Katharina Schulze will an die Macht
Nach dem Debakel in Thüringen reiben sicher nicht nur wir von ohfamoos uns verwirrt die Augen: DAS soll Politik sein? Es erinnert an Geschachere. Unwürdig wird gefeilscht und gezerrt – an Menschen, an Nerven. Da kommt ein Buch der Grünen-Politikerin Katharina Schulze zur rechten Zeit, denn es heißt: „Mut geben statt Angst machen – Politik für eine neue Zeit.“ Doch hält es, was es verspricht? Gastautor Martin Reents war für uns bei der Buchvorstellung in München vor Ort.
Mit einer hochemotionalen Rede debütierte Katharina Schulze am 21. November 2010 auf dem Bundesparteitag der Grünen in Freiburg. Man stritt über eine Bewerbung Münchens für die olympischen Winterspiele 2018 oder 2022. Claudia Roth, damals noch Bundesvorsitzende der Grünen, setzte sich für die Ausrichtung der Spiele ein. Andere Delegierte dagegen fanden Olympia „ökologisch, gesellschaftlich und finanziell nicht tragbar.“ Die Partei war in der Frage tief gespalten. Es stand Spitz-auf-Knopf.
Da trat Katharina Schulze ans Mikrofon. Sie sei, so sagte sie, vor zwei Jahren in die Partei eingetreten, weil bei ihr „Ökologie und Nachhaltigkeit an erster Stelle stehen“. An der Olympiabewerbung könne „man nichts Grünes und Nachhaltiges mehr erkennen“ und sie forderte die Delegierten auf, hier zu „unseren Werten und Idealen“ zu stehen. Sie habe auf dem Parteitag von nahezu jedem Redner gehört, die Grünen müssten glaubwürdig bleiben und Ecken und Kanten zeigen. „Ich finde einfach, dass das jetzt an der Zeit ist!“, rief sie in den Saal und traf damit ins Herz der Grünen.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals: „Der Parteitag nimmt Schulzes Rede auf wie eine Erweckung.“ Mit einer knappen Mehrheit sprachen sich die Grünen gegen die Olympiabewerbung aus. Claudia Roth musste als Folge das Olympia-Kuratorium verlassen. Eine herbe politische Niederlage.
Der kometenhafte Aufstieg der Katharina Schulze
Für Katharina Schulze dagegen begann ein kometenhafter Aufstieg. Sie führte das Bürgerbegehren „NOlympia“ an und konnte tatsächlich die Olympiabewerbung Bayerns per Bürgerentscheid verhindern. Es folgte der Bürgerentscheid „München gegen die 3. Startbahn“. Dass die Münchener Bürger überhaupt beim Flughafen im benachbarten Freising mitreden durften, verdankte man einem juristischen Trick und Schulzes politischem Instinkt, das Schlupfloch konsequent zu nutzen. Sie gewann.
Schulze kann Kampagnen. Sie liebt den Häuserwahlkampf, wie sie selbst sagt.
Und sie gewinnt. Unter ihrer Führung werden die Grünen in Bayern zweitstärkste Kraft. Sogar eine Regierungsbeteiligung lag kurzzeitig im Bereich des Denkbaren. Auch wenn sie bei Parteikollegen nicht unumstritten ist: Wer solche Siege einfährt, dem folgt man. Das gilt auch für die Grünen.
Man könnte ein Buch darüber schreiben, was diese Katharina Schulze schon alles gemacht und durchgeboxt hat. Das dachte sich wohl auch die Verlagsgruppe Droemer Knaur – denn ihr erstes Buch liegt nun vor und ich konnte es, im Auftrag von ohfamoos, vorab lesen. Wie alles, was diese Politikerin in die Hand nimmt, war auch die Buchpräsentation perfekt durchsynchronisiert: Als Location hatte man das „Lost Weekend“ gewählt, eine Buchhandlung mit Co-Working Space und einem veganen Coffee-Shop.
Die Präsentation fand auf einem nostalgischen, alten Lastwagen statt, der zur Bühne umgebaut war. Schulze begrüßte jeden Gast persönlich. Die meisten waren sowieso Freunde oder Familie.
Katharina Schulze weicht keiner Frage aus
She owned the room. Man muss sie erlebt haben, um es zu begreifen. Sie spricht in einfachen, klaren Worten. In ihrer ganz eigenen Sprache. Sie weicht keiner Frage aus. Sie spricht das Publikum direkt an. Sie spielt mit ihm. Sie beobachtet den Applaus. Sie steht auch auf und sagt so was wie:
„Ich habe gesehen, wer jetzt nicht geklatscht hat. Das merke ich mir!“
Sie sagt das mit einem verschmitzten Lächeln. Für fast alle klingt das lustig, man lacht. Nur für den, den sie dabei anschaut, ist es fast beängstigend. Beim nächsten Zwischenapplaus klatscht der artig mit. Wann hat man zuletzt einen Politiker erlebt, der sein Publikum so sehr beherrschte?
