Wie viele Frauen hast Du in Dir?
Doreen Trittel bloggt aus Berlin. Auf einer Istanbul-Reise stöbert sie durch eine Buchhandlung und bleibt hängen. Für ohfamoos beschreibt sie als Gastautorin, warum die Schriftstellerin Elif Shafak sie so gefesselt hat und was es mit Mama Milchreis und Frauen auf sich hat.
Wenn ich das ein oder andere Buch aus meinem Regal in die Hand nehme, tauchen Erinnerungen auf, die mich an eine bestimmte Empfehlung oder an den Kauf des Buches denken lassen. An einem ganz besonderen Ort bin ich auf das Buch „Als Mutter bin ich nicht genug“ von Elif Shafak gestoßen. Ich entdecke es bei einem einwöchigen Aufenthalt in Istanbul.
Neugierig betreten mein Mann und ich bei unseren Streifzügen durch die Metropole Istanbul die Türkisch-Deutsche Buchhandlung in der Istiklal Caddesi. Wie ich später erfahre, ist dies eine wahre Institution. Thomas Mühlbauer leitet die Buchhandlung bereits in zweiter Generation. Das reichhaltige Angebot umfasst neben deutschen Sprachlernbüchern, deutschen Büchern und deutschsprachiger Tagespresse auch unglaublich viele türkische Bücher, die ins Deutsche übersetzt wurden.
Da ich selbst leider kein Türkisch verstehe, ist diese Buchhandlung – neben einem Besuch der Istanbul Modern, dem Museum für Gegenwartskunst – ein besonderer Weg für mich, mich der türkischen Kultur zu nähern. Von Büchern und Buchhandlungen ohnehin magisch angezogen, lasse ich fasziniert meinen Blick schweifen.
Der Titel und das Porträt der Schriftstellerin, ihr direkter Blick machen mich neugierig. Ohne weiteres nachzulesen, greife ich nach dem Buch und weiss: Das muss ich mitnehmen und lesen. Elif Shafak ist eine bekannte türkische Schriftstellerin, die schon zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. „Als Mutter bin ich nicht genug“ ist ein autobiografischer Roman, der sich mit den verschiedenen Frauenrollen auseinandersetzt.
„Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.“ Novalis
Wie viele Frauen hast Du in dir?
Elif möchte schreiben, schreiben und nichts anderes als schreiben, Geschichten erzählen – oder doch noch etwas anderes? Die sechs Fingerfrauen, wie sie ihre inneren Anteile benennt, sind da nämlich anderer Ansicht. So diskutieren sie heftig ihre jeweiligen Interessen und Elif beginnt, sich in der Welt der Schriftstellerinnen umzuschauen: Geht das, Schriftstellerin, Feministin und gleichzeitig Mutter und Ehefrau sein? Mama Milchreis appelliert für ein perfektes Mutterdasein. Miss Zynisch-Intellektuell ist um Philosophie und Schreiben bemüht. Die spirituelle Frau von Derwisch ist da wesentlich gelassener. Aber noch andere innere Stimmen haben etwas zu sagen und geben keine Ruhe.
Elif beschreibt ihre inneren Stimmen als einzelne Personen mit einem eigenen Zuhause in sich. Sie kommuniziert mit ihnen. Sie diskutieren untereinander und geraten heftig aneinander. Dies gipfelt in einer Depression nach der Geburt.
Letztendlich geht es darum, seinen eigenen Weg zu finden und ihn zu gehen; seine inneren Stimmen wahrzunehmen, anzuhören und sie in Einklang zu bringen. Wichtig ist, die eigene Vielfalt zu akzeptieren und alle Seiten seines Ichs zu leben. In „Als Mutter bin ich nicht genug“, bei Egmont VGS bereits 2010 als gebundene Ausgabe erschienen, erzählt Elif offen, witzig, selbstironisch und reflektierend von sich und ihren Gefühlen. Es hat mich sehr berührt und inspiriert. Ich habe zwar keine Namen für meine inneren Stimmen, aber ihre einzelnen Rollen konnte ich mir ins Bewusstsein holen.
Gastautorin Doreen Trittel ist Künstlerin und im Broterwerb Sachbearbeiterin. Sie lebt mit ihrer Tochter und ihrem Mann in Berlin Charlottenburg. In ihren künstlerischen Arbeiten setzt sie sich auf vielfältige Art und Weise mit Erinnerungen auseinander. Dabei betrachtet sie Vergangenes neu: gestern – heute – morgen. Doreen fotografiert, schreibt, näht und gestaltet Collagen. Sie bezeichnet sich selbst als Deutsche mit ostdeutschem Migrationshintergrund. Wusstet Ihr?
- Hier findet Ihr die beschriebene Buchhandlung in Istanbul.
- Mehr über Elif Shafak: www.elifshafak.com
Text und Fotos: Doreen Trittel
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