Ankunft in Indien – das Zielland ist erreicht!
Endlich ist Indien, das Zielland der Reise von Volker Raddatz und seinem Team, erreicht. Die Ankunft in Indien findet in Amritsar statt. Amritsar ist bekannt für seine Tempel und unser Abenteuer-Team plant natürlich einen Besuch, bevor es weitergeht nach Chandigarh. Die Hauptstadt des Punjab, wurde vom französischen Star-Architekten Le Corbusier erbaut. Wir veröffentlichen einen weiteren Ausschnitt aus Volkers Tagebuchserie „Einmal Indien und Retour“.
Amritsar, 25. November 2004
Der Grenzübertritt dauert 3 Stunden, davon auf pakistanischer Seite 20 Minuten. Das liegt auch an der liebevollen Erpressung durch den Zollbeamten, der eine schnelle Abfertigung für den Fall in Aussicht stellt, dass wir bei ihm Geld (indische Rupien) eintauschen. Gesagt, getan (1 € = 54 Rp.), und schon rollen wir mit heißem Herzen und erhöhtem Pulsschlag hinein in unser Zielland Indien.
Hier nimmt man sich, bei aller Freundlichkeit und zahlreichen Händedrucken, viel Zeit für die umfangreichen Formalitäten: Pass, Carnet de Passage und viele zusätzliche Fragebögen, die im Grunde immer wieder dieselben Antworten erfordern: Visa-Nummern, Gültigkeit der Reisepässe, Fahrzeugdaten – dies ist nur eine kleine Auswahl des umfangreichen Katalogs. Mit uns in der Warteschleife ist eine Handvoll anderer Ausländer, deren Reisepläne die unsrigen z.T. noch übertreffen: so befindet sich ein Hamburger iranischer Abstammung seit Monaten auf dem Wege von Deutschland nach Australien und hat vor allem mit der Visa-Beschaffung mächtig zu kämpfen. Gott sei Dank haben wir in dieser Hinsicht keine Probleme.
Jedenfalls entpuppt sich der Zollbeamte als unerfahrener Mann, der von einem Kollegen mühsam eingearbeitet wird: jede Unterschrift, jeder Stempelabdruck erfordert eine Rückfrage; dazu kommt seine Neigung, keinen Vorgang konsequent zu Ende zu führen, sondern sich jederzeit durch „Quereinsteiger“ unterbrechen zu lassen. Energische Interventionen unsererseits wären zwecklos und könnten nur das ausgesprochen heitere Betriebsklima gefährden, das etwa durch folgenden Witz belegt wird, den er uns (zu allem Überfluss) auch noch erzählt. So habe ein Tourist beim Ausfüllen des Fragebogens die Rubrik „sex“ mit „twice a week“ beantwortet. Als man ihm das Missverständnis erklärte und ihn bat, „male“ oder „female“ anzukreuzen, schrieb er „sometimes male, sometimes female“. Unser fröhlicher Beamter nimmt sich sogar Zeit für ein Kompliment an mich: „There must be a mistake in your passport – you look thirty.“ So vergeht die Zeit.
Immerhin können wir die Inspektion unseres Busses durch die Überreichung von 5 Kugelschreibern erheblich abkürzen.
Beim Grenzübergang erhält Fritz vom Grenzoffizier einen formvollendeten Handkuss, sozusagen das indische Pendant der moslemischen Bruderküsse durch iranische Polizisten. Unser erster Eindruck auf indischer Seite sind zahlreiche Träger (Turbane, blaue Kittel, graue Bärte), die ihren Lebensunterhalt durch den Transport pakistanischer Lkw-Ladungen über den Grenzstreifen verdienen – eine Beobachtung, die noch einmal bewusst macht, dass diese Grenze, trotz des täglichen Fahnenappells, nur von den wenigen ausländischen Touristen passiert werden darf.