Schulze zieht klare Demarkationslinien, vor allem gegen die AfD. „Wie begegnen sie den AfD-Abgeordneten im Landtag?“ wollte der Moderator Roman Deininger wissen. „Ich grüße keine Neonazis. Ich gebe denen auch nicht die Hand“, machte Schulze klar. Fast möchte man ergänzen: Es sind die Zwanziger Jahre. In Deutschland heißt das Straßenkampf. Auch Deininger spielt gut mit. Der Journalist der Süddeutschen Zeitung entschuldigt sich gleich zu Beginn des Gesprächs für eine Biographie über Markus Söder, die er vor zwei Jahren geschrieben hat: „Das musste ich aus beruflichen Gründen machen.“
Schulze nimmt die Entschuldigung mit leichtem Missmut an. Spätestens ab da rechne ich nicht mehr mit kritischen Fragen. Stattdessen Fragen wie, ob man denn auch bundespolitisch mit Katharina Schulze zu rechnen habe. Ein strahlendes Nicken ist die Antwort. Zuerst aber will sie Ministerpräsidentin werden. Schon bei der letzten Landtagswahl forderte sie eine Herabsetzung der Altersgrenze. Die verlangt nämlich, dass ein Ministerpräsident*in mindestens 40 Jahre alt ist. Schulze war vor zwei Jahren gerade erst 33.
Dieses rhetorische Naturtalent, diese politische Urgewalt hat also ein Buch geschrieben. Darauf durfte man sich freuen. Was für ein Stoff: Wie die 23jährige die um einiges ältere Claudia Roth bei Olympia absägt. Wie sie Oberbürgermeister Christian Ude eine Nase beim Flughafen dreht. Wie sie für Barack Obama Wahlkampf macht. Wie sie der NPD zwei Mittelfinger zeigt. Schulze beim Malen von Demo-Plakaten. Schulze als Einpeitscherin der Grünen-Fraktion im Landtag. Schulze im Häuser- (wahl-) kampf.
Das ist mehr als ein Buch. Das wäre Stoff für eine ganze Netflix-Serie.
Darüber redet man natürlich auch bei der Buchpräsentation. Nur lese ich davon nichts im Buch. Von der faszinierenden Frau Katharina Schulze erfahren wir gerade mal, dass sie Schulsprecherin in Herrsching war und dass sie im Landtag geweint hat, als Donald Trump gewählt wurde. Der Rest ist politisches Allerlei. Eine beliebige Mixtur aus Themen, was in Deutschland und der Welt alles verkehrt läuft und was man stattdessen tun müsste. Schulzes Buch liest sich wie ihr Regierungsprogramm. Langweiliger geht nicht.
Wie ein Regierungsprogramm
Immerhin schreibt sie, wie sie spricht: „Wir müssen schneller raus aus der Kohleverstromung und weg vom Erdöl.“ – „Wir müssen in Deutschland endlich akzeptieren, dass der Feind rechts sitzt. Es macht mich fertig, wütend und nervt mich tierisch …“ – „Wir müssen einen eigenen Weg bei der digitalen Transformation unserer Gesellschaft gehen.“ – „Wir müssen ein bestimmtes Maß an sozioökonomischer Ungleichheit akzeptieren.“ – „Eine Konzernzerschlagung sollte überlegt werden.“ – „Warum sollten sich Arbeitnehmer*innen nicht für eine gewisse Zeit freistellen lassen können, um ein ehrenamtliches Projekt voranzutreiben?“ – „Die Führung der Verwaltung und der politischen Ämter sollte paritätisch besetzt sein.“ – „Politiker*innen sollten Anerkennung für ihre nicht immer ganz einfache Arbeit bekommen.“ – „Wir sollten die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf mindestens 16 Jahre absenken, gerne auch noch weiter nach unten.“ – „Natürlich sollte auch Programmieren Teil des Unterrichts sein.“
Schulze hält sich nicht lange mit Nachdenken auf. Auf 189 Textseiten heißt es 227 Mal „müssen“, 105 Mal „sollen“ und 83 Mal „wollen“. Ein knallhartes Programm von einer machtbewussten Vollblutpolitikerin, die vor allem eins will: An die Regierung.
