Heiliger Strohsack
Vom Himmel hoch und Geschenkeflut – Weihnachten hat so seine Traditionen. Nur sind die nicht überall gleich. Fast jede Familie hat ihre eigenen Rituale. Und die müssen nicht immer feierlich sein… Gastautorin Christine Mangold über Weihnachts-Voyeurismus.
Bei mir zu Hause gibt es eine Art zelebrierten Weihnachts-Voyeurismus. Wenn bei anderen Familien Bescherung oder zumindest Weihnachtsessen ist, ziehen wir unsere Winterjacken an und marschieren durch die menschenleere Finsternis.
Wo weihnachtet es am heftigsten?
Wir schauen in die atmosphärisch erleuchteten Wohn- und Esszimmer und beurteilen fachmännisch den Braten oder die aufgedirndelten Gäste. Auch der Weihnachtsbaumschmuck erhält seinen Kommentar: Lametta, elektrische Kerzen oder auf die Christbaumspitze geknebelte Nürnberger Engel. Dabei orientiert sich die Verweildauer und Bereitschaft festzufrieren an der Güte der Inszenierung.
Voyeurismus und kletternde Weihnachtsmänner
Schon mal aufgefallen? Die in Häuser kletternden Weihnachtsmänner nahmen über die Jahre erst inflationär zu, dann aber auch rapide wieder ab. Nicht an Umfang, sondern an Zahl. Im letzten Jahr haben wir nur noch drei gesichtet. Ich bin mal gespannt, wer oder was sie in diesem Jahr ersetzen wird.
Bei unserer eigenen Feier, württembergisch klassisch mit Würstchen und Kartoffelsalat, geht es ziemlich leger zu. Da würde sicher kein Beobachter länger stehen bleiben. Exemplarisch nur – und auf jedem Weihnachtsfoto bis in die 70er hinein zu finden – die Sprudelflasche auf dem Wohnzimmertisch, die den Genuss der Unmengen an Weihnachtsplätzchen mit viel Kohlensäure erst erschwert und dann wieder erleichtert. Es ist der Unterschied im Leidensdruck, der positiv verbucht wird, nicht das Vorher-gleich-nachher-Gefühl. Ich erspare Einzelheiten.
Eine schöne unchristliche Sitte ist auch das Christbaumloben. Dafür besucht man am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag Freunde und Bekannte und lobpreist deren Baum. Da kann und sollte man gerne auch mal ein bisschen flunkern. Denn als Belohnung für das Lob gibt es einen Schnaps. Je nach Güte des Marillen- oder Quittenbrandes ist dann auch mal eine zweite oder dritte Lobpreisung drin.
Die Pyjamaparty am Weihnachtsabend
Weihnachten als Pyjamaparty – bei meiner Freundin Brigitte sieht es am Weihnachtsabend aus wie in Schlumpfhausen.
In zartester Jungend als Au-Pair-Mädchen in den USA, verliebte sie sich in die Sitte ihrer Gastfamilie, am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages barfuß ins Wohnzimmer zu schlorchen und noch in Nachthemd oder Schlafanzug Geschenke auszupacken. Und so hielt sie es auch in ihrer Single-Wohnung, zurück in Hamburg.
Doch dann lernte sie Markus kennen. Dieser widersetzte sich der barbarisch legeren Sitte, nachdem die beiden zusammengezogen waren. Er bestand auf einem ordentlichen deutschen Heiligabend mit stimmungsvollem Dämmer und mildem Schein der Kerzen. Dem schnöden, alles entzaubernden Tageslicht des Weihnachtsmorgens konnte er nichts abgewinnen. Seine Lobby vergrößerte sich noch, als die Kinder kamen: Die lieben Kleinen waren nicht dafür zu begeistern, einen Tag später Geschenke zu bekommen als ihre Kumpels aus der Kita.
Brigitte gab sich kompromissbereit: Sie gewährte Heiligabend als Ausschüttungsdatum, blieb in Sachen Festtagsoutfit aber standhaft. Gut, dass es edle Satinpyjamas gibt – außen prachtvoll glänzend, innen mit aufgerauter wärmender Flanelloberfläche.
Wie auch immer die Tradition ausfallen mag: Wichtig ist doch eigentlich, dass es Rituale gibt: lieb gewordene, festgeschriebene Verhaltensweisen, die einem die Gewissheit verschaffen, gemeinsam angenehm bekloppt zu sein. Anders als die anderen. Eine Gemeinschaft eben.
Gastautorin Christine Mangold ist Textnomadin und lebt in Köln. Mal als Journalistin, mal als Werbetexterin unterwegs, beackert sie Bleiwüsten, bis blühende Landschaften entstehen. Privat bestellt sie ihren Garten und ist Mutter einer Heerschar von Blumenkindern. Für ohfamoos schreibt sie besonders gern Glossen.
Fotos: pixabay
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