Nun fahren wir in bester Laune 35 km nach Amritsar. Auf dem Wege sehen wir Frauen ohne Kopfbedeckung, einen weißhaarigen „Guru“ in einer Rikscha, dazu – seit Monaten ungewohnt – Hausschweine mit Hängebäuchen und Ringelschwänzen. Die relativ homogene Welt des Islam ist einer Multikulturalität gewichen: schlagender Beweis ist das Bier-Angebot unmittelbar hinter der Grenze. Dagegen kennt das Wetter keine politischen oder kulturellen Grenzen: wie schon in Pakistan, hängt auch hier morgens schwerer Dunst über dem Land.
Nach einer kleinen Irrfahrt finden wir das schön gelegene, ruhige und gepflegte Mrs Bhandari’s Guesthouse im Cantonment, also dem früheren Britenviertel von Amritsar. Diese Unterkunft ist mit Zimmern, Restaurant, Gärten, Telefon, Internet und Stallungen für Wasserbüffel (die bei unserer Einfahrt gerade mit einem Schlauch abgespritzt werden) ausgestattet und verbreitet eine wirklich gastliche Atmosphäre.
Da wir im Bus schlafen, zahlen wir nur 5 € pro Nacht und können die Dusche benutzen – ein wichtiger Aspekt auf unserer gesamten Reise.
Nach einem four-o’clock-tea auf dem Rasen mieten wir uns einen Rikschafahrer (25 Rp. = 45 cent pro Stunde), der uns in 30 Minuten zum „Goldenen Tempel“, dem Heiligtum der Sikhs, bringt. Barfüßig betreten wir mit zahlreichen anderen Besuchern die weltbekannte, ausgedehnte Anlage, in deren Mitte sich der sehr schöne Tempel befindet.
Wir bleiben eine knappe Stunde, gehen langsam einmal herum, verbringen eine Zeitlang im Tempel selbst, wo ehrwürdige Greise priesterähnliche Funktionen ausüben: sie sitzen andächtig in einem Meer von Blumen, Kerzen und anderen dekorativen Elementen. Die gesamte Zeit über ertönt indische Ritualmusik, wie man sie z.B. aus dem Film Gandhi kennt, live dargeboten von einem Sänger im Innern des Tempels.
Die Bevölkerung ist zahlreich erschienen, auch Kinder sind dabei, und einige Männer lassen sich – nur mit Badehosen bekleidet – bis zum Hals in das riesige Wasserbecken gleiten, in dem sich der Tempel bei Dunkelheit spiegelt. Und so nehmen wir uns vor, morgen Abend die Anlage noch einmal aufzusuchen, zumal dann ein besonderes Fest gefeiert wird (übrigens ist das Lichtfest diwali gerade vorbei). Beim Verlassen schauen wir noch auf die Einlegearbeiten in den Wänden, sehen an den Außenmauern militärische Gedenktafeln, die z.T. auf das Britische Weltreich zurückgehen, und kehren mit unserem zuverlässigen Rikschafahrer durch die stockdunklen, aber belebten Straßen von Amritsar in unser schönes Refugium zurück.
Ein prächtiges Abendessen rundet unseren ersten Tag in Indien ab. Seit vielen Wochen trinke ich mal wieder ein Bier (Flasche 650 ml). Fritz isst Schweinebraten und strahlt über beide Backen.
- Typisch für unsere Herberge ist das angenehme Geräusch des ständigen Fegens durch die Bediensteten, besonders am frühen Morgen.
Amritsar, 26. November 2004
Am Vormittag bleibt es diesig-feucht, dabei aber recht warm. Der Tau tropft von den Bäumen, und die Vögel krächzen heiser. Wie schon an den vergangenen Tagen gelingt es der Sonne nicht, sich gegen den Dunstschleier durchzusetzen.
