Wer soll sich das alles reinziehen?
Haben Sie’s auch schon gelesen? Die Leute lesen nicht mehr. So ein Quatsch! Was tun wir denn gerade? Ich schreibe, Sie lesen – na also.
Ich behaupte: die Leute lesen mehr, nicht weniger. Nur sie lesen anders und anderes. Jeder liest ununterbrochen, man kommt nicht dagegen an. Früher konnte man sich aussuchen, was man lesen wollte. Das ist heute anders.
Shakespeare, Goethe, Hölderlin haben früher auch nur wenige Menschen gelesen, das ist heute nicht anders. Wir studieren unverständliche Bedienungsanleitungen, wir empfangen ständig SMS und Email. Auf der Arbeit hockt man ununterbrochen am Computer, wenn man nicht gerade im Meeting die neueste Power-Point-Präsentation betrachtet. Lesen, lesen, lesen, den ganzen Tag….
Wir lesen viel, vielleicht viel zu viel. Eine Freundin ist Richterin und hat den ganzen Tag die Nase in den Akten. Oh je, und dann abends noch ein „gutes Buch“? Eine richtige Schwarte? Über 500 Seiten gar? Ach, nö, muss das jetzt auch noch sein? Lieber „Tatort“ oder die „Heute Show“, oder ins Kino. Wir wollen abschalten, brauchen Ruhe, Ablenkung und Entspannung, nach dem unaufhörlichen Buchstaben-Bombardement. Das ist doch verständlich.
Es wird heute allerdings auch viel Mist geschrieben. Die Inflation der Buchtitel nimmt beängstigende Ausmaße an. Wer soll sich das alles reinziehen? Selber schuld, sag ich da den Verlegern und Buchhändlern. Ich kaufe auf der Suche nach Eiern und Käse ja auch nicht gleich den ganzen Supermarkt. Weshalb sollte ich das bei Büchern machen. Hört doch auf mit dem Lamento vom Untergang des Buches. Man kann’s nicht mehr lesen. Druckt was G’scheits, dann geht ihr auch nicht unter.
Sie haben das Gefühl, da fehlt doch was? Nach all den Thrillern, nach Sex and Crime und Untergang des Abendlandes möchten Sie auch mal wieder was Anständiges lesen, brauchen eine Herausforderung. Literatur gar oder Lyrik? Sie haben eine tiefe Sehnsucht nach wertvollen Inhaltsstoffen?
Gründen Sie mit Gleichgesinnten einen Club für Literatur und Poesie! Ich habe es getan und bereue nichts. Solche Zirkel haben zur Zeit Konjunktur, weil den Menschen mehr umtreibt als Bits und Bytes und Bild Zeitung. Und es ist so schön unkompliziert. Man trifft sich alle paar Wochen und hat einen faszinierenden Abend voller Erkenntnisse und Einsichten. Ihre Lektüre bestimmen Sie selbst und drüber reden macht solchen Spaß.
Lutz Spenneberg (66), früher Profischreiber (Redakteur, Reporter, Autor), heute Rentner. Der gebürtige Münsterländer lebt mit seiner Frau, einer Journalistin, in München. Für ohfamoos.com schreibt er, wenn ihm danach ist.
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