Adoption: Gestern Vollgas im Job, morgen Mutter
Weißt Du, wie unglaublich viele Menschen heute ungewollt kinderlos sind, fragen mich Karin und Mark (die Namen wurden verändert), als wir über ihre Adoption sprechen. Ich kenne Mark seit 2000. Sechs Jahre später war der smarte Manager in festen Händen, die Hochzeit ein Traum am Mittelmeer. Dass die beiden bald Kinder bekommen würden, dachte sicher nicht nur ich … Es kam anders, und – wie so oft im Leben – im Nachhinein mehr als gut, doch die jahrelange Kinderlosigkeit hat dem Paar viel abverlangt …
Karin und Mark sind heute Anfang 40 und leben in München. Mit ohfamoos sprechen sie zum 1. Mal öffentlich über die schwierige Zeit, bevor ihr heutiger Sohn ihre Welt veränderte, das Bangen dazwischen und die pure Freude danach.
Wie geht es Euch heute? Seit anderthalb Jahren seid Ihr nun zu dritt?
Mark: Wir sind einfach so unglaublich dankbar für diesen kleinen Mann.
Karin: … und ermutigen andere, die Möglichkeit einer Adoption zu bedenken. Mutter ist man nicht, weil man ein Kind gebärt, sondern weil man die Aufgabe wahrnimmt.
Wenn Ihr Euch mit Freunden vergleicht, die leibliche Eltern sind, dann …
Mark: … ist nichts anders im Vergleich zum Freundeskreis. Man vergisst es vollständig, es spielt einfach keine Rolle mehr.
Karin: Man liebt ein adoptiertes Kind nicht anders als ein eigenes Kind.
Wie kam der Wunsch nach einer Adoption auf?
Karin: Wir hatten medizinisch alles ausgereizt. Viel durchgemacht … Eines Tages bemerkten wir: Wir sind in einer Einbahnstraße.
Mark: Da haben wir uns gesagt: Jetzt ist einfach gut, wir haben alles probiert.
Karin: Parallel dazu hatte ich von einer Bekannten gehört, die zwei Kinder adoptiert hatte, in ganz jungem Alter. Dass man auch Säuglinge adoptieren kann, war mir bis dahin nicht bewusst …
Mark: Und wir fragten uns: Muss es denn wirklich ein eigenes sein? Und haben uns dann beim Jugendamt gemeldet.
Und es begann ein sicher schwieriger bürokratischer Prozess – jedenfalls liest man davon so, richtig?
Karin: Wir mussten uns tatsächlich mit Dingen auseinander setzen, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Fragen wie: Würden Sie auch ein Kind mit schizophrenen Anlagen akzeptieren? Du stellst plötzlich Deine ganze Lebensgeschichte infrage.
Mark: So ein Prozess zieht sich acht bis zehn Monate hin! Einzelgespräche, Wohnungsbesichtigung, Abschlussgespräche. Man besorgt Führungszeugnisse, beantwortet Fragen über Fragen. Erst denkt man: Was soll das alles? Und dann merkt man: So ist es genau richtig, weil man zur Auseinandersetzung gezwungen wird. Man fragt sich: Was traust Du Dir selbst eigentlich zu?
Mitte 2011 wart Ihr dann in der offiziellen Bewerberliste freigeschaltet …
Karin: In den ersten Wochen danach habe ich wie ein verschrecktes Kaninchen ständig auf mein Handy geschaut, ob vielleicht ein Anruf kommt, der alles verändern würde. Bis das normale Leben einen wieder einholt. Wir haben anderthalb Jahre gewartet. Das ist schon schnell verglichen mit anderen – doch für uns selbst eine lange Zeit.
Mark: Wir wussten ja auch, dass ich bald 40 werde – mit 41 fliegt man aus der Liste raus.
Wie erinnert Ihr Euch an den Tag, als der Anruf kam?
Karin: Ein ganz normaler Arbeitstag; bis mich Mark anrief und fragte, ob ich kurz sprechen könne – und sitze. Dann hörte ich, dass ein sechs Tage alter Säugling zur Adoption freigegeben worden war. Schon tags drauf sollten wir erst die Mutter und direkt im Anschluss den Kleinen selbst kennenlernen …
Mark: Ich bin ja ein in mir ruhender Mensch. Aber vor diesem 1. Treffen habe ich mir fast in die Hose gemacht … Eltern haben normalerweise neun Monate Zeit sich vorzubereiten …
Wie geht man mit dieser ungeheuren Verantwortung um?
