No apple, please!
Elf Tage ohne Smartphone? Ihr habt ja schon gelesen, dass ich das vor hatte… Kommentare davor gab es genug: „Endlich Ruhe!“, freute sich ein Freund. „Es lebe die Analog-Welt!“, schrieb ein anderer. Und mein Vater erinnerte an die gute, alte Telefonzelle, aus der früher angerufen wurde. Wie es mir beim Fasten ergangen ist, erfahrt Ihr im Tagebuch.
1. Tag
Im Flughafenbus linse ich noch auf mein Handy, will den Aufmacher auf ohfamoos sehen, denn montags und donnerstags bringen wir ja immer eine neue Geschichte im Blog. Dann gehe ich offline; zehn Minuten später soll unser Flieger nach Fuerteventura starten. Was ich spüre, ist Gelassenheit. Es sind ja weniger als zwei Wochen und ich habe die Tage vorher alles geregelt. Im Hotel kommt das Handy gleich in den Safe. Es ist schön, niemanden benachrichtigen zu müssen, dass wir gut angekommen sind. Ich bin einfach weg.
2. Tag
Freitagmorgen sitze ich beimSonnenaufgang am Strand. Mit mir und meinem neuen Buch. Früher hätte ich schonlängst auf mein Handy geschaut, allein der Uhrzeit wegen. Jetzt habe ich keine Ahnung, wie spät es ist. Meine Männer schlafen, ich genieße das Alleinsein. Und das Nicht-Abgelenktsein. Nur das Meer und die Natur haben meine volle Aufmerksamkeit. Ich denke nicht: jetzt schnell ein Foto machen. Meine alte Fotokamera werde ich erst später, dann seit 2 Jahren erstmals wieder, betätigen.
„Que pasa, Omelette?“
3. Tag
„Que pasa, Omelette?“ Der neue Lieblingssatz unseres Sohns stünde vermutlich schon auf Facebook. Nett, wie die Frage „Was ist los, Mann?“, also „Que pasa, hombre?“, von einem Vierjährigen abgewandelt wird – in Anlehnung an Pauls Lieblingsgericht hier in Spanien. Ehrlich: Ich genieße es fast zu sehen, wie andere Hotelgäste auf der Anlage mir ihrem Handy den besten Empfang suchen, um online zu sein. Ich spotte nicht, sähe ich mich doch selbst in der genau gleichen Pose, hätte mein Handy den Safe verlassen. Da liegt es aber unberührt. Ich rechne: gut zwei Stunden würde ich mich im Urlaub normalerweise täglich im Web 2.0 bewegen, Mails, Blogs, SMS, posten. Viel Zeit, die ich plötzlich habe…
4. Tag
Kein Wunder, dass ich bald den neuen Roman von Sibylle Berg (Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand) aus habe. Neben der neuen, richtig guten April-Ausgabe von NEON! Neben des Zeitgewinns beruhigt mich vor allem: Ich muss kein Handy in der Tasche tragen, es nicht an oder aus schalten oder mich abends vor dem Schlafengehen fragen: habe ich den Flugmodus aktiviert?
Ohne Handy muss ich nichts, schon gar nicht „noch eben“.
5. Tag
Fast Halbzeit. Ich vermisse so gut wie gar nichts. Gestern rief eine Frau am Pool: „Ich muss noch eben Andrea antworten.“ Das ist der Unterschied: Ohne Handy muss ich nichts, schon gar nicht „noch eben“. Im Urlaub geht sowieso alles langsam, ohne Smartphone nochmal langsamer. Manches ist übrigens gedruckt am besten: Täglich gibt das Hotel eine Postille raus, ein DINA 4-Blättchen mit Infos, dort können auch Gäste Grüße hinterlassen. Heute wünscht eine Mutter ihrer „Charline Justine alias Puppi“ (kein Scherz) happy birthday und hofft, dass ihre Tochter „weiterhin solch ein toller Mensch“ bleibt. Und zwei Anzeigen darunter schreibt dann der „Puppimann“ seiner „süßen Puppifrau“, wie toll der Urlaub sei. Wozu brauche ich online? 🙂
6. Tag
Ich bin beeindruckt, wie wenig mir das eigene Handy fehlt. Momente zum Googeln gibt es genug, z.B. bei der Frage: Gehört die Insel am Horizont noch zu Fuerteventura oder ist es eine andere kanarische, und wenn ja welche? Oder: Warum sind die Hauswände in einer Hafenstadt, in der wir nachmittags halten, großflächig bemalt? In einem Cafe liest meine Tischnachbarin aus dem Reiseführer vor, ich lausche: Es gab einen Wettbewerb, seitdem schmücken 30 riesige Bilder ehemals eher schäbige Gebäudeflächen. Recherche einmal anders…
7. Tag
Die NEON druckt das Tagebuch eines Redakteurs, der sich eine Woche per Tinder durch Deutschland bewegen und Hotels sparen wollte. Für die, die diese Dating-App nicht kennen: Ein Mann am Nebentisch bezeichnet sie verkürzt als „Bumsplattform“. Man sucht dort Partner zum Austausch… Die Doku ist witzig gemacht und zeigt: Online ist nicht allerorten so „in“, er hat es nicht geschafft!