Nach dem Frühstück, das wir in der „guten Stube“ mit vielen original britischen Küchenutensilien als Dekoration einnehmen, schließen wir eine Haftpflichtversicherung für Indien ab, geben einen Sack Kleidung in die Wäscherei, wechseln etwas Geld (diesmal 1 € = 57 Rp.) und treffen uns dann mit unserem Rikschafahrer zu einer 5-stündigen Stadtrundfahrt.
Der Mann fährt uns zu zwei christlichen Kirchen (St. Paul’s und Ram Bagh Church of India), zum Durgiana-Tempel (dem Hindu- Gegenstück zum Goldenen Tempel), wo wir kitschig anmutende, mit buntem Lametta verzierte Darstellungen der Götter Vishnu, Shiva, Ganesh usw. betrachten; dann nach Jallianwallah Bagh, Gedenkstätte an das Massaker von 1919, als unbewaffnete Demonstranten für die indische Unabhängigkeit auf Befehl von General Dyer zu Hunderten erschossen wurden (vgl. Richard Attenboroughs Film-Epos Gandhi), danach zum Baba-Atal- Turm, der eine herrliche Aussicht auf die ganze Stadt, besonders aber auf die Anlage des Goldenen Tempels bietet, dann zu den Ram-Bagh-Gärten und schließlich zum Hauptbahnhof, wo sich gerade der Zug nach Delhi in Bewegung setzt. Zurück geht es durch verschlungene Basar-Gassen, wo der Verkauf von Textilien dominiert.
Überall gibt es Garküchen mit großen eisernen Töpfen, die auf einem Gasfeuer stehen. Eine Spezialität scheinen süße Kartoffeln zu sein, die in Holzkohle erhitzt werden. Besonders üppig sind die Obst-Stände, an denen uns heute besonders die Papayas auffallen. An mehreren Stellen wird kostenloses Essen für die Armen verteilt, das nach unserem Eindruck aber nicht nur von Bedürftigen in Anspruch genommen wird.
Als wir mit unserer Rikscha um die Ecke biegen, steht plötzlich ein Elefant vor uns – wir sind eben in Indien!
Nach dem Abendessen im Guest House (es gibt gut gewürzten Fisch) fahren wir wieder mit der Rikscha zum Goldenen Tempel, um das „Buch-Zeremoniell“ zu erleben, das unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zweimal am Tag zelebriert wird. Heute ist die Menschenmenge besonders groß, weil der Geburtstag des 1. Guru (Galunanakdevji) gefeiert wird, zu dessen Ehren der Goldene Tempel zu Lebzeiten des 4. und 5. Gurus erbaut wurde.
Wir haben das Glück, mit zwei freundlichen und kenntnisreichen Sikhs ins Gespräch zu kommen, die uns minutenlang ungebremst Einführungsvorträge über ihren Glauben halten: demnach verehren die Sikhs einen allmächtigen Gott, dessen Lehre im Goldenen Buch enthalten ist und vom 1. Guru verkündet wurde. Dieses Buch wird wie ein lebendiger Mensch behandelt: es zieht zweimal täglich von einem Tempel zum anderen, es erhält zu essen und zu trinken und wird in ein prunkvolles Bett gelegt. „Unser“ Sikh pflegt eine ausgeprägte Körpersprache: er begleitet seine Argumente durch heftige, ruckartige Kopfbewegungen, verdreht die Augen und erhebt die zusammengelegten Hände zum Gebet in Augenhöhe. Im Übrigen wird das Buch-Zeremoniell durch rhythmische Gesänge der Anwesenden begleitet – in englischer Übersetzung: „There is one God, Truth is his name.“
Wie dem auch sei: nach einem sehr lohnenden Besuch im Goldenen Tempel fahren wir mit der Rikscha in unser abgeschirmtes Quartier, dessen besondere Qualität uns beim mehrfachen Anblick von Obdachlosen, die am Straßenrand in Zeitungspapier oder dreckige Klamotten gehüllt ein unwürdiges Dasein fristen, bewusst wird.