Karin: Es war für alle ein wahnsinniger Druck. Eine fundamentale Entscheidung war in kürzester Zeit zu fällen. Kann man sein Herz öffnen? So sehr ich mich freute, so groß war auch die Panik: Was ist, wenn nicht?
Mark: Wir hatten plötzlich, von heute auf morgen, zwei Tage! Puuuuh! Wir mussten die Frage aller Fragen beantworten: Sind wir emotional bereit für dieses Kind?
Was folgte dann?
Karin: Ein hoch emotionaler Abschnitt, bei mir v.a. auch ein Abschlussprozess: Endgültig loslassen vom Wunsch ein eigenes Kind zu bekommen. Das schneidet man ab. Sonst ist das gegenüber dem Kind nicht fair.
Mark: Auf den Loslöseprozess folgte das Einlassen können. Heute sagen wir: Er passt zu uns wie die Faust aufs Auge.
Und dann innerhalb weniger Stunden ein Kinderzimmer einrichten, Windeln kaufen etc.?
Mark: Exakt. Wir hatten ja nix. Gott sei Dank aber Freunde, die in Windeseile mithalfen.
Karin: (lacht) Ich musste in drei Tagen Elternzeit anmelden …
Mark: (lacht mit) Und unseren bis dahin geplanten Weihnachtsurlaub nach Florida und auf die Bahamas haben wir zügig gecancelt.
Warum ermutigt Ihr andere ebenfalls ein Kind zu adoptieren?
Mark: Weil es sich so lohnt. Übrigens geht es nicht um Dankbarkeit! Man adoptiert um eine Familie zu haben, nicht weil man ein Gutmensch ist; letzteres ist definitiv nicht der Treiber.
Karin: Und der Weg ist es wert, allemal!
Mark: Genau so, das Procedere ist kein Hexenwerk, es ist sogar hilfreich, wenn auch sehr aufwendig.
Was sollte man wissen, bevor man sich zu einer Adoption entscheidet?
Karin: Der Anruf, dass ein Kind zur Adoption da ist, dieser Anruf, den man so sehnlich wünscht, der bedeutet nicht direkt Glückseligkeit!
Weil?
Karin: Weil alles auseinander gewirbelt wird. Eben noch mit Vollgas im Job, am Tag danach die volle Verantwortung als Mutter, ohne Vorbereitung, von 0 auf 100.
Mark: Für mich ist noch wichtiger zu betonen: Man muss ein Jahr lang warten, bis die Adoption dann durch ist, sprich man die Vormundschaft vollends hat. Wir verstehen, dass das so sein muss, aber labile Menschen werden sich damit schwer tun … Das schwingt wie ein Damoklesschwert über einen. Erst wenn das Familiengericht dann entschieden hat, kannst Du diesen Gedanken, dass das Kind Dir auch wieder genommen werden kann, vergessen.
Vielen Dank für das tolle Gespräch!
- Mehr als sechs Millionen Frauen und Männer zwischen 25 und 59 Jahren sind in Deutschland ungewollt kinderlos, ein Sechstel der Menschen in dieser Altersgruppe. Mehr zu den Recherchen der Zeit aus 2013 hier.
- Rein rechnerisch kommen auf ein Kind zehn mögliche Adoptiveltern, schreibt eltern.de Wartezeiten von drei bis fünf Jahren sind nicht selten. Es kann aber eben auch schneller gehen, wie Karin und Mark zeigen – „und es lohnt sich so zu warten“, sagen beide übereinstimmend.
- Es gibt tolle Bücher, die schon den ganz Kleinen den Weg ebnen, eines Tages zu erfahren, dass sie adoptiert wurden. „Es soll ja kein Big Bang sein“, sagt Mark. Karin empfiehlt diese Kinderbücher und ein Sachbuch:
- Und dann kamst du, und wir wurden eine Familie, Ravensburger Buchverlag
- Der Findefuchs, Deutscher Taschenbuch Verlag
- Kind ist Kind, MINEDITION
- Das grüne Küken, NordSüd Verlag
- Das kleine ich bin ich, Jungbrunnen
- Heute bin ich, Aracari Verlag
- Sachbuch/Ratgeber: Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben, BALANCE Buch + Medien Verlag
Autor: Elke Tonscheidt
Fotos: Pixabay
ein tolles, ehrliches, echtes und informatives Interview!! Vielen Dank auch für die Buchtipps, die können wir sehr gut gebrauchen:)