Was können wir Fahrgäste dafür?
Erhöht sich Euer Blutdruck auch immer, wenn Ihr Claus Weselsky seht oder hört? Das ist zwar verständlich, andererseits haben einige Argumente des Chefs der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer etwas für sich. Ob die von ihm behauptete Gefahr für das Grundrecht der Koalitionsfreiheit tatsächlich besteht, wird wohl endgültig erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum noch nicht verabschiedeten Tarifeinheits-Gesetz klären. Der Streik hat zwar manchen Bürger auf die Problematik gestoßen, aber ob das bisher fünfmal geschehen musste, ist doch fragwürdig, auch wenn Gerichte Weselsky Recht geben. Es gibt auch andere, zielgruppengerechtere Mittel, findet Gastautor Thomas Rietig.
Wir Berliner konnten uns den GDL-Streik auch „schön pendeln“: Mit dem Ausfall der S-Bahn leben wir quasi gewohnheitsmäßig, wurde sie im Westen doch von 1961 bis 1989 weitgehend boykottiert. Vor ein paar Jahren war sie regelrecht kaputtgespart worden und streikte ohne Arbeitskampf für Monate. Aber Bus, U-Bahn, ja sogar Fähren stehen in der Hauptstadt so reichlich zur Verfügung wie in keinem anderen Ballungsraum. Wer dennoch mit der Deutschen Bahn fahren wollte, nahm zwischen Südkreuz oder Ostbahnhof und Spandau eben mal schnell den ICE mit Verbundfahrschein, und schon reduzierte sich die Fahrzeit zur Arbeit um täglich 40 Minuten.
Trotzdem: Betroffen von dem Streik waren vor allem die Fahrgäste, die allgemeine wirtschaftliche Versorgung und die Deutsche Bahn. Verglichen damit ein ganz kleines bisschen betroffen sind jene Bahnmitarbeiter, die Mitglied der Konkurrenzgewerkschaft EVG sind, weil ihnen mangels Arbeit Zuschläge und Zulagen entgehen. Dabei lesen wir immer wieder, dass die EVG eigentlich das Hauptangriffsziel Weselskys ist.
Die GDL fühlt sich als Wahrer der Koalitionsfreiheit. „Dieses Grundrecht ist in Gefahr“, zitierte „Spiegel online“ den Gewerkschaftschef. Aber noch gibt es reichlich Instanzen, die die Aushöhlung des Grundrechts verhindern können. Dass er doch nicht ganz Unrecht hat, erkennt Ihr daran, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Tarifeinheit ziemlich vorsichtig voranschreitet. Und zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass viele Arbeitgeber nichts unversucht lassen, sich mit unzähligen Tricks aus der grundgesetzlich garantierten Sozialpflicht des Eigentums zu stehlen.
„Am Ende kann es de facto darauf hinauslaufen, dass hier Gewerkschaften verboten werden. Das können doch auch wir nicht wollen“
Aber selbst innerhalb der DGB-Gewerkschaften haben wir hinter vorgehaltener Hand manchmal leise Zweifel am Tarifeinheitsgesetz gehört: „Am Ende kann es de facto darauf hinauslaufen, dass hier Gewerkschaften verboten werden. Das können doch auch wir nicht wollen“, heißt es in Gewerkschaftskreisen. Aber was können wir Fahrgäste dafür? Und vor allem: Wie bekommen wir den Gesetzgeber dazu, dieses Gesetz, wenn es denn sein muss, so zu formulieren, dass am Ende eben keine Gewerkschaften de facto verboten werden?
An die Adresse beider Partner geht der Appell: Knüpft Eure Verhandlungsbereitschaft nicht an die Bedingungen der Koalitionsfreiheit. Das ist ein politisches, arbeits- und verfassungsrechtliches Problem. Der normale Weg ist der Gang nach Karlsruhe, eine Kampagne in der Öffentlichkeit oder Lobbying im Bundestag und anderen Parlamenten. Oder Ihr benennt einen Schlichter – der zwischen EVG und GDL eine Einigung herbeiführt – und schließt mit der Deutschen Bahn erst einmal einen Tarifvertrag für die Lokführer ab. Da muss ja einiges drin sein.
Ein Streik ist, ungeachtet des verlockenden Erpressungspotenzials und der juristischen Angemessenheit, für diesen Machtkampf das falsche Mittel, weil er die Falschen trifft. Er sollte als Waffe zur Wahrung der Grundrechte höchstens eingesetzt werden, wenn ein Putsch oder Vergleichbares droht, und dann bitte auch gleich als Generalstreik.
Die bisherigen GDL-Streiks haben jedenfalls nicht zu einer breiten Solidarisierung geführt, um es wohlwollend auszudrücken. Vielmehr fragen wir Bahnfahrer: Warum machen die eigentlich ihr Problem zu unserem? Wäre ihr Problem so gravierend für die bundesdeutsche Gesellschaft oder auch nur für die „Balance of Power“ in der sozialen Marktwirtschaft, dann müsste das doch noch jemand außer der GDL gemerkt haben.
In der derzeitigen Situation hofft die GDL möglicherweise auf einen Anruf aus dem Kanzleramt bei Bahnchef Rüdiger Grube mit dem Tenor: „Jetzt mach mal Schluss, wir kriegen das schon auf der politischen Ebene hin.“ Es wäre nicht das erste Mal. Aber es sind weit und breit keine Wahlen in Sicht.
Dennoch sollte der Bahn-Vorstand es sich mit dem Wegschieben des Schwarzen Peters nicht so einfach machen. Er hofft auf das Gesetz, dessen Inkrafttreten aber noch eine Weile auf sich warten lassen dürfte, selbst wenn die gesamte große Koalition dahinter steht. Bis dahin haben Lufthansa, Air Berlin, Fernbusunternehmen, Mietwagenfirmen („Unser Mitarbeiter des Monats: Claus Weselsky“) und Taxifahrer Gelegenheit, sich mit Schienenersatzverkehr schadlos zu halten. Hoffen wir, dass beide Parteien nach Weselskys „Geste der Versöhnung“, den Streik vor den Einheitsfeiern enden zu lassen, zur Vernunft kommen. Die Harmonie während der Feier wäre doch ein schönes Beispiel für ein künftiges Verhandlungsklima. Wenn mal ein Ballon platzt, ist es doch nicht so schlimm.
Gastautor Thomas Rietig, Jahrgang 1952, ist Journalist in Berlin. Zunächst arbeitete er als Lokalredakteur in Frankfurt am Main, dann in Bonn und Berlin fast 30 Jahre als Korrespondent, Reporter, Hauptstadtbüroleiter und stellvertretender Chefredakteur für den Deutschen Dienst der Nachrichtenagenturen Associated Press und der dapd. Seit die 2012 pleite ging, ist er freier Journalist und Autor. Eines seiner Spezialgebiete ist Verkehrspolitik, worüber er auch ein Buch geschrieben hat.
Text: Thomas Rietig
Fotos: Thomas Rietig / Deutsche Bahn
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