietet. Ich muss mich also um fast nichts selbst kümmern. Reiselogistik, Unterkunft, Co-Working Plätze, Sprachkurse, berufliche Fortbildung und nicht zuletzt das Erleben der lokalen Kultur wird von denen organisiert. Wir werden jeden Monat in einer neuen Stadt sein: Santiago de Chile, Lima, Medellín und Mexico sind dabei meine Stationen. Ich reise mit einer Gruppe von 26 Berufstätigen im Alter von 26-55 Jahren aus Russland, den USA, den UK, Kanada und Dänemark. Wir sind ein bunter Mix – aber die meisten haben einen traditionellen Vollzeitjob, den sie mit auf diese Reise nehmen.
Was versprichst Du Dir von dieser Erfahrung?
Das ist eine gute Frage. Aber ich hoffe, dass ich persönlich an dieser Erfahrung wachse und meinen Horizont erweitern kann. Die Organisation, mit der ich unterwegs bin, hat Vielfältigkeit, Gerechtigkeit und Einbindung (diversity, equity and inclusion) als Leitsätze. Dazu kommt die Chance, neue Kulturen kennenzulernen, und das nicht als Tourist. Nicht zuletzt freue ich mich auch darauf meine Spanisch-Kenntnisse aufzupolieren, mich beruflich weiterzubilden und mein weltweites Netzwerk zu erweitern und vermutlich Freunde fürs Leben zu finden… Und vielleicht bekomme ich ja auch Antworten auf meine Frage, wo denn für mich Zuhause ist.
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Oberbayern hat Marion früh das Reisefieber gepackt. Ihr erster längerer Auslandsaufenthalt führte sie 1995/1996 nach Los Angeles und danach immer wieder hinaus in die Welt. Über ein Jahrzehnt war Dubai ihre Heimat. Motorsport und die Automobilindustrie sind seit mehr als zwei Jahrzehnten ihr beruflicher Dreh- und Angelpunkt. Sie hat langjährige Erfahrungen als PR & Event Manager in diesen Bereichen – umfangreiche Kenntnisse im Projektmanagement und eine Redaktionsausbildung runden ihr Profil ab. Ihre Motivation zieht Marion aus einer Balance von selbstständigem Arbeiten und direktem Kontakt mit Kunden, Teams und Partnern. Sie ist neugierig, flexibel, offen, ist ein unverbesserlicher Optimist und hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Fremde Kulturen macht sie zu ihrer eigenen und sie schätzt das Arbeiten in einem internationalen Umfeld. Privat liebt sie Reisen, ihr Motorrad, die Fotografie und ausgelassene Abende mit Freunden und Familie. www.marionenglert.de