Eine Liebeserklärung an die Gelassenheit
... und Du öffnest anderen die Türen damit!
Manchmal hat Cornelia Lütge das Gefühl, die Welt will sie in alle Richtungen gleichzeitig ziehen. Nachrichten über Krisen, Klimawandel und politische Irritationen – dazu das alltägliche Jonglieren von Job, Familie und Freundschaften. Wer soll da noch entspannt bleiben? Unsere Gastautorin glaubt, sehr viele von uns fühlen zuweilen Überforderung. Genau deswegen möchte sie heute darüber sprechen, warum Gelassenheit für sie kein Luxus ist, sondern eine Fähigkeit, die wir dringend brauchen. Nicht als Ausrede fürs Nichtstun oder Schweigen, sondern als echte Kompetenz für ein gutes Leben – und Wirksamkeit!

Gelassenheit ist keine Lässigkeit
Gelassenheit wird oft verwechselt mit Gleichgültigkeit oder Coolness. Dabei ist sie genau das Gegenteil: eine Form von wacher, differenzierter Präsenz.
Sie verlangt, genau hinzusehen und gleichzeitig den Mut zu haben, nicht alles regeln, retten, kontrollieren zu wollen.
Ich nenne das gern: Choose your fights.
Nicht jede Diskussion lohnt sich. Nicht jedes To-do ist wichtig. Und nicht jede Frage verdient eine sofortige Antwort.
Diese Art von Souveränität ist nichts Angeborenes, sondern eine Kompetenz. Sie will geübt werden.
Übungsfelder gibt es genug
Meine besten Lehrmeister finde ich dabei nicht in Meetingräumen, sondern im Stall, auf der Matte und in hitzigen Gesprächen.
Pferde z. B. sind gnadenlos ehrlich. Sie zeigen ungefiltert, wie präsent oder abwesend wir gerade sind. Ob wir versuchen zu kontrollieren statt zu führen. Ob wir in unserer Körpersprache klar oder widersprüchlich sind.
Für mich ist Reiten keine sportliche Kür, sondern Achtsamkeitstraining in Bewegung. Ein Gegenüber, das Spiegel ist und Partnerin zugleich. Wer hier nicht zuhört, scheitert. Wer Druck macht, verliert Vertrauen.
Gelassenheit heißt hier: klar sein, nicht hart. Wach sein, nicht hektisch.
Auch im Kopf: Beweglichkeit
Dasselbe gilt übrigens beim Yoga oder Pilates. Diese Praktiken haben mich gelehrt, dass Balance kein statischer Zustand ist, sondern eine Serie winziger, bewusster Korrekturen.
Wir sprechen viel von Resilienz, als wäre das ein Coaching-Trend. In Wahrheit ist es eine Frage der Beweglichkeit. Wer nur starr bleibt, bricht. Wer anpasst und spürt, bleibt handlungsfähig.
Werte als Kompass
Die eigentliche Grundlage dafür ist Klarheit über die eigenen Werte.
Wir leben in einer Zeit, in der die Versuchung groß ist, sich an Geschwindigkeit und Meinungslage des Tages zu orientieren. Aber ohne eigenes Fundament werden wir zum Spielball.
Ich habe das sowohl in Teams als auch bei mir selbst erlebt: Wer nicht weiß, wofür er steht, kann sich nicht entscheiden, was er bleiben lässt.
Daher ist Wertearbeit kein Luxus. Sie ist Überlebensstrategie in einer Welt, die uns permanent auf Überlast schaltet.
Family First, Friendship First
Ich sage das ganz bewusst: Meine Familie hat Vorrang. Freundschaften auch.
Weil sie das Netz sind, das mich fängt, wenn die Welt zu viel wird. Ich habe gelernt, dass man Care-Arbeit nicht nebenbei erledigt. Dass Beziehung Raum braucht. Und dass sie sich nicht in Kalenderlücken quetschen lässt.
Diese Priorisierung hat mir beigebracht, dass ich nicht alles gleichzeitig gut machen kann. Sondern dass wir bewusst wählen, wo man exzellent sein will – und wo man milde mit sich sein darf.
Gelassenheit trifft Pippi-Langstrumpf-Gen
Ein Freund hat mal gesagt, ich hätte ein Pippi-Langstrumpf-Gen. Ich habe gelacht und es sofort adoptiert.
Denn ja: Ich gestalte mir die Welt, wie sie mir gefällt. Nicht naiv. Sondern entschieden.
Das bedeutet nicht, dass ich Fakten ignoriere. Sondern dass ich meine Perspektive wähle. Dass ich Prioritäten setze, die zu mir passen. Dass ich Freiheit ernst nehme und zwar nicht als Freibrief, sondern als Verpflichtung zur Selbstverantwortung.
Gelassenheit als Widerstand
Vielleicht ist das der wichtigste Gedanke:
Gelassenheit ist nicht Luxus, sondern Widerstand.
In einer Zeit, die uns alle überfordern will, ist Gelassenheit ein Akt der Selbstbehauptung. Ein Nein zum allgegenwärtigen Alarmismus. Ein Ja zur Beweglichkeit, Klarheit und Verbundenheit.
Ich übe das jeden Tag. Mal klappt es, mal nicht. Aber ich halte daran fest.
Weil ich überzeugt bin: Gelassenheit ist nicht das Sahnehäubchen auf einem erfolgreichen Leben. Sie ist das Fundament für ein gutes.
Und noch etwas in eigener Sache
Während ich das hier auf meiner Gartenbank in der Sonne schreibe, ist mir durchaus bewusst, dass es leichter klingt, über Gelassenheit zu schreiben, wenn man – so wie ich – mit über 50 ein gutes Fundament hat: die zwei Töchter nahezu erwachsen und gut aufgestellt, eine langjährige, feine Beziehung, gesundheitliche Stabilität und ohne Nöte.
Ich sehe das als ein Privileg. Und ich finde: Genau deshalb ist es beinahe eine Selbstverpflichtung, Gelassenheit zu versuchen. Weil wir, die in dieser Lebensphase bei allem Neuen auch ernten können und dadurch die Chance haben, anderen Türen zu öffnen. Wir sollten z. B. den Jüngeren und ihren erfrischenden Lebenskonzepten mit Neugierde und Wohlwollen begegnen und Impulse teilen, die nicht belehren, sondern ermutigen.
Mein kleines Plädoyer ist kein erhobener Zeigefinger, viel mehr ein Vorschlag: Lasst uns die innere Kraft nicht nur für uns selbst nutzen, sondern auch für ein Miteinander, das wieder mehr von Freundlichkeit und Offenheit geprägt ist. Wie bitte sonst können wir in diese hitzigen und wilden Zeiten bestehen und zu einem Besseren beitragen?!
Ohoo, sagen wir, liebe Cornelia, und verweisen auf diesen Artikel über den Frieden.

Gastautorin Cornelia Lütge bezeichnet sich als Nordlicht mit Pippi-Langstrumpf-Gen. Nach 14 Jahren als Business-Coach hat sie sich ein Wirkungsfeld gesucht, in welchem ihr Können, ihre Neugierde und ihree Werte zu einem größeren impact beitragen: einer enkelfähigen Zukunft! Schon als VWL-Studentin hat sie Nachhaltigkeit am meisten interessiert. Heute verbindet sie Wertearbeit, Klarheit und Humor, um Veränderung wirklich zu gestalten. Die nötige Gelassenheit in dieser wilden Welt findet sie in der Pferderei und Natur, beim Pilates und lesen. Und nicht zuletzt bei ihrem unerschütterlichen Michael, in Familie und Freundschaft.
