PEGIDA – Angst essen Seele auf
Seit Wochen demonstrieren Menschen in Deutschland unter dem Akronym PEGIDA ‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes’. Die Demos ziehen immer mehr Anhänger an. Eine dunkle Dresdner Oper, und auch am Kölner Dom gingen die Lichter aus. Sollte man eine Gegendemo starten mit NoPegida? Oder zuhören und sich fragen, was diese Menschen fürchten? Fragt Sonja, die vier arabisch-deutsche Kinder groß gezogen hat.
Ich lebe seit 35 Jahren in Dubai, wo Ausländer die absolute Mehrheit der Bevölkerung bilden. Die einheimische Bevölkerung der Vereinigten Arabischen Emirate bringt es nur auf etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Haben Emiratis Angst vorm Christentum? Nein, das Gegenteil ist der Fall, sie begrüßen Ausländer, lassen sie Kirchen bauen und ihre Religion frei ausüben.
Emiratis kennen das Christentum, denn das alte Testament ist Bestandteil ihres Glaubens, dem Islam. Seit acht Jahren arbeite ich für die inter-kulturelle Verständigung zwischen Menschen des Morgen- und Abendlandes und seit ich von diesen Demonstrationen lese, wird mir immer klarer: Viele Menschen in Deutschland haben große Angst vor der vermeintlichen Fremdheit des Islam. Diese Fremdheit scheint so tief verankert, dass man als deutscher Verein nicht nur Deutsche, sondern ganz Europa aufruft, um die Islamisierung des Abendlandes zu verhindern.
Aber was bedeutet fremd?
Der Philosoph Bernhard Waldenfels sagt in einem Essay: „Fremd ist etwas, von dem wir ausgehen, bevor wir darauf zugehen“. Das darauf zugehen fehlt mir in Deutschland. Wo bleibt die Aufklärung der Politiker und der Medien dieses Fremdheitsgefühl abzubauen? Wo bleiben Budgets für interkulturelle Weiterbildung? Wo werden Gemeinsamkeiten herausgearbeitet? Visionen des Zusammenlebens geschaffen? Was machen die einzelnen Kommunen?
Deutschland verändert sich. Politiker und Massenmedien halten nicht mehr mit. Dogida, Kögida, Bärgida – alles ist möglich.
Menschen gehen auf die Strasse für Pegida und deren Ableger: Dogida, Kögida, Bärgida, etc. Dazu bilden sich Gegendemonstrationen unter dem Hashtag #NoPegida. Im Internet schlägt eine Petition ‚Für ein buntes Deutschland’ Wellen, man versucht 1 Million Unterschriften für #NoPegida zu sammeln. Dort steht auch: ‚Pegida ist nichts, was über Gesetze geregelt werden könnte’.
Politiker nehmen Stellung, wie z.B. Gregor Gysi (Die Linke), der Ende des Jahres allen Bundestagsfraktionen Versagen vorwirft: Man habe die Bevölkerung nicht genug darüber aufgeklärt, dass die meisten Muslime „völlig friedlich und gewaltfrei“ und gewalttätige Islamisten die Ausnahme seien. Diese Unterscheidung müsse die Politik überall deutlich machen.
Und auch der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt stellt eine Ratlosigkeit im Umgang mit der Bewegung fest. Pegida sei ein Hinweis auf ein ernstes Problem in der Gesellschaft, das von der Linken bis hinein in die politische Mitte nicht aufgegriffen werde.
Islam- und zuwanderungskritische Initiativen könnten sich zu einer neuen sozialen Bewegung entwickeln.
Ich bin verwirrt.
Heißt nicht Christ zu sein, Nächstenliebe zu üben? Heißt nicht sozial, sich für den Schwächeren zu engagieren? So versteht sich zumindest der Islam.
Wusstet Ihr?
- In Deutschland leben etwa 4 Millionen bekennende Muslime, das entspricht ca. 5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
- 2012 gaben 78 Prozent der vom Bundesinnenministerium befragten Muslime zwischen 14 und 32 Jahren Bereitschaft zur Integration an.
- Laut Bertelsmann Stiftung zahlten die 6,6 Millionen hier lebenden Ausländer 2014 22 Milliarden Euro (3300 Euro pro Kopf) mehr an Steuern und Sozialabgaben als sie Transferleistungen bezogen.
- Von 114.000 Asylanträgen erkannte das BAMF bis Mitte Dezember 2014 rund 34.000 an. Die Bearbeitungsdauer lag bei durchschnittlich sieben Monaten
Text: Sonja Ohly
Fotos: Copyright Dirk Gebhardt/laif
Mehr zur No Pegida-Demo in Köln: http://www.meinesuedstadt.de/vor-der-haustür/gesellschaft/ein-riesengroßes-nein