Das Leben wertschätzen – Nepal braucht Hilfe
Es wird viel und mit Recht über die katastrophalen Zustände in Indien berichtet. Aber auch in Nepal sieht es angesichts der weltweiten Coronakrise sehr schlimm aus. Unsere heutige Gastautorin Carla Kleinjohann kann und will es nicht schönreden: In Nepal „brennt die Hütte“. Hier ihr Bericht.
Als ich 2017 zum ersten Mal nach Nepal gereist bin, hatte ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Obwohl ich nie zuvor einen Fuß auf nepalesischen Boden gesetzt hatte, schien mir Boudhanath, nordöstlich von Kathmandu, vertraut. Ich lief durch die engen Gassen, erfreute mich an jedem Namaste und umrundete morgens und abends wie alle anderen die große Stupa – seit Jahrhunderten eines der bedeutendsten Ziele von Buddhisten aus aller Welt.

Eine große Stille überzieht den sonst so quirligen Platz an der Boudhanath Stupa, die täglich ein großer Besucherstrom von Mönchen, buddhistischen Pilgern und Touristen aus aller Welt umrundet und seine Chora macht.
Unvorstellbar, dass das quirlige Treiben hier ein jähes Ende genommen hat. Weit und breit keine Menschen, keine Mönchsgesänge, keine Butterlämpchen, die im Wind flackern. Nur Hunde und Tauben, die müde darauf warten, dass für sie irgendwo etwas Essbares abfällt. Unvorstellbar, dass das Land, welches ich als weltoffen, herzlich und so lebendig kennengelernt hatte, momentan abgetaucht scheint und unter der 2. Welle der Pandemie ebenso zu leiden hat wie sein Nachbarland, das angrenzende Indien.
Dabei sind Nepali durchaus robuste Naturen, die sich selbst von Katastrophen wie dem verheerenden Erdbeben 2015 nicht so leicht unterkriegen lassen. Kaum, dass sich das Land halbwegs von dem Schock erholt hatte, die großen Schäden nach und nach behoben wurden und sich Nepal gerade anschickte, wieder in eine gewisse „Normalität“ zurückzufinden, wird es im vergangenen Frühjahr von der ersten Corona Welle hart getroffen. Das Land taumelt, die Menschen halten durch, mit großer Anstrengung und in der Hoffnung, dass sie auch diese Krise überstehen. Bis jetzt, denn die 2. Welle verlangt Nepal gerade alles ab.
Das Leben wertschätzen
Wertschätzung des Lebens – das ist für mich der Inbegriff von Nepal. Und so erlebe ich auch alldiejenigen, die ich dort bislang kennenlernen durfte. Die Nepali scheinen das ‚Leben im Moment’ so verinnerlicht zu haben, dass man den Eindruck haben kann, nichts und niemand könne sie aus der Ruhe bringen. Durchaus heilsam, diese Beobachtung, vor allem wenn man selbst aus einem Land stammt, in dem sich gerne über alles Mögliche beschwert wird. Einmal im entschleunigt-ent-spannten Nepal-Vibe unterwegs, scheint sich dieser Zwang geradezu in Luft aufzulösen. Denn die Dinge sind nun mal so, wie sie sind.
Mit der zweiten Corona Welle werden allerdings auch die Nepali derzeit auf eine harte Probe gestellt.
Eine Hippie Lady weckte meine Nepal-Begeisterung
Nepal hatte schon früh einen Platz in meinem Herzen. Ich erinnere mich noch genau an die Tochter unserer Nachbarin, eine Hippie Lady und spätere Universitätsprofessorin, die tief in mir eine große Nepal-Begeisterung weckte. Sie war viel in der Welt herumgereist und zeigte mir Anfang der 70er Jahre die ersten Fotos von Nepal. Sie schwärmte von der Einfachheit und Schönheit dieses Landes, seiner Menschen und vor allem deren unglaublicher Gastfreundschaft.
Mit ihren Geschichten über diese Magie hatte sie früh meine Sehnsucht nach diesem Land im fernen Himalaya geweckt.
Ein Traum, der 40 Jahre später in Erfüllung gehen sollte. Auch wenn der Fortschritt längst Einzug in Nepal gehalten hat, konnte ich erahnen, wovon sie damals so fasziniert war.
Seither lassen auch mich das Land und die Menschen nicht mehr los:
- Die Spiritualität und die Art auf die Natur, das Leben und den Tod zu schauen;
- diese Mischung aus „Dinge einfach so sein lassen zu können und das Beste aus dem Leben zu machen“;
- die Herzlichkeit und Stehaufmännchen-Qualität der Menschen, ihre praktische Ader und ihr Erfindungsreichtum (der mich manches Mal schmunzeln ließ, wenn Dinge nicht funktionieren oder nicht zu haben sind);
- die Rituale, Klänge, Düfte und natürlich die nepalesische Küche.

