Neuanfang – pourquoi, pourquoi?
An dieser Stelle werde ich in Zukunft die Begegnungen in Worte fassen, die ich gemeinsam mit meiner zweijährigen Mischlingshündin „Pepples“ erlebe. Ich kann Euch sagen, dass man mit kleinen Kindern und Hunden die unglaublichsten Dinge erlebt, die man sich nicht ausdenken kann. Ich freue mich sehr darauf, und ich bin sicher, dass Ihr Euch mindestens genauso freuen werdet. Für den Start dieses Blogs jedoch, starte ich mit einer Geschichte, für die ich meinen geliebten Hund für eine Woche lang in andere Hände geben musste. Eine Woche ohne Hund – eine Woche Ferien für Körper und Seele. Ein ganz persönlicher Neuanfang.
Ostern 2014. Ich brauche immer ein Ziel. Brauche ein Ziel, um mich einzustimmen, vorzubereiten, um neue Wege gehen zu können. Vielleicht habe ich das verinnerlicht, als ich aktiv auf den Kölner Aschenplätzen dem runden Leder nachgejagt bin. Das Match gegen den verhassten Nachbarverein des Nachbarortes, das Spiel gegen den scheinbar unschlagbaren Spitzenreiter oder die Partie gegen die Elf des Tabellennachbarn – die Vorbereitung und das Training im Vorfeld waren immer eine Spur intensiver als sonst. So fühlte ich mich auch in den Monaten vor Ostern. Um mein neues Leben beginnen zu können, kam der Mont Ventoux, der in der Provence gelegene Berg der Winde, gerade recht.
Zu Jahresbeginn hatte ich mir vorgenommen, den 1912 Meter hohen Berg mit dem Rennrad zu bezwingen. Ich musste unbedingt da rauf, mich abstrampeln, schwitzen, „sterben“, meine Grenzen erreichen und diese noch überschreiten. So sollte es sein – nach Erreichen des Ziels, wollte ich dann auf der Fahrt ins Tal die schweren Klötze meines alten Lebens aus meinem imaginären Rucksack schmeißen, um meinen neue Abschnitt beginnen zu können.
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Ich weiß nicht, ob Ihr schon jemals einen Berg mit dem Rad hinauf gefahren seid? Es gibt nichts Schlimmeres und Schöneres zugleich – jede Tour, und besonders die mit entsprechenden Anstiegen, ist eine erneute Herausforderung, jeder Berg schürt erneut die Angst, den Anstrengungen nicht gewachsen zu sein und erfüllt den Fahrer nach einer jeden Tour mit grenzenloser Zufriedenheit. So geht es jedenfalls mir. Die Touren im Département Drôme im Südosten Frankreichs sind so wunderschön und einzigartig, dass man von diesem herrlichen Stückchen Erde abhängig werden könnte. Vier Tage lang erarbeiten meine Begleiter, alle ein wenig jünger und vor allem fitter als ich, Touren, um mich auf die selbst gestellte Aufgabe vorzubereiten.
Den 24. April 2014 werde ich wohl niemals mehr vergessen. 22 Grad, Sonnenschein, ein leichtes Unwohlsein ob der eigenen Nervosität, kombiniert mit mehr oder weniger motivierenden Sprüchen meiner Freunde. Die ersten 30 Kilometer über den Col de la Madelaine bis Bedoin, dem schnuckeligen Dorf auf der Südseite des Mont Ventoux, gelten als lockeres „Warm Up“, bringen mich zwar ins Schwitzen, jedoch nicht von der inneren Unruhe und der Frage ab, mein Ziel auch wirklich erreichen zu können. 22 Kilometer liegen vor mir, und irgendwo auf der Strecke steht ein Gedenkstein, der an den Tod von Radprofi Tom Simpson erinnert, und heute als Mahnmal gegen Doping, Raubbau am eigenen Körper und Erfolgsdruck angesehen wird. Wie auch immer, ich will da unbedingt rauf!
Die ersten fünf Kilometer vergehen wie im Flug, doch dann wird’s unerträglich – die teilweise 15%ige Steigung trennt nicht nur die Spreu vom Weizen, sondern lässt auch meine Begleiter davoneilen. Jetzt gilt es, mein eigenes Tempo zu fahren, dafür aber muss ich es erst einmal finden. Links, rechts – links, rechts. Ich konzentriere mich ganz auf das Treten in die Pedale; daran, meine ehemalige Beziehung noch einmal zu durchleben, ist absolut nicht zu denken. Nein, es geht um mein Tempo, die Konzentration auf den Moment – es geht nur um mich.
Neuanfang, pourquoi?
Bei Kilometer acht nerven mich das Klacken des Hinterrades, die Schmerzen im Rücken und die scheinbar niemals endende Steigung. Rechts, links, rechts, links. Blick nach vorn. Vom Gipfel des „Giganten der Provence“ ist nichts zu sehen. Ein Schluck aus der Wasserflasche, ein Stück Banane.
„Pourquoi, pourquoi?, frage ich mich. Wieso tue ich mir das eigentlich an? „Quäl’ Dich, Du Sau!“ – auf diese Weise hatte Udo Bölts im Sommer 1997 seinen Team-Kapitän Jan „Ulle“ Ullrich motiviert, über die Alpen zu kommen und letztendlich den Sieg der Tour de France“ einzufahren. Was gäbe ich jetzt darum, mich jetzt beschimpfen zu lassen.
Stattdessen muss ich allein zurecht kommen, mein eigenes Tempo finden, die Schmerzen ignorieren und „step 4 step“ weiter machen. Ein saarländischer Freund überholt mich in seinem Mercedes und hält ein Plakat aus dem Fenster: „Allez André!“. Ich freue mich und muss lachen – eine Zehntelsekunde lang. Die Hälfte ist geschafft. Ich fahre mich in einen Rausch, zähle im Takt der Tritte am steilsten Kilometer des Aufstiegs bis 2000, kann mich an Kilometer 13 und 14 gar nicht mehr erinnern, passiere das „Chalet Reynard“ und spüre auf einmal, dass der Mistral hier oberhalb der Baumgrenze deutlich den Ton angibt. Das Pfeifen meiner Lunge steht dem des Windes jedoch in nichts nach.
3000 Meter vor dem Ziel kommen mir meine Radfreunde entgegen, verwickeln mich in Gespräche, an die ich mich heute nicht mehr erinnere, und begleiten mich bis zum Gipfel des die gesamte Provence überragenden Berges. Zwei Stunden und vierzig Minuten lang habe ich gebraucht, um den Giganten zu bezwingen. Ich bin stolz wie Oskar, merke, dass ich schon lange im neuen Leben angekommen bin und freue mich wie ein Kind auf die folgende 20-minütige Abfahrt. Ein grandioser Neuanfang!
„Pepples“ habe ich aus dem Urlaub einen riesigen Knochen mitgebracht und werde mit meinem schwarzen Hund eine große Runde am Rhein drehen. Mit an absolut grenzender Wahrscheinlichkeit werde ich mit meinem Vierbeiner auf besondere Menschen treffen, deren Geschichten ich dann an dieser Stelle erzählen werde. Ich freu’ mich drauf.
Andreas Moll (49) lebt mit seinen beiden Kindern und seiner schwarzen reinrassigen Mischlingshündin Pepples (2) im Kölner Süden. Der Begründer des hyperlokalen Portals www.meinesuedstadt.de ist selbst ein „bunter Hund“ , mit Leib und Seele Kölner und fasst für ohfamoos.com regelmäßig die Begegnungen seiner Hundespaziergänge in Worte.
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