Ich merke: Wirklich Wichtiges sammelt sich im Kopf.
8. Tag
Nach einer Woche juckt es mir in den Fingern. Nicht nach Handy, aber ich würde so gern wieder schreiben! Also rezensiere ich Bergs Roman. So gut, wieder etwas zu tippen. Dafür habe ich zum Schreiben lediglich das iPad raus geholt. Die Vorstellung, zuhause wieder online zu gehen, erschreckt mich fast… Wie viele Mails hätte ich wohl bereits los geschickt? Ich merke: Wirklich Wichtiges sammelt sich im Kopf. Ich brauche weder To Do Listen noch andere an meinen Ideen teilhaben zu lassen.
9. Tag
Heute fragt mich jemand, was ich aus der Netzdiät mit nach Hause nähme? 1. Es tut nicht weh, im Gegenteil: Es tut gut! 2. Ich will mehr davon, überlege auch an den Wochenenden netzfrei zu bleiben. 3. Ich werde mir eine Uhr kaufen. Statt Handy, eingewachsen in der Hand, eine Uhr am Handgelenk…
10. Tag
Mich begeistert ein Interview mit dem amerikanischen Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn, das ich in einer sechs Tage alten Zeitung lese: Auf die Frage, ob Smartphones zusätzlich ablenkten, antwortet der 70jährige: „Selbstverständlich. Da gilt: Je häufiger man sie ausschaltet und weglegt, umso besser. Denn es geht eine reale Suchtgefahr von Ihnen aus. Wenn man sieht, was sie im Gehirn bei uns auslösen, dann ist das vergleichbar mit den Vorgängen, die Kokain hervorruft.“
11. Tag
Ich sitze auf der Terrasse, am Horizont entsteht ein Regenbogen, direkt über dem Meer. Ein Nachbar kommt raus, ich rufe: „Wow, schau mal!“ Er, gestern angereist: „Schön, aber sag mal, hat man da draußen – er zeigt auf die Bank an der Klippe – besseren Empfang? Drinnen ist das ja ne Katastrophe…“ Ich höre mich sagen: „Ich glaube ja, das ist hier grundsätzlich ein Problem, der Netzempfang…“ Und denke: Warum zeigt er seinen Kindern, die hinter ihm lärmen, das Naturspektakel nicht?
12. Tag
Rückflug. Selbst am 12. Tag, zurück in Düsseldorf, schalte ich mein Handy nicht ein. Ich schaue mir aber alle Artikel hier im Blog an, die meine Kolleginnen online gestellt und auf Facebook gepostet haben. Das habe ich wirklich vermisst: Ohfamoos und die Gemeinschaft mit Sonja, Melanie und Katrin, ansonsten „war ich mir selbst genug“, wie ich einmal einer (damals) sehr jungen Freundin „eingebläut“ habe: Eigentlich kommt es nur darauf an.
Text und Fotos: Elke Tonscheidt
Wusstet Ihr?
In Brandenburg gibt es einen „Friedhof“ für alte, ausrangierte Telefonzellen, allein das Luftbild lohnt, einmal drauf zu schauen!
Pingback:Ein Leben ohne Netz!?! | Opas Blog
Wie Opa das digitale Fasten bewertet, kann man hier nachlesen: http://opas-blog.de/2015/04/13/ein-leben-ohne-netz/ . Dabei hat ein Satz Opa aufhorchen lassen: „Ich werde mir eine Uhr kaufen.“
Pingback:Gastbeitrag von Elke Tonscheidt: Netz auf Raten | NEW WORK