Da bleibt wenig Platz, ihre Positionen zu begründen. Ein ich „finde…“ (93 Mal) oder ich „glaube…“ (39 Mal) muss reichen: „Ich finde, so etwas darf es in unserem Land nicht geben.“ – „Ich finde das skandalös.“ – „Ich finde, wir nutzen die Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements noch nicht ausreichend.“ „Ich finde, das brauchen wir in ganz Deutschland.“ – „Ich finde es nämlich seltsam.“ „Ich glaube nicht an die marktradikale Erzählung.“ – „Ich glaube, dort müssen wir in der Umweltpolitik ansetzen.“ – „Ich glaube, es verträgt sich nicht mit dem Weltbild der Rechten, dass es Frauen gibt, die klar und deutlich ihre Meinung vertreten.“
Kein Mutmacher-Buch
Katharina Schulzes Buch wird als „Mutmacher-Buch“ verkauft. Das ist gehörig übertrieben. Sie schreibt: „Politische Führung“ soll „Hoffnung verbreiten und Mut geben, Veränderung zu wagen.“ Aber wo ist sie selbst als Gestalterin bisher ganz konkret hervorgetreten? Ihre größten Erfolge feierte sie beim Verhindern: Beim Verhindern von Olympia, beim Verhindern einer dritten Startbahn oder ganz allgemein beim „Gesetze kippen“, wie sie selbst es einmal formuliert hat.
Ihr Widerstand mag inhaltlich gut begründet sein, aber inspirierend ist er nicht. Eher beängstigend. Oder wie werden das zum Beispiel diejenigen empfinden, die sich mit Leidenschaft für olympische Winterspiele in München und Garmisch-Partenkirchen eingesetzt haben? Die hatten ja auch Idealismus. Man denke an die Olympia-Siegerinnen Katarina Witt und Rosi Mittermeier, die Geigerin Anne-Sophie Mutter oder auch Charlotte Knobloch, damals noch Präsidentin des Zentralrats der Juden: Diese Frauen wirkten alle im Bewerbungskomitee mit. Sie haben sich mit viel Leidenschaft eingebracht. Ihr Mut wurde nicht belohnt. Stattdessen wurden sie tief enttäuscht.
Für Menschen, die ihren eigenen Ambitionen im Weg stehen, zeigt Schulze wenig Mitleid. 2018 hat sie ihren Standpunkt in einem selbstproduzierten Videostatement klar gemacht: „Ich habe keinen Bock, dass alte, weiße Männer unsere Zukunft verspielen. Wir brauchen jetzt endlich einen Aufstand der Aufrechten und Anständigen.“ Wobei „alte, weiße Männer“ durchaus auch „alte, weiße Frauen“ wie Claudia Roth mit einschließt. Deren Niedergang wurde von Schulzes Freiburger Rede eingeläutet.
Während eine demontierte Roth aus dem Olympia-Kuratorium flog, wurde Schulze das strahlende Gesicht der NOlympia-Bewegung. Für Roth war das der Anfang ihres politischen Endes. Für Schulzes war es der Beginn eines kometenhaften Aufstiegs. Schulze weiß eben, wie man um die Macht kämpft. Sie hat ihren Machiavelli gelesen.
Nur einen alten, weisen Mann lässt Schulze dann aber doch gelten: Barack Obama.
Als Praktikantin hatte sie seinerzeit im demokratischen Präsidentschaftswahlkampf in Michigan Anstecker für den charismatischen Bewerber verteilt. Zehn Jahre später weiß sie sich selbst da besser in Szene zu setzen: Bei einer Veranstaltung in Berlin, zu der Obama 300 Young Leaders aus ganz Europa eingeladen hatte, meldete Schulze sich zu Wort und erzählte von ihrem Wahlkampf-Praktikum. Obama war sichtlich angetan und bot ihr den Fistbump zum Gruß. Ein tolles Bild, das durch alle Medien ging.
Überhaupt erinnert Schulze in ihrem Buch oft an Obama. Sicher hätte sie ihrem Idol auch gerne den Buchtitel entliehen. Aber sein berühmtes „Yes, we can – Ja, wir schaffen das“ war schon weg. Angela Merkel hat den Slogan für ihre Flüchtlingspolitik vereinnahmt. Stattdessen trägt Schulzes Werk jetzt eine längere Vorgängerversion des Obama-Mantras: “We are choosing hope over fear. This country can change“. So ähnlich heißt das neue Buch von Katharina Schulze: „Mut geben statt Angst machen – Politik für eine neue Zeit.“ Nur, dass da nicht drin ist, was draußen drauf steht.
Gastautor Martin Reents, 1969 in Ostfriesland geboren, ist mit einer Bayerin verheiratet, hat drei Söhne und lebt in Miesbach bei München. Er war Unternehmensberater bei McKinsey, gründete 2000 sein 1. Internet-Startup und danach noch zwei. Heute engagiert er sich v.a. gesellschaftlich: Als Stiftungsrat der Energiewende Oberland, als Vorstandsvorsitzender des Ev. Bildungswerks Tölz und als Berater und Dekanatssynodaler in seiner Gemeinde.
Fotos: Martin Reents; via www.nolympia.de
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