Wie ausgestorben die sonst so lebendigen Gassen. Lediglich zu bestimmten Zeiten dürfen Menschen ihre Erledigungen machen. Hier in einem Vorort Kathmandus.
Bei all dem darf man allerdings nicht verkennen, dass der Himalayastaat mit seinen knapp 30 Millionen Einwohnern große Herausforderungen zu bewältigen hat – ob in den Bereichen Infrastruktur, Bildung oder Gesundheit. Letzteres ist landesweit ziemlich rudimentär bzw. marode, was dem Land gerade in der jetzigen Pandemie schwer zu schaffen macht.
Als Mitglied im Long Yang e.V. bekomme ich das hautnah mit. Der in München und Kathmandu ansässige Verein ist seit über 30 Jahren in Nepal engagiert und setzt sich für Gesundheit, Bildung, Umwelt und dafür ein, was man heute Neudeutsch „Empowering Communities“ nennt. Insbesondere aber unterstützt er ein visionäres Projekt, den Aufbau der „Akasha Academy“ in Nepal, einem Institut für ganzheitliche Bildung, Gesundheit und Heilkunst.
Wer als NGO in Nepal arbeitet, lernt flexibel zu sein
Aufgrund der Pandemie mussten wir im vergangenen Jahr den Start unserer neuen „Basic Health Counsellor“ Ausbildung für Frauen verschieben. Nichts ging mehr. Kurzerhand haben wir uns entschlossen, dort zu helfen, wo die Not am größten war, bei der Lebensmittelversorgung von Familien. Mit der „Hope for Nepal“-Kampagne haben wir im Herbst 2020 eine großangelegte Lebensmittelaktion gestartet. Dank vieler Spender ist es uns gelungen, hunderte von Familien in der Gemeinde Sunthakhan – im Umkreis der Akasha Academy – mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen und zumindest so das Schlimmste zu verhindern. Mehrere monatelange Komplett-Lockdowns hatten dafür gesorgt, dass Ernten auf den Feldern nicht eingeholt werden konnten, und es kaum etwas zu essen gab.
Die 2. Corona Welle – noch schlimmer als in Indien?
Die Not war immens, der Staat mit all dem überfordert. Daran hat sich auch jetzt wenig geändert. Mit der aktuell 2. Corona Welle befindet sich Nepal in einer zunehmend kritischeren Lage. Es fehlt fast an allem. Mir blutet das Herz zu wissen, dass die meisten Nepali, die ohnehin schon nicht viel besitzen, sich angesichts der aktuellen Lage, zudem Sorgen machen müssen, wo sie das Essen für sich und ihre Familie herbekommen sollen, wie sie Medikamente bezahlen können, wenn sie krank sind und, und, und.
Die Situation hat sich in den letzten Wochen derart verschärft, dass es sich nicht mehr schönreden lässt – in Nepal „brennt die Hütte“.
Täglich erhalten wir Informationen und Bilder aus Kathmandu und Umgebung, die wir auch aus indischen Krankenhäusern kennen. Unsere Vereinsmitglieder und Partner vor Ort bekommen zunehmend mehr Anfragen von Menschen, die nicht mehr ein noch aus wissen.
Wer keine Freunde aus dem Westen hat, die unterstützen können, hat es in Nepal gerade schlecht getroffen. Das Gesundheitssystem ist heillos überfordert. Die Menschen müssen sogar zum Teil ihre eigenen Medikamente, Spritzen oder Blutkonserven organisieren und mitbringen… vorausgesetzt sie haben überhaupt Geld dafür und bekommen ein Bett. Der Tourismus, die Haupteinnahmequelle des Landes, ist komplett zum Erliegen gekommen.
Die Menschen schaffen es ohne Hilfe nicht
Nun zeichnet sich erneut eine Lebensmittelknappheit ab. Als Long Yang e.V. haben wir zwei Aktionen in die Wege geleitet: Mit einem dringenden Appell haben wir uns an die Bundesregierung, u.a. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, gewendet mit der Bitte um Unterstützung für eine Nothilfe-Aktion. Über 40 in Nepal engagierte NGOS haben sich bereits unserem Aufruf angeschlossen.
Gemeinsam mit BREPAL e.V., Nepali Samaj e.V. und Haus der Hoffnung – Hilfe für Nepal e.V. haben wir zudem einen Spendenaufruf gestartet, um Lebensmittelpakete und medizinisches Material schnüren und die alltägliche Not und Verzweiflung der Menschen lindern zu können. Bei der Aktion im vergangenen Jahr haben wir viel Erfahrung gesammelt, die uns jetzt zugutekommt.
Ein herzliches Dankeschön – oder Danyabad, wie man in Nepal sagt – schon jetzt an alle, die helfen wollen.

Corona verlangt den Nepali gerade alles ab, und sie sind dankbar für jedwede Unterstützung.
Es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis man wieder entspannt das kleine Land im Himalaya bereisen kann. Eines allerdings weiß ich genau – die Nepali werden Reisende auch dann wieder mit einem herzlichen Namaste grüßen.

Carla Kleinjohann engagiert sich sehr für Nepal und war schon oft vor Ort.
Carla Kleinjohann kommuniziert leidenschaftlich gerne, ist Ideen- und Impulsgeberin und hat ein feines Gespür für Dinge, die sind und die kommen. Ihre Verbundenheit mit allem, was ist und die Freude darüber weiterzugeben, treibt sie an, um Menschen an die Kostbarkeit ihres Daseins auf Erden zu erinnern. Sie macht vor allem das Thema Vergänglichkeit bewusst und zeigt auf, wieso darin der Schlüssel für ein erfülltes Leben und mehr Mitmenschlichkeit liegt. Ursprünglich im Bereich Wirtschaft und Kommunikation zuhause, hat die gebürtige Rheinländerin sich 2002 im Bereich PR und nachhaltige Entwicklung selbständig gemacht, bis sie den Reichtum der Stille für sich entdeckt hat. Was sie in dieser Welt berührt, stellt sie heute aus München ihren Klienten mit „The Art of Caring“ zur Verfügung.
Noch mehr Informationen über Nepal:
- Wer mehr über den Verein und den Aufbau der Akasha Academy unweit des Shivapuri Nationalparks erfahren möchte, kann sich auf akasha-academy.org informieren.
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