Selfie – Selfish – Selfhirsch
Bist Du ein Selfie? Ganz ehrlich, ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, ob ich auch zu dieser Spezies gehöre. Offenbar aber schon irgendwie, denn den Arm ausstrecken und mit dem Handy ein Foto schießen – das mache ich schon länger. Auch weil oft gar keiner da war, der anstelle meines Arms eins hätte machen können. Vor zig Jahren in Thailand z.B., der Typ und ich am einsamen Strand. Wen hätten wir fragen können?
Der Punkt, der einen „richtigen“ Selfie ausmacht, ist aber – und hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Kommt das Selbstporträt ins private Fotoalbum oder ins soziale Netzwerk. Denn das wollen Selfies in 1. Linie: Das Web 2.0 bestücken und aller Welt zeigen: Hier war ich, das bin ich.
Es gibt schon Studien darüber. So hat das US-Magazin Time herausgefunden, wo weltweit in Städten mit über 250.000 Einwohnern an bestimmten Tagen Anfang 2014 die meisten Selfies gemacht und gepostet wurden: Auf Rang Eins landete demnach Makati, das philippinische Finanz- und Wirtschaftszentrum. Gefolgt von New Yorks Stadtteil Manhattan, an dritter Stelle: Miami Beach. Miami – der coole South Beach, wie geschaffen für Fotos. 2010 haben mein Mann und ich dort viele gemacht, auch Selfies. Wir wollten uns beide am Strand „festhalten“. Aber posten? Darauf wäre ich nicht gekommen. Und hätte uns jemand gefragt, ob er uns mit einem „richtigen“ Foto aushelfen könne, wir würden auch heute noch definitiv ja sagen.
Das hat sich wohl gewandelt. Meine Blogger-Kollegin Melanie lebt ja in Sydney, wo es vor Sehenswürdigkeiten wimmelt: „Ich vor der Oper“, „Wir auf der Harbour Bridge“ oder „Der Koala und ich“. Früher, sagt Melanie, „wären die Touris lachend dankbar gewesen auf meine höfliche Frage: „May I take a picture for you?“. Heute: Oft genervte Ablehnung. „Nein danke, mach ich selbst!“
Spontan soll es aussehen. Etwas Bestimmtes ausdrücken. Narzissmus pur, rufen die Kritiker. Eine Karikatur bringt das Selbstverständnis gut zum Ausdruck: Drei Toilettentüren – eine für Männer, eine für Frauen und eine für? Richtig, Selfies.
Je privater, desto besser. So erkläre ich mir den neuen Trend zu Sex-Selfies. Schon gehört? Aftersex nennt sich der Hype auf Instagram, bei dem Paare nach dem Liebesspiel in die Kamera lächeln. Entspannte Leute posieren da, manchmal verschwitzt, selten (noch?) anzüglich. Und es gibt bereits den nächsten Selfie-Schwung, um es neutral zu benennen … Suglies, englisch aus Selfie und Ugly. Nicht mehr nur die schönen oder witzigen Selbstbildnisse sind „in“, jetzt auch die hässlichen. So galt der 9. April 2014 als Sugly-Day. You-Tube-„Stars“ posten ganze Videos mit solchen Grimassen, nachdem Hundertausende ihre Bilder hochgeladen hatten. „Lasst uns das Internet mit Hässlichkeit zu spammen“, riefen die Initiatoren.
Leute, die begonnen haben darüber zu forschen, erläutern: Gerade jüngere Menschen nehmen ihr Selbstbild heutzutage so enorm wichtig, dass sie dieses nicht nur darstellen sondern v.a. auch schnell teilen wollen. Das können wir Ältere doof finden, überflüssig oder sonst was. Fakt ist: Es beschäftigt die Leute, eben auch schon Teenies.
Norbert Rasch, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachgruppe Crossmedia an der Fakultät Medien der sächsischen Hochschule Mittweida, spricht von Selbstoptimierung: Die Jugend habe durch Likes und Kommentare einen direkten Vergleich, „was ankommt und was nicht“. Nicht zu verachten sei das Thema auch zur Selbstvermarktung für einen späteren Job: „Denn bewirbt man sich heutzutage für einen „hippen“ Medienberuf, sollten gewisse Likes und Follower als Beweise für die eigene Medienaffinität dienen“, so Rasch. Er weiß aber auch, dass viele einfach gern „auf einer Trendwelle“ mit schwimmen würden. „Stars wie Justin Bieber oder Madonna machen es vor, und alle anderen folgen präzedenzlos.“
Viele auch meiner Facebook-Freunde posten regelmäßig Selfies: Hier checke ich ein in den Flieger, hier trinke ich mein Afterwork-Bierchen, dort feiere ich den Geburtstag mit meinen Kindern. Ein junges Mädchen sagt mir im Interview: „Man wird da schon ein bisschen rein gezogen.“ Warum ist es so anziehend, frage ich. Die 13jährige vergleicht es mit Süßigkeiten, die man nascht, weil sie so lecker sind. Wo man sich auch nicht so viele Gedanken zu macht wie Eltern zum Beispiel. Von den neuen Trends hat sie noch nichts gehört, findet allein die Vorstellung intimer Selfies „grauenvoll“. Fotos, wo sich zwei küssen, „sind doch total unnötig“, findet sie: „Muss ich sehen, wie zwei ihre Spucke austauschen? Nee!“
Dennoch: Nicht nur witzige Selfies laufen in den sozialen Netzwerken rauf und runter, der Selbstdarstellung sind längst keine Grenzen mehr gesetzt. Lady Gaga hält ihren Po in die Linse, zack, der sogenannte „Belfie“ (von butt, englisch für Po) macht die Runde, millionenfach. „Selfie war 2013, 2014 ist Belfie!“ schreibt die Online-Zeitung www.zeitjung.de, die auf die 18-34 Jahre alten Leser zielt. Und erklärt: „Stars sind stolz auf ihr Hinterteil und teilen die Bilder mit der Öffentlichkeit.“
So was bleibt im Netz. Für immer. Macht sich die Schülerin das bewusst? „Ja, schooon, aber…“ Ihre Hauptmotivation, schöne oder lustige Selfies zu posten, ist stärker: „Ich will anderen vermitteln: Ich hab Dich lieb. Danke sagen, dass es die Leute gibt, die ich markiere.“ Kann man das nicht persönlich sagen? „Doch“, gibt sie zu, aber eben auch so. Schneller vor allem, denke ich, und leichter.
Hättet Ihr das gewusst?
- Das Oxford Dictionary kürte das Wort „Selfie“ 2013 zum internationalen Wort des Jahres: „Ein Foto, das man von sich selbst geschossen hat, in der Regel mit einem Smartphone oder einer Webcam, um es auf einer Social Media Website hochzuladen.“ Fotos mit mehreren Personen heißen „Gruppenselfies“.
- Zum ersten Mal wurde die Wortneuschöpfung „Selfie“ in einem australischen Online-Forum im Zusammenhang mit einem selbstgeschossenen Foto eines Betrunkenen verwendet. Dafür gibt es den passenden Hashtag „Drelfie“ (Drunken Selfie).
Illu: Ela Mergels. www.elaela.de
Und dann gibt es da noch das Whaling – kurze Videos, in denen man hinter einem Objekt hoch springt um gleich wieder zu verschwinden. Gefilmt und geteilt im Netz wird das Ganze mit speziellen Apps, mit denen sich wenige Sekunden „lange“ Videos erstellen lassen.
Jeder Jeck ist anders, sagt man auf gut Kölsch. Na denn! 🙂
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