Alles Paleo?
Wenn ich Freunde zum Essen einladen möchte, ist das inzwischen nicht uneingeschränkt möglich. Nicht jeder kann mit jedem – oder manchmal kann ich nicht mit dem Gast. Es geht ums Essen: Der eine ist Vegetarier, der nächste ist auf Gluten allergisch, der dritte auf Milchprodukte. Neulich bin ich über den neusten Ernährungstrend (in der Lebensmittelindustrie) gestolpert: PALEO.
Are you Paleo? Das klingt ein bisschen wie: „Are you gay?“, und ich drehe mich verdutzt um? Was will die Dame von mir? Ich befinde mich in einem der Szene Cafes in Manly und beschäftige mich mit der Auswahl an Salaten in der Vitrine. „Nein bin ich nicht!“ Aber was bedeutet das so schön klingende Wort?
Fleisch hui und Kohlenhydrate pfui. Ich mach mich schlau und erkundige mich zuerst im Netz. Laut Wikipedia handelt es sich bei der Steinzeiternährung Paläo-Diät um eine, die sich an der vermuteten (!) Ernährung der Altsteinzeit orientiert; gemeint ist die Zeit vor der neolithischen Revolution (beginnend vor ca. 20.000 bis 10.000 Jahren), also vor der Zeit, in der Ackerbau und Viehzucht vermehrt betrieben wurden. Was damals jedoch genau gegessen wurde, kann man heute mit Sicherheit nicht sagen. Eine Vielfalt aus hochwertigem Fleisch, von Tieren, die natürlich aufgewachsen sind, Fisch und Meeresfrüchte, Eier von herumlaufenden Ur-Hühnern, Nüsse und Samen bestimmen den Speiseplan bei einer Lebensweise nach Paleo. Einige Produkte werden ausgeschlossen wie zum Beispiel Getreide, Zucker und Pflanzenöle.
„Ich stelle mir gerade vor, wie ich meine 4-köpfige Familie satt bekommen würde. Morgens zwei Duzend Eier, Fischfilets in der Pause und abends ein Steak. Klingt ungesund – zumindest für mein Bankkonto.“
Gleichzeitig fällt mir auf, wie häufig in der Paleo-Ernährungsdiät auf unterschiedliche Varianten und Ausnahmen hingewiesen wird. War die Sache mit den Vegetariern doch noch einfach abzugrenzen, scheint sich der Paleo-Anhänger auch gerne mal auszusuchen, was in den Steinzeitmörser kommt und was nicht.
Ich mache den Feldversuch und schlage mich in die Foodie Szene von Sydney. Vorsichtig frage ich in jedem „Paleo empfohlenen Restaurant“ nach, was dem Koch wohl heute vor den Speer gelaufen sei? Die meisten rudern sofort zurück: Das Essen wird eher mit „Paleo Friendly“ angepriesen und ganz schnell auf den Punkt gebracht: keine Körner, sprich auch kein Brot und Reis, kein Zucker. Gemüse und Proteine hingegen schon. Aber gewürzt (mit angebauter Petersilie und Pfeffer) sei das Essen dann doch. Na Gott sei Dank!
Wie passt Sport mit Paleo zusammen? Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das nicht gutgehen kann. Doch meine Recherche beweist das Gegenteil. Manche Sportarten, wie zum Beispiel das hocheffiziente crossfit, bei dem der ganze Körper in kurzer Zeit höchster Belastung ausgesetzt wird, schwören sogar auf Paleo. Helfen die Proteine und das Eiweiß doch beim Muskelaufbau.
Eine weltweite Bewegung, die sich movnat nennt, betreibt hingegen natürlicheres Workout, bei dem die Bewegungsabläufe angeblich genau auf unseren Ur-Körper zugeschnitten sind: sprich Jagen, Rennen, Anpirschen und Springen. Ich ziehe den Hut vor soviel Konsequenz!
Weniger ist mehr. Grundsätzlich ist ja gegen weniger Zucker nichts zu sagen, aber woher nehme ich die Energie, wenn nicht aus Kohlenhydraten? Haben wir Menschen denn nicht auch gerade so viel geschaffen, weil wir eben mehr Energie haben als vor mehreren tausend Jahren? Wenn ich mich richtig informiert habe, dann lag die durchschnittliche Lebenserwartung unserer Vorfahren aus dieser Zeit bei maximal 30 Jahren. Meine Oma wird bald 92 – so schlecht kann ihre Ernährung, die hauptsächlich aus Kartoffeln bestand (wenn möglich in Butter gebacken), nicht gewesen sein…
Bewusst genießen und leben. Ich denke, Paleo ist im Ansatz nicht falsch, denn wir werden dazu aufgefordert, sich mit dem, was und wie viel wir davon zu uns nehmen, auseinander zu setzen. Den völligen Verzicht auf etliche Bausteine unserer Ernährung hingegen kann ich jedoch nicht unterstützen und wer bei uns zu Gast is(s)t, kann sich sicher sein, ein ausgewogenes und gesundes Essen zu genießen.
Text: Melanie Blankenstein
Foto: Eli Blankenstein
Kann dazu nur wärmstens das Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ empfehlen! Wirklich klasse für alle, die etwas über die letzten 100.000 Jahre Menschheitsgeschichte lernen wollen…
http://devour.com/video/how-to-become-gluten-intolerant/