Gendern, Sternchen und die deutsche Gerechtigkeit
Gendersternchen oder Unterstrich? Nach vielen Jahren im Ausland ist gendern und die gendergerechte Sprache in Deutschland für Sonja eine echte Herausforderung. Warum will man die Sprache noch komplizierter machen? Sonja widmet sich der Debatte – und warum sie jetzt doch mit Gendersternchen schreibt, erfahrt ihr in ihrem Beitrag.
Nach 40 Jahren Dubai, in einem fast ausschließlich englisch-sprachigen Umfeld, ist gendern für mich mühsam. Ich lese mir meine Texte jetzt immer doppelt so gründlich durch wie vorher. Habe ich das Gendersternchen drin oder benutzt der Kunde das …Innen oder den Unterstrich? Mühsam, echt mühsam. Die Briten machen es sich da mit ihrer Sprache viel leichter. Im Englischen werden viele Berufsbezeichnungen für alle Geschlechter verwendet, wie z.B. Cook, Worker, Policeofficer oder Flight attendant. Wer also will, dass Männer und Frauen gleichbehandelt werden, der muss sie gleichbehandeln und das heißt auch, sie gleich zu benennen.
Die Gender Debatte
Die Debatte zu einer gendergerechten Sprache währt schon lange in Deutschland. Bereits ein Ministerratsbeschluss von 2001 verpflichtete alle Bundesministerien und ihre Ressorts zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch.
Es stellt sich in der Gender-Debatte auch nicht nur die Frage, wie wir Männer und Frauen gleichberechtigt ansprechen. Wir müssen uns ebenfalls mit trans- und inter-geschlechtlichen Personen beschäftigen. Mit Menschen, die weder Mann noch Frau sind – die sich außerhalb des binären Geschlechtersystems bewegen. Eine echte Herausforderung!
Was ist gerechte Sprache?
Laut Definition ist gerechte Sprache ein Sprachgebrauch, der alle Menschen einschließt, unabhängig von Geschlecht, Bildungshintergrund und anderen möglichen Ausgrenzungsgründen. Aktuell ist die deutsche Sprache aber männlich geprägt und vergisst Frauen und andere Geschlechter häufig.
Wie bei diesem Rätsel: Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen Unfall, bei dem beide verletzt werden. Sie werden in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein bekannter Chirurg arbeitet. Die Operation des Jungen wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“
Der Chirurg in der Geschichte ist eine Chirurgin. Wenn zum ersten Mal das Wort „Chirurg“ fällt, denken die meisten aber erst einmal an einen Mann im weißen Kittel. (Natürlich könnte der Junge in der Geschichte auch zwei Väter haben, aber darum geht es hier nicht.)
Verfechter des Genderns
Die Verfechter des Genderns haben den gleichen Anspruch. So sorgte die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch für einige Debatten, weil sie eine geschlechtergerechte Überarbeitung des Grundgesetzes angeregt hatte. Mit der Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen wie „Bundeskanzler“ und „Bundespräsident“ verstoße die Verfassung gegen den in ihr selbst verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst. Damit werde sprachlich ganz deutlich suggeriert, dass die Person im Amt ein Mann sein solle, was Frauen klar benachteilige. Das Bundesjustizministerium teilte jedoch mit, ein Gendern des Grundgesetzes sei nicht geplant. (Quelle)
Auch der Duden sorgte für Diskussion, als er ankündigte, mehr als 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen mit weiblicher und männlicher Form in seine Online-Version aufzunehmen. Dazu schreibt der Verein Deutsche Sprache: „Mit seiner Ankündigung, betreibt der Duden eine problematische Zwangs-Sexualisierung, die in der deutschen Sprache so nicht vorgesehen ist. Das biologische Geschlecht (Sexus) ist nicht mit dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) gleichzusetzen.“
Kritische Stimmen zum Gendern
Klar, dass in der gesellschaftlichen Debatte kritische Stimmen laut werden. Etwa die der Schriftstellerin Nele Pollatschek. Sie fühlt sich durch das Gendern diskriminiert, weil sie sich auf ihr Geschlecht reduziert sieht. Das habe einen ähnlichen Effekt, als würde man jedes Mal „Vagina!“ rufen, wenn man sie Schriftstellerin nenne, so Pollatschek.
Vielleicht eine extreme Reaktion von Frau Pollatschek, aber ich empfehle ihren Artikel „Deutschland ist besessen von Genitalien“ im Tagesspiegel. Sie ist der festen Überzeugung: Gendern verschlimmere die Diskriminierung von Menschen nur noch.
Wie gendert man richtig?
Was Gendern auf alle Fälle macht? Deutsch zu einer noch schwierigeren Sprache. So lerne ich auf gendering.de sehr anschaulich, wo der Unterstrich oder das Sternchen hingehört. Ich will ja nichts falsch machen 😉
Also zum Beispiel:
- ein_e Handwerker_in
- zehn Zuhörer*innen
- der*die Auftraggeber*in
Im dritten Beispiel ist die männliche Form „Auftraggeber“ genauso geschrieben wie die weibliche Form „Auftraggeberin“. Und in Form des Sternchens oder des Unterstrichs soll es dazwischen Raum für Menschen geben, die weder männlich noch weiblich sind.
Bei manchen Worten ist das nicht so einfach. Zum Beispiel bei „Bäuer*in“. Die männliche Berufsbezeichnung ist schließlich „Bauer“ und nicht „Bäuer“. Wie benutzt man hier das Gendersternchen? Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, z.B.:
- Bäuer_innen
- Bauern_Bäuerinnen
Quelle: https://genderdings.de/gender/gendern/
Ja, deutsche Sprache, schwere Sprache …. Aber in dieser ganzen Debatte gibt es einen Lichtblick:
Eine Studie der Freien Universität Berlin hat gezeigt: Wenn in Berufsbeschreibungen die männliche und die weibliche Bezeichnung genannt wird, trauen sich Kinder – Mädchen und Jungen – den Job eher zu. Sprache prägt also unsere Realität. Und wenn ich dazu beitragen kann, dass Mädchen und Jungen mutiger werden und sich mehr zutrauen… dann gibt’s bei mir gerne ganz viele Sternchen!