Chandigarh, 27. November 2004
Am frühen Morgen liegt Amritsar in dichtem Nebel. Solange wir in unserem idyllischen Gasthaus (Mischung aus English Cottage und spätkolonialem Relikt) sind, verbreitet dieses Wetter eine angenehm-ruhige, fast märchenhafte Stimmung. Doch dann, nach einem schmackhaften Frühstück, müssen wir mit unserem Bus hinaus in die „dicke Suppe“, denn wir wollen heute nach Chandigarh. Die Sichtweite beträgt auch am späten Vormittag maximal 30 Meter, ohne dass die indischen Kraftfahrer daraus nennenswerte Konsequenzen ziehen: viele Fahrzeuge sind unbeleuchtet (Radfahrer und Rikschas sowieso) und fahren dennoch mit kaum verminderter Geschwindigkeit. Während wir sogar unsere Nebelleuchte einschalten und streckenweise mit Tempo 20 am äußersten Straßenrand entlang krauchen, werden wir mit dem üblichen Hupkonzert „sportlich“ überholt. Wie groß heute Morgen der Risikofaktor tatsächlich ist, zeigen drei schlimme Unfälle, die wir innerhalb kürzester Zeit registrieren.
Als die Sonne sich endlich durchsetzt, ist es weit nach Mittag, und wir atmen auf. Nun können wir auch wieder die Landschaft betrachten, die Reisfelder (ein sattes, üppiges Grün), hohe Brennöfen zur Herstellung von Ziegelsteinen (wie in Pakistan), Zuckerrohr-Saftpressen am Wegesrand sowie einen Konvoi von mehr als 100 Traktoren mit Zuckerrohr-Ladung.
Als wir eine Kleinstadt durchfahren, trauen wir unseren Augen kaum: auf dem schmalen, begrünten und liebevoll bewässerten Mittelstreifen haben es sich zahlreiche Kühe bequem gemacht und lassen ganz entspannt den lauten und qualmenden Autoverkehr an sich vorbei rauschen. Auch den bekannten, für heilig befundenen Zebu-Rindern sind wir schon mehrmals auf der Landstraße begegnet. Sie sind offensichtlich die einzigen Lebewesen, denen die rasende Verkehrslawine Respekt entgegenbringt.
In Chandigarh finden wir nach mühsamer Suche die Mercedes-Benz-Niederlassung. Hier geschieht ein kleines Wunder, denn man organisiert uns eine Ersatz-Windschutzscheibe vom Daimler-Duplikat Tempo, so dass wir gegen Abend zu unserer großen Freude wieder einen klaren „Durchblick“ haben. Soweit der technische Teil. Die sich anschließende Gastfreundschaft der Mercedes-Leute kann sich sehen lassen: wir werden von der kleinen Belegschaft zum Abendessen eingeladen und sind schwer beeindruckt, ein überaus schmackhaftes Mahl vorzufinden, das wir, gemeinsam mit den Angestellten, an einem hübsch gedeckten Tisch einnehmen. Es gibt Chappati, Gemüse, Huhn mit Sojabohnenkäse (bean curd), Gurke, Zwiebeln und Reis. Danach trinken wir Tee bzw. Kaffee und plaudern eine knappe Stunde. Die drei Köche stammen übrigens aus dem Nepal und freuen sich über unsere Kugelschreiber.
- Chandigarh wurde von dem französischen Star-Architekten Le Corbusier erbaut.
- Wie schon in Lahore und Amritsar haben die Engländer auch in der Hauptstadt des Punjab ihre vielfältigen kolonialen Spuren hinterlassen. Zahlreiche Beispiele finden sich im Militär- und Bildungswesen, so etwa die Bezeichnung Genius International School.
- Die indischen Lkw sind längst nicht mehr so prächtig und phantasievoll geschmückt wie ihre pakistanischen Kollegen.
Wie alles begann, das kannst Du hier nachlesen.
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